50 Franken für einen Bagatellbesuch auf dem Notfall

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Notfallstationen50 Franken für einen Bagatellbesuch auf dem Notfall?

Das Parlament will Notfallstationen durch eine Gebühr entlasten. Die Gesellschaft für Notfallmedizin und der Ärzteverband lehnen das ab. 

Notfallstationen in Schweizer Spitälern sind massiv überlastet, das Personal ist am Limit. Nun prüft die Bundesverwaltung Varianten einer Art Bagatell-Taxe. Wer wegen einer Bagatelle den Notfall aufsucht, soll 50 Franken zahlen.
Aus der Gesundheitsbranche beurteilt man das Vorhaben jedoch kritisch. Es sei wenig wirksam und treffe womöglich die Falschen, sagen der Ärzteverband und die Gesellschaft für Notfallmedizin.
Triage auf der Notfallstation im Universitäts-Kinderspital beider Basel.
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Notfallstationen in Schweizer Spitälern sind massiv überlastet, das Personal ist am Limit. Nun prüft die Bundesverwaltung Varianten einer Art Bagatell-Taxe. Wer wegen einer Bagatelle den Notfall aufsucht, soll 50 Franken zahlen.

20min/Janina Schenker

Darum gehts

  • Die Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK-N) beauftragt die Bundesverwaltung, eine Gebühr für Notfall-Behandlungen rechtlich zu prüfen.

  • Zwei Varianten stehen zur Debatte. Unter 16-Jährige und Schwangere wären bei beiden befreit.

  • Die Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin sowie der Ärzteverband lehnen das Anliegen ab.

Notfallstationen am Limit – eine Tatsache seit Monaten. So mussten mehrere Spitäler Aufnahmestopps verfügen, weil sie schlicht keinen Platz mehr hatten. So etwa die Spitäler Oberwallis, Baselland, Uster und Bülach. Das Spital Limmattal berichtete von rund 100 Patienten pro Tag im letzten Jahr, 15 Prozent mehr als 2021. Die Zahlen seien letztes Jahr kontinuierlich gestiegen – und im Dezember explodiert, schrieb die «Limmattaler Zeitung». 

Das Parlament will jetzt die Notfallstationen durch eine Gebühr entlasten. Die Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK-N) hat vergangene Woche Varianten skizziert. Ziel sei es, einen finanziellen Anreiz zu schaffen, bei Bagatellfällen seltener den Notfall aufzusuchen, heisst es in der Medienmitteilung.

Fraglich ist, ob eine solche Gebühr mit der Verfassung vereinbar wäre (siehe Box). Die Verwaltung prüft die beiden Varianten deshalb auch auf die Verfassungsmässigkeit:

Variante 1: Wenn eine Person aufgrund eines Bagatellfalls den Notfall aufsucht, muss sie eine Lenkungsabgabe zahlen, beispielsweise 50 Franken. Das ist der Vorschlag, den der frühere GLP-Nationalrat Thomas Weibel in seiner parlamentarischen Initiative gemacht hat. Personen, die aufgrund eines tatsächlichen Notfalls kommen, wären befreit. Was genau ein Notfall ist, steht im Gesetz (siehe Box).

Variante 2: Der Selbstbehalt wird um 50 Franken erhöht, wenn eine Person den Notfall aufsucht, ohne von einer Ärztin, einem Zentrum für Telemedizin oder einem Apotheker dorthin geschickt worden zu sein.

Schwangere und unter 16-Jährige wären bei beiden Varianten befreit. 

«Zu viele Bagatellfälle im Notfall»

«Es hat zu viele Fälle in der Notfall-Aufnahme, die keine echten Notfälle sind», sagt SVP-Nationalrat und Kommissionsmitglied Thomas Aeschi. «Wir denken deshalb, dass ein Triage-System durch eine Notfall-Taxe wichtig ist. Das System sei relativ einfach und eine Taxe von 50 Franken vergleichsweise moderat. «Wer in Dubai oder in den USA ein Spital betritt mit einem Herzinfarkt, muss zuerst die Kreditkarte zeigen.»

