18 Monate Haft für Carlos«Verwahrung könnte ein Thema werden»
Der Jugendstraftäter Carlos muss erneut ins Gefängnis. Weiter muss der 21-Jährige dem Opfer seiner Faustschlag-Attacke eine Genugtuung von 3000 Franken zahlen.
Staatsanwalt Marcel Bärlocher spricht über das Urteil gegen Carlos. (Video: jen)
Mit einem auffälligen roten Trainer betrat Carlos* am Montagmorgen den Gerichtssaal im Bezirksgericht Zürich. Dort wurde der 21-Jährige wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Er hatte im März letzten Jahres einem Bekannten einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Zudem muss er dem Opfer eine Genugtuung von 3000 Franken bezahlen.
«Man fragt sich, was man mit Ihnen machen soll»
Unter anderem begründete der Richter das Urteil damit, dass der Faustschlag «heftig» gewesen sei. Carlos habe in Kauf genommen, dass der Geschädigte lebensbedrohliche Verletzungen hätte davontragen können. Strafmildernd wirkte sich die Tatsache aus, dass Carlos vermindert schuldfähig ist.
Trotzdem sagte der Richter: «Das war ein unehrenhaftes und bedenkliches Verhalten.» Und er fügte bei der Urteilsverkündung an: «Man fragt sich schon, was man mit Ihnen machen soll. Wir sind ziemlich ratlos.» Zudem ermahnte er Carlos: «Verwahrung ist momentan kein Thema. Aber sie könnte schon zu einem werden.»
Carlos findet persönliche Fragen «lächerlich»
Das Interesse an der Urteilsverkündung und der Verhandlung war gross: Neben den Konfliktparteien und den Journalisten waren auch Kollegen von Carlos anwesend. Dieser wirkte vor Gericht anfangs nervös. Er blickte immer wieder ins Publikum, beantwortete der Fragen zu seinen Personalien mit leiser Stimme.
Als der Gerichtspräsident ihn fragte, wie es ihm heute gehe, sagte Carlos: «Mir geht es gut, mir geht es immer gut.» Mit jeder weiteren Frage zu seiner Person wurde er aber gereizter: «Sie, es geht hier um meinen Fall, um schwere Körperverletzung, nicht um mein Leben», sagte er zum Richter. Dieser entgegnete: «Wir brauchen aber Einblick in Ihr Leben, in Ihre Persönlichkeit.» Carlos erwiderte: «Ich finde das lächerlich.»
«Die Haft ist wie Folter»
Als der Gerichtspräsident Carlos mit den Vorwürfen zur Tat konfrontierte, gab er keine Antwort mehr. Ab und an verteidigte sich Carlos und sagte Sachen wie: «Ich habe mich vom Bekannten angegriffen gefühlt. Deshalb habe ich geschlagen.» Grösstenteils blieben die Fragen des Gerichtspräsidenten aber unbeantwortet.
Redseliger wurde Carlos, als er nach den Haftbedingungen in Pfäffikon ZH gefragt wurde: «Das ist wie Folter. Einmal haben sie mir die Bettdecke weggenommen. Ich lag nur im T-Shirt da. Und sie gaben mir nur Brot und Wasser.» Der Gerichtspräsident fragte ihn, ob er denn daran unschuldig sei. Carlos sagte, dass der Vorfall, der dazu geführt habe, nicht seine Schuld gewesen sei. Ein Mithäftling habe ihm ins Essen gespuckt. Er habe ihm daraufhin ins Gesicht gespuckt.
Thema war auch ein psychologisches Gutachten zu Carlos. Dieses ergab, dass er an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet. Der Gerichtspräsident fragte, ob Carlos wisse, was das sei. Carlos sagte: «Das interessiert mich nicht.» Er habe kein Problem, und wenn, dann nur wegen der Haft: «Durch die Haftbedingungen wird man psychisch krank.»
Staatsanwalt fände Verwahrung unangemessen
Nach der Befragung von Carlos hielt Staatsanwalt Martin Bärlocher sein Plädoyer. Er forderte wegen schwerer Körperverletzung 30 Monate Haft für Carlos. Das Opfer habe sich nicht wehren können und Carlos habe ihm massive Verletzungen zugefügt, etwa einen Kieferbruch. «Carlos weiss durch seine Kampfsporterfahrung, wie gefährlich solche Faustschläge sein können. Das war eine feige Tat von ihm», sagte Bärlocher.
Auch die Frage nach einer Verwahrung stand im Raum. Staatsanwalt Bärlocher sagte dazu: «Eine Verwahrung ist nicht angemessen. Würde es aber zu einer erneuten Tat kommen, muss eine Verwahrung geprüft werden.»
Ähnlich wie Bärlocher bewertete die Anwältin des Opfers den Fall: Sie forderte eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und eine Genugtuung in der Höhe von 10'000 Franken. Wegen des Schlags von Carlos habe sich das Opfer zwei chirurgischen Eingriffen unterziehen müssen. Rund sechs Wochen lang habe er nur pürierte Kost zu sich nehmen können, sagte sie.
«Haftbedingungen sind entwürdigend»
Anders beurteilte Marcel Bosonnet, Anwalt von Carlos, die Tat: Er bestritt, dass das Opfer bewusstlos gewesen sei, und auch die Schwere des Faustschlags. Das Opfer habe keine lebensbedrohlichen Verletzungen davongetragen. Er plädierte auf einfache Körperverletzung und eine maximale Freiheitsstrafe von 12 Monaten.
Neben der Tat von Carlos standen die Haftbedingungen weiter im Fokus des Plädoyers von Bosonnet – obschon diese nichts mit dem Prozess zu tun hatten. «Er hatte einen Monat keine Matratze, musste einen Monat auf dem kalten Boden schlafen. Neun Tage lang hatte er keine Decke», so der Anwalt. Zudem habe Carlos kein Essen bekommen, nur dreimal am Tag Brot. Er habe während 24 Stunden Fussfesseln tragen müssen, obwohl er isoliert gewesen sei und keinen Hofgang gehabt habe. Und er habe keine Lektüre, kein Fernsehen, nichts zum Schreiben, überhaupt gar nichts gehabt. «Das ist entwürdigend», sagt Bosonnet. Es sei deshalb eine Untersuchung veranlasst worden.
«Kein Beweis, dass ich ihm den Kiefer gebrochen habe»
Auch das einstige Sondersetting von Carlos, das monatlich rund 29'000 Franken kostete, war ein Thema. Bosonnet: «Dieses war erfolgreich. Auch wenn es teuer war. Aber zum ersten Mal hat sich Carlos an die Regeln gehalten und schulische Fortschritte gemacht.»
Zu den Ausführungen von Bosonnet sagte der Staatsanwaltschaft Bärlocher: «Wir dürfen uns nicht auf Nebenschauplätze begeben. Es geht heute einzig um die schwere Körperverletzung, wegen der Carlos angeklagt ist.»
Und zu dieser sagte Carlos in seinem Schlusswort: «Es gibt keinen Beweis, dass ich ihm den Kiefer gebrochen habe. Nur das will ich dazu sagen.»
*fiktiver Name, der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.