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Schwangerschaftsabbrüche56 Frauen brachen Schwangerschaft nach dem fünften Monat ab

Die meisten Abtreibungen werden in den ersten zwölf Wochen durchgeführt. Manche aber auch erst nach der 23. Woche. Dabei handle es sich meistens um Fälle, in denen das Kind schwere Missbildungen hat, sagt Ärztepräsidentin Yvonne Gilli. 

Der Schwangerschaftstest zeigt positiv an:  Ungewollte Schwangerschaften werden in 95 Prozent der Fälle in den ersten zwölf Wochen abgebrochen.
Der Anteil medikamentös durchgeführter Abbrüche steigt, was ein positives Indiz sei, sagt Ärztepräsidentin Yvonne Gilli. Denn das bedeute, dass die Abbrüche immer früher stattfinden.
Bei späten Abtreibungen (ab der 23. Woche) handle es sich meistens um Fälle, in denen das Kind schwere Missbildungen habe und nicht überlebensfähig wäre, sagt Yvonne Gilli.
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Der Schwangerschaftstest zeigt positiv an:  Ungewollte Schwangerschaften werden in 95 Prozent der Fälle in den ersten zwölf Wochen abgebrochen.

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Darum gehts

11’049 Schwangerschaftsabbrüche wurden 2021 in der Schweiz durchgeführt. Das sind etwas weniger als im Vorjahr (11’143). Auf 1000 Frauen haben schweizweit 6,7 Frauen die Schwangerschaft abgebrochen. Diese Rate ist seit 2007 stabil und im internationalen Vergleich niedrig, laut den neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik. Auffällig sind regionale Unterschiede (siehe Box). 

«Grundsätzlich ist es so, dass bis zur zwölften Woche ohne medizinische Gründe abgetrieben werden darf», sagt die BFS-Sprecherin. 95 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche finden in den ersten zwölf Wochen statt. Doch auch danach sei ein Abbruch möglich und legal. Dann müsse allerdings eine klare medizinische Indikation vorliegen, etwa, dass die Geburt die seelische oder körperliche Gesundheit der Mutter gefährden würde. Oder die Feststellung, dass das Kind nicht überlebensfähig ist.

Ein kleiner Teil der Abbrüche findet nach der 23. Schwangerschaftswoche statt – letztes Jahr waren das 56. Bei so späten Abtreibungen handle es sich meistens um schwere und tödliche Missbildungen beim Ungeborenen, sagt Yvonne Gilli, Präsidentin der Ärztegesellschaft FMH. Heute könne es einer Frau auf Wunsch in dieser Situation erspart werden, die Schwangerschaft zu Ende führen zu müssen. Ein später Abbruch sei in jedem Fall sehr belastend, sagt Gilli. «Eine solche Abtreibung ist wie eine eingeleitete Geburt. Sie findet im Gebärsaal statt.» Ein Kind mit Missbildungen werde eine solche Geburt in der Regel nicht überleben. 

«Da muss man schon das Rüstzeug haben»

André Seidenberg, pensionierter Arzt, sagt: «Je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft ist, desto schwerwiegender müssen die Probleme sein, um einen Abbruch vorzunehmen.» Abbrüche im sechsten Monat und danach seien sehr selten – auch deshalb, weil die Schweiz technisch und personell dafür zu wenig ausgerüstet sei. «So späte Abtreibungen sind Extremsituationen. Da braucht es ein ganzes Team aus Care-Spezialisten und Geburtshelfern. Der Fötus muss vorgängig mit einer Spritze getötet werden. Wer das auf sich nimmt, muss schon das emotionale Rüstzeug haben.» 

Hast du Erfahrung mit einem späten Abbruch?

Nicht selten seien diese Föten schwer missgebildet und sei auch das Leben der Frau gefährdet, sagt Seidenberg. In einer solchen Situation werde der Frau geholfen. «Es gibt aber auch Situationen, in denen sich ein Team weigert und sagt: ‹Nein, das machen wir jetzt nicht mehr.›» Dennoch glaubt Seidenberg, dass in der Schweiz eine Frau eine Schwangerschaft in jedem Stadium abbrechen kann, wenn sie es will. Sei es, indem sie so lange nach einem Arzt oder Spital sucht, bis sie fündig wird. Oder sonst im Ausland. In den Niederlanden und in Spanien gebe es spezialisierte Kliniken dafür. 

Seidenberg, der in seinem Berufsleben jährlich rund 300 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hat, sagt: «Es handelt sich immer um eine Notlage. Ganz, ganz selten hatte ich den Eindruck, dass die Frau das auf die leichte Schulter nimmt.»

«Sie bekommen jetzt ein Kind»

Frauenärztin Regina Widmer sagt: «Für uns Menschen ist es meistens schwieriger mitzutragen, je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Von daher kommt die Haltung, dass es eine zunehmend schwierigere Notlage braucht, je nach Stadium.» Doch für das Ungeborene spiele es keine Rolle, ob der Abbruch in der achten, in der 18. oder in der 22. Woche stattfinde. Auch dessen müsse man sich bewusst sein. 

Für einen Abbruch im späten Stadium reiche es nicht, für längere Zeit ambivalent zu sein und sich nicht entscheiden zu können. «Wenn dann eine Frau in der 22. Woche abtreiben will, dann muss man ihr sagen: ‹Sie bekommen jetzt ein Kind›, und mit ihr durch die Schwangerschaft gehen und ihr vor allem danach helfen, Betreuung und Unterstützung einfädeln.» Sie habe schon Teenager-Schwangerschaften in psychosozial desolaten Verhältnissen gehabt, psychiatrisch schwer kranke Frauen, schwer Suchtkranke und sozial Verwahrloste mit drohender Suizidalität. «Das sind Gründe für einen späten Abbruch.» Auch, dass Frauen eine Schwangerschaft erst spät bemerken, komme vor: «Die Kraft der Verdrängung oder eine schlechte Körperwahrnehmung begünstigen dies.» 

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Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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