Ist die Notfall-Taxe verfassungskonform?

Bei offensichtlichen Notfällen würde die Taxe nicht erhoben, sondern nur bei unklaren oder Bagatellfällen. In Fällen, die sich nachträglich als Notfall herausstellen, bekäme die Person die 50 Franken zurück. 

Anders sieht es SP-Nationalrätin und Kommissions-Vizepräsidentin Barbara Gysi. Eine solche Gebühr bringe nichts, die Verwaltung werde unnötig beschäftigt, sagt sie. Man müsse die Triage verbessern und die Hausärzte sowie die telemedizinische Beratung stärken. «Wir werden alles daran setzen, dass das abgelehnt wird.»

«Notfälle sind keine Mautstationen»

Support bekommt Gysi von der Gesundheitsbranche. Die Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin lehnt die Notfall-Taxe entschieden ab, wie sie in einer Medienmitteilung schreibt. Der Begriff «Bagatellfälle» sei unklar, die Massnahme drohe die Falschen zu treffen und die Gebühr sei in der Praxis kaum umsetzbar. «Notfälle sind keine Mautstationen.»

Auch die FMH ist dagegen, wie sie schon im Hearing bei der SGK gesagt habe, so Präsidentin Yvonne Gilli. Aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte sei die Notfall-Taxe nicht sinnvoll, nicht wirksam. Und wenn doch, dann stelle sich die Frage: «Wer kommt dann nicht mehr? Wirklich die Bagatellfälle oder diejenigen, welche sich vor den Kosten scheuen, die aber unbedingt kommen müssten?» Ein fälschlicherweise als Bagatelle eingeschätzter Notfall könne grosse Mehrkosten und Folgeschäden verursachen. 

Den Spitälern brächte die Taxe zusätzlichen administrativen Aufwand, womöglich Inkasso-Fälle und auch noch Rechtsstreitigkeiten, sagt Gilli. Grundsätzlich bestimme der Patient, ob er ein Notfall ist. Oft könne ein Fall erst nach der Abklärung korrekt beurteilt werden. «Vielmehr sollten die Leute befähigt werden, sich selber zu helfen oder am richtigen Ort Hilfe zu holen.»  

Ist eine Notfall-Taxe nötig?

Notfallstationen

Was ist ein Notfall und was eine Bagatelle?

Laut Gesetz wird ein Notfall so definiert: «Eine Notfallbehandlung liegt vor, wenn die Behandlung nicht aufgeschoben werden kann. Dies ist der Fall, wenn die versicherte Person ohne sofortige Behandlung gesundheitliche Schäden oder den Tod befürchten muss oder die Gesundheit anderer Personen gefährden kann.»

Es sei nicht möglich, Notfälle von Bagatellfällen generell zu unterscheiden, bevor eine Fachperson den Patienten gesehen und eventuell Abklärungen getroffen hat, sagt Yvonne Gilli. «Praktisch jede lebensgefährliche Infektionskrankheit beginnt mit harmlosen Symptomen. Im Zweifelsfall wird eine Ärztin deshalb einen Notfall nicht als Bagatelle beurteilen.» Yvonne Gilli ordnet einige Beispiele ein:

Fieber: «Bei einem Kind mit Erkältung, das eine Nacht lang 39 Grad Fieber hat, kann man eher zuwarten, sofern die Eltern den Allgemeinzustand des Kindes einschätzen können.»
Blutende Wunde am Kopf: «Es ist unsicher, ob sie genäht werden muss. Deshalb ist es ein Notfall, weil man das nicht beurteilen kann. Erst nach der Triage.»
Bein oder Arm gebrochen: «Ein Verdacht auf eine Fraktur tut in der Regel derart weh, dass es ohnehin ein Notfall ist.»

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