Entsetzen und Freude nach Kopftuch-Urteil

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St. GallenEntsetzen und Freude nach Kopftuch-Urteil

Das St. Galler Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde einer muslimischen Familie gut. Ob das Urteil weitergezogen wird, ist noch offen.

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qll/dia
Die Beschwerde einer muslimischen Familie wurde gutgeheissen.

Die Beschwerde einer muslimischen Familie wurde gutgeheissen.

Vor dem St. Galler Verwaltungsgericht argumentierte die aus Bosnien stammende Familie mit der Religionsfreiheit. Das Mädchen war als Sechstklässlerin mit Kopftuch in der Primarschule in St. Margrethen erschienen. Darauf erliess die Schulgemeinde, gestützt auf eine Empfehlung des Kantons, ein Verbot für Kopfbedeckungen.

Die Schülerin blieb dem Unterricht eine Zeit lang fern und erarbeitete den Schulstoff selbständig zu Hause. Zwischenzeitlich durfte sie, nach einem Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts, provisorisch mit Kopftuch zur Schule gehen. Am Mittwoch hiess das Verwaltungsgericht nun die Beschwerde der Familie gut.

Islamischer Zentralrat ist nicht euphorisch

Der Islamische Zentralrat (IZRS) zeigt sich erfreut über das Urteil: «Das Tragen eines Kopftuches auch in der Schule ist für praktizierende muslimische Mädchen von grosser Bedeutung», heisst es in einer Mitteilung. «Wir sind sehr erfreut über das Urteil», sagt Ferah Ulucay, Generalsekretärin des IZRS. Dennoch herrsche keine Euphorie unter den Muslimen, weil sie zwar auf rechtlicher Ebene gewonnen hätten, auf gesellschaftlicher und politischer Ebene aber werde das Kopftuch weiterhin abgelehnt. «25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wird eine mentale Mauer gebaut», sagt Ulucay. «Und zwar gegen den Islam und die Muslime, insbesondere gegen die muslimischen Frauen.»

Die SVP ist überrascht und befremdet über das Urteil des Verwaltungsgerichts, denn das islamische Kopftuch sei ein klares Symbol der Abgrenzung. Die Argumentation des St. Galler Verwaltungsgerichts, ein Kopftuchverbot in den Schulen könnte erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn der Religionsfriede ernsthaft gefährdet sei, sei völlig weltfremd, schreibt die SVP St. Gallen am Mittwoch in einer Medienmitteilung.

«Ich bin entsetzt. Ein solcher Entscheid gefährdet die Demokratie und die Integration in diesem Land», sagt SVP-Kantonsrat Mike Egger. Er könne es überhaupt nicht nachvollziehen. Diese Familie habe sich vielen Massnahmen zur Integration widersetzt, etwa durch die Verweigerung der Teilnahme am Schwimmunterricht. Er werde deshalb die Urteilsbegründung genau prüfen, so Egger. Er hoffe, dass der Schulrat den Fall weiter an das Bundesgericht ziehen werde.

Legislative ist gefordert

Der Schulrat St. Margrethen zeigt sich ebenfalls enttäuscht vom Urteil. Für Befremden sorgt die Kurzbegründung des Gerichtspräsidenten. Aus dieser gehe hervor, dass die vorhandene gesetzliche Grundlage in Form der Schulordnung klar genüge. Hingegen ist das Gericht der Ansicht, dass die Anwendung des Verbots auf religiös motivierte Kleidungsstücke «zur Zeit unverhältnismässig» sei und erst dann in Erwägung gezogen werden könne, wenn der Religionsfriede ernsthaft gefährdet sei.

Durch diese Sichtweise werde die grassierende Rechtsunsicherheit nicht beseitigt, so der Schulrat. Genau das habe man sich von einem Gerichtsurteil aber erhofft. Der Ball liege nun bei der Legislative. Ob ein Weiterzug an das Bundesgericht in Lausanne erfolgen soll, bleibe vor diesem Hintergrund offen und sei zu prüfen.

Beim Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen nimmt man das Urteil zur Kenntnis. Man sei aber überrascht, so Generalsekretär Jürg Raschle. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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