PetitionSchweizer protestieren gegen «Gender-Unfug»
Deutsche Intellektuelle warnen vor der Verunstaltung der Sprache durch «Gender-Unfug». Die Kritik findet auch in der Schweiz Anklang.
Die Versicherung Swiss Re verbietet das männliche Pronomen «er», die Uni Bern empfiehlt in einem Sprachleitfaden für wissenschaftliche Texte die Verwendung des Gender-Gap (Professor_Innen), und Genderforscher setzen sich für geschlechterneutrale Endungen mit Sternchen ein. Für die Befürworter dieser Anpassungen ist klar: Die Sprache bestimmt unser Denken und Handeln, solange sie nicht alle Personen einschliesst, zementiert sie Ausgrenzungen.
In Deutschland regt sich gegen die gendergerechte Sprache Widerstand. Bereits rund 30'000 Personen haben eine Petition des Vereins Deutsche Sprache gegen den «Gender-Unfug» unterzeichnet. Die «zerstörerischen Eingriffe» in die deutsche Sprache basierten auf einem «Generalirrtum» und bewirkten nichts für die Gleichstellung, heisst es in der Petition (Kritikpunkte im Detail siehe Box).
Zu den Unterzeichnern gehören deutsche Schriftsteller, Lyriker oder auch der bekannte Journalismus-Ausbildner Wolf Schneider. Auch der Schweizer Ableger des Vereins wirbt auf Facebook für das Anliegen. Unterschrieben haben bereits SVP-Nationalrat Claudio Zanetti und Unternehmer Werner Kieser.
Im Pro und Kontra streiten ein Sprachwissenschaftler und eine Feministin über Sinn und Unsinn der Petition.
Pro: «Die Sprache verliert wichtige Funktionen»
Jürg Niederhauser, Vizepräsident des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache und Sprachwissenschaftler, teilt ein paar Bedenken der Petitionäre, nicht jedoch ihren Absolutheitsanspruch. Natürlich solle die Sprache alle mit einschliessen. Bei einer Anrede, in einem Stelleninserat oder einem Reglement sei die Nennung beider Geschlechter selbstverständlich.
Etliche Vorschläge für gendergerechten Sprachgebrauch seien jedoch nicht praktikabel und beraubten die deutsche Sprache wichtiger Funktionen, sagt Niederhauser. «Der Begriff ‹Lernende› bezeichnet eigentlich Personen, die gerade in diesem Moment am Lernen sind, nicht Personen, die eine bestimmte Berufslehre machen.»
Die Gendersternchen oder der Gender-Gap seien zudem nicht nur unschön, sondern hemmten den Lesefluss und machten das Schreiben und Lesen unnötig kompliziert, sagt Niederhauser. Es brauche Vorschläge, die auch im Sprachalltag praktikabel seien. «Man kann in der Hektik des Berufsalltags nicht über ein korrekt gegendertes Wort stundenlang brüten.» Bis sich brauchbare Vorschläge durchsetzen, empfiehlt Niederhauser das generische Maskulinum zu umgehen, indem man beide Formen nennt oder zwischen weiblicher und männlicher Form abwechselt.
Kontra: «Frauen sind eben nicht mitgemeint»
Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation LOS ortet bei den Petitionären verschiedene Denkfehler. Sie habe Verständnis dafür, dass sich viele durch die Veränderung der Sprache angegriffen fühlten. «Sprache ist Teil unseres Alltags und unserer Identität – es ist klar, dass sie aufregt.» Doch Sprache sei kein Museum, sie verändere sich ständig. Für sie ist klar: Belasse man die Sprache so, wie sie sei, würden Frauen und weitere Geschlechter selten mitgedacht.
Das Argument, dass zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht kein Zusammenhang bestehe, findet Rosenwasser «recht schwach»: Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass man eben die Frauen nicht mitmeine, wenn man etwa «Schauspieler» sage oder schreibe. Auch «lächerliche Sprachgebilde» kann Rosenwasser nicht ausmachen: Sie findet den Gender-Gap oder den Stern ästhetisch. «Auch ein neues Wort wie ‹Selfie› war zuerst ungewohnt, jetzt ist es etabliert und niemand stört sich daran.»
Sie spricht sich auch dafür aus, in der mündlichen Kommunikation entweder zwischen männlichen und weiblichen Formen abzuwechseln. «Und Mutige können dort, wo das Sternchen stehen würde, beim Reden eine Pause machen.»
Die Kritik im Detail
Grammatisches Geschlecht: Zwischen dem grammatischen und dem natürlichen Geschlecht bestehe kein Zusammenhang, argumentieren die Kritiker. Ihr Beispiel: Es störe niemanden, dass alles weibliche sich seit 1000 Jahren vom Wort «das Weib» ableite.
«Lächerliche» Sprachgebilde: «Studierende» oder «Fahrzeugführende» sind dem Verein ein Dorn im Auge. Denn etwa das Wort Studierende bezeichne keine Person, die studiert und sonst noch anderen Tätigkeiten nachgeht, sondern jemanden, der immerzu studiert.
Nicht durchzuhalten: Ein weiteres Argument ist, dass das Gendern nicht konsequent durchzuhalten sei und die Kommunikation hemme. Initiant Walter Krämer erklärte in der NZZ: Stellen Sie sich vor, Sie sehen abends im Fernsehen Werbung, und dann kommt der Hinweis: «Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin oder Ihren Apotheker oder Ihre Apothekerin.»
Wirkungslos: Gegenderte Sprache verhelfe Frauen nicht zu mehr Rechten, findet der Verein. Denn: Auch wenn im Grundgesetz nur von «Bundeskanzler» die Rede sei, sei Angela Merkel trotzdem Bundeskanzlerin geworden.