In Kiew pulsiert das Leben, im Donbass regiert der Krieg

Aktualisiert

20 Minuten vor OrtIn Kiew pulsiert das Leben, im Donbass regiert der Krieg

Schwärze und bleiche Kindergesichter: Das Leben im Donbass steht in einem unheimlichen Kontrast zum hochsommerlichen Kiew.

Laden in Kramatorsk, bevor er um 20 Uhr schliesst. Die Ausgangssperre gilt seit eineinhalb Jahren ab 21 Uhr.

Laden in Kramatorsk, bevor er um 20 Uhr schliesst. Die Ausgangssperre gilt seit eineinhalb Jahren ab 21 Uhr.

20 Minuten/Ann Guenter

Darum gehts

  • In Kramatorsk und Slawjansk lebten vor dem Krieg über 160’000 Menschen.

  • Mittlerweile ist die Mehrheit geflohen, jetzt prägen vor allem Senioren und Soldaten die Stadtbilder.

  • Der kurze Besuch im Donbass erinnert an das «Tal der Dämmerung» aus «Jim Knopf» – der Kontrast zum hochsommerlichen Kiew könnte nicht grösser sein. 

Für einen Besuch an einer Übung der 57. Mechanisierten Brigade der ukrainischen Armee reiste 20 Minuten in den Osten der Ukraine. Der Kontrast zum hochsommerlichen Alltag der Hauptstadt könnte nicht ernüchternder sein. In Kiew pulsiert das Leben, im Donbass regiert der Krieg.  

Eingeprägt haben sich die pechschwarzen Strassen in Kramatorsk und Slawjansk. Die Strassenbeleuchtung in beiden Grossstädten bleibt seit eineinhalb Jahren ausgeschaltet, sie würde von oben wie eine beleuchtete Piste nur Ziele freigeben. Auch aus den Wohnungen der Wohnblöcke dringt kaum Licht, viele Fenster sind zum Schutz zugenagelt und abgeklebt.

In dieser Region funkeln Starlink-Satelliten am Sternenhimmel. Das Grollen von Raketenbeschüssen lässt in Hinterhöfen Hunde bellen, doch für die Menschen hier ist das bereits vertrauter Alltag. Anders als in Kiew, wo die Ausgangssperre erst ab Mitternacht in Kraft tritt, gilt sie in den Städten der Frontregion schon ab 21 Uhr. 

Tarnfarbene SUVs und Uralt-Ladas

Bis dahin sind auf den Strassen erstaunlich viele junge Menschen zu sehen, vor allem aber viele Senioren und Energydrink-sippende Soldaten. Der Alkoholverkauf ist im Oblast Donezk seit Kriegsbeginn verboten. An den Checkpoints werden Fahrzeuge danach durchsucht.

Nicht, dass die Bussen alle abschreckten. Wein und Whiskey aus dem angrenzenden Oblast Dnipropetrowsk werden aus Kellern von Privathäusern verkauft und jeder weiss, wie er sein Bier unter dem Tresen herkriegt.

Auf der Hauptstrasse, die Kramatorsk und Slawjansk verbindet, rasen neben den tarnfarbenen SUVs auch die Uralt-Ladas, so gut sie können. Niemand fährt diese Strecke gerne oder langsam, weil sie durch ein Industriequartier führt, das wiederholt ins Visier russischer Geschosse geraten ist. Auch 20 Minuten erlebte das im September vergangenen Jahres.

Bleiche Kindergesichter

Was einem nach der kurzen Zeit auch auffällt, gerade nach der Zeit im sommerlichen Kiew, sind die bleichen Gesichter der Menschen im Donbass, gerade die der Kinder: An ihnen ist der Sommer vorbeigezogen, sie verbrachten ihn bereits zum zweiten Mal vornehmlich im Innern. 

Auf dem Rückweg nach Kiew bleibt Zeit, die Eindrücke setzen zu lassen. Sechs Stunden ist man unterwegs, in der ersten Klasse für umgerechnet 25 Franken. Wenn man will, kann man sich gegen einen kleinen Aufpreis Kaffee, Tee oder bereits zubereitete Fertignudeln an den Platz bringen lassen. Die Laune hebt sich, und doch: Die Ankunft in der sonnigen Hauptstadt bleibt überschattet von der Stimmung aus dem düsteren Donbass.

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