Schüler berechnen, wie viele Spitalbetten fehlen

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Coronavirus-PatientenSchüler berechnen, wie viele Spitalbetten fehlen

Zwei Kantischülerinnen haben berechnet, dass sich bis zu 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit dem Coronavirus anstecken werden. Sie fordern eine sofortige nationale Quarantäne.

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Giulia Keller (17) und Annina Gerber (18) schlagen Alarm. Die beiden Schülerinnen der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen schreiben in einem Brief an das Bundesamt für Gesundheit: «Nur noch eine zweiwöchige Quarantäne für die ganze Schweiz könnte unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch retten.»
Keller macht sich als Jugendliche zwar keine Sorgen um ihr eigenes Leben. «Aber um das Leben meiner Grosseltern», sagt sie.
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité schätzt, dass sich in Deutschland 60 bis 70 Prozent mit dem Coronavirus infizieren könnten. Andreas Cerny, ein Tessiner Arzt für Infektiologie, vermutet, dass es mehr Corona-Infizierte gibt, als bisher bekannt sind.
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Giulia Keller (17) und Annina Gerber (18) schlagen Alarm. Die beiden Schülerinnen der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen schreiben in einem Brief an das Bundesamt für Gesundheit: «Nur noch eine zweiwöchige Quarantäne für die ganze Schweiz könnte unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch retten.»

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Giulia Keller (17) und Annina Gerber (18) schlagen Alarm. Die beiden Schülerinnen der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen schreiben in einem Brief an das Bundesamt für Gesundheit: «Nur noch eine zweiwöchige Quarantäne für die ganze Schweiz könnte unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch retten.» Sie mache sich als Jugendliche zwar keine Sorgen um ihr eigenes Leben, sagt Keller. «Aber um das Leben meiner Grosseltern.» Der Bund solle noch heute eine Botschaft an die Bevölkerung herausgeben, dass alle Bürger analog zu Italien ihr Haus nur noch für die Arbeit, Essenseinkäufe und dringende Arztbesuche verlassen sollen.

Behauptung: Bis zu 5,9 Mio Infizierte

In der Schweiz gibt es mittlerweile 815 bestätigte Fälle (Stand 12. März 2020). Doch wie hoch ist die Dunkelziffer bisher nicht registrierter Infektionen? In ihrem Schreiben berufen sich die jungen Frauen auf verschiedene Studien, Experten und Berichte. Demnach würden sich bei ungeänderten Verhältnissen 30 bis 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit dem Coronavirus anstecken, was zwischen 2,5 und 5,9 Millionen Infizierten entspricht.

Experte

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité schätzt, dass sich in Deutschland 60 bis 70 Prozent mit dem Coronavirus infizieren könnten. Andreas Cerny, ein Tessiner Arzt für Infektiologie, dagegen sagt, dass es bislang noch keine Studien darüber gebe, wie viele Personen wirklich mit dem Coronavirus infiziert sind, «weil man die leichten Fälle gar nicht testet». Er vermutet, dass es mehr Corona-Infizierte gibt, als bisher bekannt sind. Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin schreibt in einer Medienmitteilung: «Wie viele Personen in den nächsten Wochen genau mit SARS-CoV-2 infiziert sein werden, hängt von der Effektivität der getroffenen Eindämmungsmassnahmen ab und ist schwierig abzuschätzen.»

Behauptung: Die Spitalbetten reichen nicht aus

Gehe man davon aus, dass 20 Prozent dieser Fälle an einer schweren Infektion litten oder zu kritischen Fällen gehörten, würden zwischen einer halben und einer Million Menschen unser Gesundheitssystem benötigen, schreiben Keller und Gerber. Die Schweizer Spitäler könnten aber auch im besten Fall mit 38'000 freien Betten nicht 510'000 Coronavirus-Patienten auf einmal beherbergen. Die beiden Schülerinnen kommen zum Schluss: «Unser Gesundheitssystem wird früher oder später zusammenbrechen.»

Experte

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) gibt es zurzeit in der Schweiz 82 von der SGI zertifizierte und anerkannte Intensivstationen. Dort stehen derzeit zwischen 950 und 1000 Betten zur Verfügung. Davon verfügen 800 bis 850 Betten über Beatmungsgeräte. «In Bezug auf die Intensivpflegekapazitäten sind die Möglichkeiten auch in der Schweiz beschränkt», sagt Patrick Mathys vom BAG. Die Spitäler könnten jetzt zusätzliche Plätze schaffen, indem sie nicht nötige Eingriffe absagten.

Im Kanton Tessin ist das Spital Locarno zuständig für die schweren Corona-Fälle. «Es gibt dort verschiedene Ausbaumöglichkeiten», erklärt Infektiologe Cerny. Ob diese ausreichen, hänge davon ab, wie sich die neuen Massnahmen und Medikamente auf die Epidemie auswirken würden. «Wir werden aber ähnliche Phänomene erleben wie in anderen vom Corona-Virus betroffenen Ländern», sagt Cerny. Es könne also auch hierzulande zur Bettenknappheit kommen. Das BAG konnte die Fragen aus Kapazitätsgründen nicht beantworten.

Behauptung: Schutzmaterial reicht nicht aus

Ausserdem sorgen sich die Schülerinnen um ausreichendes Schutzmaterial. «Nicht nur Mundschutz fehlt, auch Desinfektionsmittel und selbst Alkohol werden knapp, und ein hygienisches Arbeiten ohne erhöhtes Ansteckungsrisiko des Gesundheitspersonals ist kaum noch möglich», schreiben die Schülerinnen. Giulia Keller glaubt, dass dadurch weniger gesunde Fachkräfte zur Verfügung stehen werden, die sich um die Schweizer Bevölkerung kümmern können. «Wenn es so weitergeht, werden unsere Spitäler überfüllt sein und es wird unnötig viele Opfer geben», so Keller.

Experte

Bei den Beatmungsplätzen könnte es durchaus zu einem Engpass kommen, sagt Infektiologe Cerny. «Der Bedarf ist sehr gross und wir wissen nicht, wie schnell sich die Epidemie hierzulande ausbreitet», erklärt er. In einigen Regionen in Norditalien konnten Patienten nicht mehr beatmet werden, weil es einen Materialengpass gab. «Vor diesem Szenario haben wir alle Angst», sagt Cerny. «Wir müssten sofort die Totalität der Massnahmen einsetzen, um eine Weiterverbreitung zu verhindern», so der Infektiologe. Niemand sei immun gegen das Virus, daher müsste man per sofort die Schweiz zur roten Zone erklären und nicht erst langsame Massnahmen einfügen, die zur weiteren Verbreitung des Virus beitragen. «Wir müssen uns an Italien oder China orientieren. Sie haben schnell und gut gehandelt, um das Virus in den Griff zu bekommen.»

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