10 916 Meter unter Meer

Aktualisiert

Tauchgang der Superlative10 916 Meter unter Meer

Vor 50 Jahren stellten zwei Männer einen Rekord auf, der bis heute nie überboten wurde: In einer winzigen Stahlkugel tauchten der Schweizer Jacques Piccard und der Amerikaner Donald Walsh auf den Grund des Marianengrabens, elf Kilometer unter der Meeresoberfläche.

von
Daniel Huber

Am 23. Januar 1960 um 8:23 Uhr Ortszeit versank ein merkwürdiges Gebilde in den Fluten des Pazifischen Ozeans, rund 500 Kilometer südwestlich der Marianen-Insel Guam. Hier verläuft der Marianengraben, eine Tiefseerinne, in der sich mit der Witjastiefe (11 034 m) die tiefste bekannte Stelle der Weltmeere befindet. Knapp elf Kilometer unter der Wasseroberfläche herrschen wahrhaft beengende Verhältnisse: Der Druck von 1170 bar ist über 1100 Mal höher als der mittlere Luftdruck auf Meereshöhe. Das bedeutet, dass in dieser Tiefe auf jedem Quadratzentimeter der Aussenhülle eines Tauchgeräts eine Tonne Gewicht lastet.

Tauchfahrt in finstere Tiefen

Auguste Piccard, ein Schweizer Wissenschaftler und Erfinder aus berühmter Familie, hatte dieses Gebilde entworfen, das nun solch zermalmenden Kräften trotzen sollte. Der Bathyskaph «Trieste» (von griech. «bathos», «Tiefe», und «skaphos», «Schiff») bestand aus einem benzingefüllten Auftriebskörper, unter dem die eigentliche Druckkammer hing, eine von der Firma Krupp in Essen gefertigte Stahlkugel. In dem engen Druckkörper sanken zwei Männer in die finstere Tiefe: Jacques Piccard, der Sohn von Auguste, und der amerikanische Ozeanograph und Marine-Leutnant Donald Walsh.

Den beiden war klar, dass sie dabei waren, Geschichte zu schreiben. Ihr Tauchgefährt, die «Trieste», hatte schon im September 1953 einen Tieftauch-Rekord aufgestellt: Im Tyrrhenischen Meer bei Ponza waren Vater Auguste und Sohn Jacques an Bord des Bathyskaphen in eine Tiefe von 3150 Meter vorgestossen. Dieser Rekord war aber schon im Jahr darauf von einem französischen Tauchboot übertroffen worden, das vor der Küste Senegals über 4000 Meter Tiefe erreichte. Jetzt aber, mit einer an grössere Tiefen angepassten «Trieste», hatten sich die wagemutigen Forscher ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Sie wollten in eine Tiefe vorstossen, die ziemlich genau der maximalen Belastungskapazität ihrer Druckkammer (± 11 000 m) entsprach.

Letzte Grüsse am Unterwassertelefon

Viereinhalb Stunden dauerte der Sinkvorgang, dann stoppte die «Trieste» in einem Sicherheitsabstand von vier Metern über dem Meeresboden. Zwanzig Minuten verbrachten die Forscher in der grössten jemals von Menschen erreichten Tiefe: 10 916 Meter unter dem Meeresspiegel. In der lebensfeindlichen Ödnis auf dem Grund des Marianengrabens entdeckten sie tatsächlich einen Plattfisch — eine wissenschaftliche Sensation.

Der Sauerstoff an Bord hätte für maximal zwei Tage gereicht; als Proviant hatten die beiden lediglich einige Tafeln Schokolade dabei. Tatsächlich sagte Jacques Piccard ein gutes Jahr vor seinem Tod in einem Interview mit dem «NZZ Folio» zur Frage nach dem Notvorrat an Bord der «Trieste»: «Wenn wir nicht mehr hätten aufsteigen können, wäre uns nichts mehr geblieben, als am Unterwassertelefon Grüsse an unsere Familien und Freunde auszurichten.»

Unerreichter Rekord

Auguste Piccard hatte die «Trieste» jedoch so konstruiert, dass solche fatalen Szenarien tunlichst unterbleiben sollten. Der in Italien hergestellte Bathyskaph, der 1953 vom Stapel gelaufen und 1958 von der US-Marine übernommen worden war, wurde durch den Ballast in Form von Stahlkugeln in die Tiefe gezogen. Die Behälter mit dem Ballast waren durch einen elektromagnetisch betriebene Vorrichtung verschlossen; im Falle eines Stromausfalls fielen die Kugeln heraus und der Bathyskaph wurde von seinem Auftriebskörper, einem mit 110 Tonnen Benzin gefüllten zylinderförmigen Blechtank, an die Oberfläche getragen.

Der Notfall trat indes nicht ein. Nach dreieinhalb Stunden regulärer Auftauchzeit erreichte die «Trieste» mit den beiden Männern heil und unbeschadet die Wasseroberfläche. Von ihrem Ausflug in die dunkelsten Tiefen des Ozeans gibt es keine Bilder; Piccard und Walsh hatten bei ihrem Rekord-Tauchgang keine Kamera dabei.

Es dauerte 35 Jahre, bis wieder ein Tauchboot in ähnliche Tiefen vordrang: Das japanische U-Boot «Kaiko» sammelte Sedimentproben vom Boden des Marianengrabens. Doch die «Kaiko» war unbemannt — der Rekord von Piccard und Walsh blieb unangetastet.

Die Piccards: Eine Wissenschaftler- und Abenteurer-Familie

Auguste (1884-1962), Physik-Professor in Zürich und Brüssel, brach Rekorde; zuerst in die andere Richtung: 1932 stieg er in einem Gasballon von Dübendorf aus in 16 940 Meter Höhe auf.

Bertrand (*1958), eigentlich ein Psychiater, ging auf Rekordjagd: Zusammen mit Brian Jones umkreiste er 1999 als erster Mensch die Erde in einem Ballon.

Auguste Piccard gilt als Vorbild für die Figur des Professors Bienlein (Professeur Tournesol) im Comic «Tim und Struppi» des belgischen Zeichners Hergé. Nach seinem Bruder Jean-Felix wurde die Figur des Captain Jean-Luc Picard aus der Science-Fiction-Fernsehserie «Star Trek – The Next Generation» benannt.

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