«Time-out»Eine wundersame Geschichte aus Basel
Karl Odermatt kehrte einst mit 40 Jahren auf das Feld zurück. Jetzt wird eine ähnliche Geschichte in der zweitgrössten Stadt der Schweiz geschrieben. Aber kaum einer merkt es.

Adrien Plavsic (l.) gibt auf dem Eis für Basel als «Lehnstuhllibero» alles.
Seine Karriere geht im Frühjahr 2008 zu Ende. Verschiedene Bresten nötigen Adrien Plavsic im Alter von 38 Jahren zum sportlichen Ruhestand. Er hat viel erlebt, nationale und international. 1992 steht er zusammen mit dem späteren Hockeyweltstar Eric Lindros mit Kanada im Olympiafinale (1:3 gegen Russland). Später verteidigt er in der NHL und mit den ZSC Lions wird er zweimal Meister (2000 und 2001) ehe er in Basel seine Karriere ausklingen lässt und den Job des Assistenztrainers bekommt.
Und nun ist Adrien Plavsic wieder da. Im Alter von 40 Jahren ist er zu Beginn dieser Saison nach zweijähriger Pause aufs Eis zurückgekehrt und einer der wichtigsten Feldspieler beim NLB-Team EHC Basel Sharks geworden. Er checkt nicht mehr mit dem Körper. Sondern mit dem Gehirn: Er ist schlauer als seine Gegenspieler. Adrien Plavsic lässt dem Puck Zeit, zu ihm zu kommen. Er rennt der Hartgummischeibe nicht mehr hinterher. Die Verteidigerrolle interpretiert er eher, so weit das halt im Eishockey möglich ist, wie ein Fussball-Lehnstuhllibero. Er braucht keine langen Wege zu laufen. Weil er meistens ahnt, wohin der Puck kommen wird und schon dort steht. Auch im Powerplay und in Unterzahl.
Erinnerungen werden wach
Moment mal, habe ich nicht schon mal so einen Spieler, einen Basler, in so einer Rolle gesehen? Ja, richtig. Aber nicht im Eishockey. Im Fussball. Vor bald 30 Jahren. Erinnerungen werden wach an eine der besten Geschichten, die der Lokalfussball in diesem Lande je geschrieben hat.
Karl Odermatt, Basels grösster Sportler aller Zeiten, hat seine Karriere bei den Young Boys in Bern Ende der 1970er Jahre abgeschlossen. Er trifft sich noch hin und wieder mit einigen Freunden zum Plauschfussball. Einer dieser Freunde ist Herbert «Bobby» Kaufmann, der Trainer des Berner Erstligisten FC Herzogenbuchsee (heute 2. Liga). Es ist, wenn ich mich richtig erinnere, die Saison 1981/82. Odermatt ist 40 Jahre alt, im gleichen Alter wie heute Plavsic. Der Legende nach habe ihn Kaufmann gefragt: «Wir sind am Absteigen. Mir fehlt der Mut, mich im Dorf zu zeigen, Kannst du nicht bei uns aushelfen?» Es ist ein Zufall, dass der aktuelle Manager beim Hockeyunternehmen Basel auch Kaufmann heisst. Beat Kaufmann. Die beiden sind nicht verwandt.
Wie Odermatt Herzogenbuchsee rettete
Karl Odermatt überlegt nicht lange. Schnürt die Fussballschuhe wieder. Und übernimmt beim FC Herzogenbuchsee ziemlich genau die gleiche Rolle wie Adrien Plavsic heute bei den Sharks in Basel: Lehnstuhllibero. «Karli» lässt dem Ball Zeit, um zu ihm zu kommen. Er braucht keine langen Wege zu laufen. Weil er meistens ahnt, wohin der Ball kommen wird und schon dort steht.
Ich habe «Karli» bei «Buchsi» noch gesehen. Der vielleicht grösste Schweizer Fussballer aller Zeiten als Lehnstuhllibero, als pfiffiger, schlauer und oft genialer Denker und Lenker einer der kampfstärksten Rumpelmannschaften der bernischen Erstligageschichte. Am Ende der Saison kommt es zum Entscheidungsspiel um den Ligaerhalt. Gegen den FC Unterstrass aus Zürich. Dort steht die GC-Legende René Deck, 37 Jahre alt, im Tor. «Karli» zirkelt ihm zwei Bälle ins Netz, der krasse Aussenseiter Herzogenbuchsee gewinnt sensationell 5:1 und bleibt oben. Sporterinnerungen für die Ewigkeit.
Plavsic und Basel stoppen das offensivstärkste Team
Und nun also Adrien Plavsic, gleich alt wie damals Odermatt, als pfiffiger, schlauer und oft genialer Denker und Lenker einer der kampfstärksten Rumpelmannschaften der neueren NLB-Geschichte. Soeben haben die Basler am Dienstagabend gegen Olten 2:1 nach Penaltyschiessen gewonnen. Unter der Regie von Plavsic haben sie der offensiv stärksten Mannschaft der NLB den Strom abgestellt. Zum ersten Mal in dieser Saison sind die Oltner die ersten zwei Drittel eines Spiels ohne Torerfolg geblieben. 1225 Zuschauer sind in die St. Jakobarena gekommen. Ich bin fast sicher: So viele waren wir damals auf dem Fussballplatz Waldäcker zu Herzogenbuchsee auch. Oder fast so viele. Um ein wundersames Kapitel Fussballgeschichte zu erleben. Um Karl Odermatt, den «Fussball-Gott» zu sehen.
Der Kanadier Plavsic hat heute den Schweizer Pass (durch Heirat und Einbürgerung) und ist mit seiner Familie in Basel heimisch geworden.
In der Stadt von Karl Odermatt. Adrien Plavsic, der Karl Odermatt des Eishockeys.