Chiptuning«99 von 100 Kunden wollen gar kein legales Tuning»
Durch Chiptuning holen Tuner mehr PS aus den Autos ihrer Kunden heraus. Rechtlich bewegen sie sich in einem Graubereich. Gegen den Vorwurf, für Raser und Poser zu arbeiten, wehren sie sich aber.
Darum gehts
- Mit Chiptuning holen Tuner über Eingriffe an der Software bis zu 30 Prozent mehr Leistung aus Autos heraus.
- Dafür braucht es eine Typengenehmigung, die pro Änderung bis zu 18’000 Franken kostet.
- Chiptunings sind deshalb meist illegal – auch der Grossteil der Kunden lässt die Änderungen nicht in den Fahrzeugpapieren eintragen.
- Laut einem Insider sind bis zu 10 Prozent aller Autos auf Schweizer Strassen illegal getunt.
- Die Polizei ist machtlos, weil die Eingriffe fast unmöglich nachgewiesen werden können.
Ob ein VW Golf mit 115 PS, ein Audi A8 mit 340 PS oder ein BMW M3 mit 431 PS: Die Leistung eines Autos hängt unter anderem von der Elektronik ab, welche den Motor steuert. Das machen sich Autotuner durch sogenanntes Chiptuning zunutze: Durch Veränderungen an der Software holen sie bis zu 30 Prozent mehr Leistung aus den Autos heraus.
Dabei bewegen sie sich rechtlich in einem Graubereich. Seit 2010 erfordern Eingriffe in die Fahrzeugelektronik, die Auswirkungen auf die Leistung, den Lärm oder die Abgase eines Autos haben, eine sogenannte Typengenehmigung.
«99 von 100 Kunden wollen keinen Eintrag im Fahrzeugausweis»
Das weiss auch Adrian Schnell, Geschäftsführer der Tuning-Firma Autofaszination im aargauischen Neuenhof. «Wir führen in der Schweiz jeden Monat mehrere Hundert Chiptunings durch», sagt er. Die Kunden wüssten, dass sie diese Änderungen eigentlich durch das Strassenverkehrsamt prüfen und in den Fahrzeugausweis eintragen lassen müssten. Aber: «99 von 100 Kunden wollen gar kein legales Tuning», erklärt Schnell.
Das Problem: «Sobald in den Fahrzeugpapieren eine Änderung eingetragen ist, welche nicht durch den Hersteller vorgenommen wurde, werden Leasingverträge hinfällig.» Auch der Weiterverkauf eines Autos werde mit einem entsprechenden Eintrag in den Fahrzeugpapieren schwierig. «Der dritte Grund, weshalb die Kunden den Eintrag nicht wollen, ist, dass sie ein Geschäftsauto fahren.»
Den Garagisten kommt das entgegen. Denn eine Typengenehmigung koste heute je nach Modell um die 15’000 Franken, erklärt Schnell. «Wenn ich 15’000 Franken bezahle, um eine einzige Änderung genehmigen zu lassen, welche ich danach für wenige Hundert Franken verkaufen kann, lohnt sich das finanziell leider nie.»
«Chiptuning hat nichts mit Rasen zu tun»
Den Preis einfach auf den Kunden abzuwälzen, funktioniere ebenfalls nicht: «Dafür ist der Preisdruck aus dem Ausland viel zu hoch. Es gibt unzählige ausländische Firmen, die in der Schweiz Chiptuning anbieten. Sie werden von den Behörden nicht behelligt», erklärt Schnell.
Schnell ist wichtig, zu betonen, dass Chiptuning nichts mit Rasern und Autoposern zu tun habe: «Der durchschnittliche Kunde, der bei uns ein Chiptuning vornehmen lässt, ist zwischen 25 und 40 und fährt einen Mittelklassewagen.» Auch handle es sich nicht um ein Randphänomen: «Ich würde grob schätzen, dass 5 bis 10 Prozent aller Autos in der Schweiz getunt sind.»
Der Vorwurf, alle mit getunten Autos würden rasen, ist für Schnell Unsinn: «Wenn wir einen Golf mit 150 PS auf 170 PS tunen, hat das keinen Einfluss darauf, wie schnell der Fahrer damit unterwegs ist.» Schnells Firma biete ausserdem hauptsächlich sogenannte Zusatzsteuergeräte an: «Damit können wir keinen Einfluss auf die Höchstgeschwindigkeit der Autos nehmen, sondern auf die Beschleunigung und die Kraft der Autos.» Ähnlich tönt es von drei weiteren Schweizer Chiptuning-Anbietern, die anonym bleiben wollen.
Grüne wollen gegen Chiptuning vorgehen
Dass ausländische Produkte und das Internet ein Problem sind, bestätigt Eugen Engeler, Präsident des Autotuning- und Desing-Verbands Schweiz und Liechtenstein: «Wenn eine Typengenehmigung bis zu 18’000 Franken kostet, der Kunde dasselbe Produkt aber für ein paar Hundert Franken im Internet kaufen kann, ist leider klar, wofür er sich entscheidet.» Engeler wirft dem Astra vor, dadurch illegales Tuning zu begünstigen (siehe 4 Fragen an).
4 Fragen an Eugen Engeler*
«Polizei ist nicht in der Lage, das zu prüfen»
1. Ist illegales Chiptuning in der Schweiz ein Problem?
Das ist ganz klar so, ja. Und seit für die Chiptunings Typengenehmigungen Pflicht geworden sind, hat das noch massiv zugenommen. Früher konnte man ganze Motorengruppen prüfen lassen, heute bezahlt man für die Typengenehmigung für ein einzelnes Fahrzeug gegen 18’000 Franken. Es ist klar, dass das für kleinere Garagen nicht drinliegt.
2. Wie leicht kommt man um die Typengenehmigung herum?
Es ist absolut problemlos möglich, ein Chiptuning ohne Typengenehmigung und Eintrag in die Fahrzeugpapiere für ein paar Hundert Franken zu machen, im Ausland ist das meist noch viel günstiger als in der Schweiz. Das Tuning kann so versteckt werden, dass bei der Motorfahrzeugkontrolle nichts bemerkt wird. Auch die Polizei ist nicht in der Lage, das zu prüfen.
3. Welche Lösungsansätze gibt es?
Wir vom Verband sind absolut dafür, dass sämtliche Leistungssteigerungen geprüft und abgenommen werden. Dafür müssten die Verfahren aber vereinfacht werden und weniger kosten. Wir haben dem Astra auch schon dargelegt, dass durch die hohen Kosten das illegale Tuning gefördert wird. Dazu kommt, dass ein Auto für die Genehmigung bis zu acht Wochen geprüft wird, es gibt lange Wartezeiten, die Prüfzentren kommen nicht nach. Diese Faktoren führen dazu, dass illegales Chiptuning so beliebt ist.
4. Verschärft das Chiptuning auch das Problem der Raser und Autoposer?
Das hat nur am Rande damit zu tun. Wir vom Verband sagen klar: Wer rasen will oder sein Auto nur tunt, um Lärm zu machen, dessen Wagen gehört nicht auf die Strasse, sondern auf die Rennstrecke. Für die Poser, die im zweiten Gang dreimal durch das Quartier fahren und den Auspuff knallen lassen, haben wir absolut kein Verständnis. Mit Chiptuning hat das an sich aber nichts zu tun.

Eugen Engeler ist Präsident des Autotuning- und Design-Verbands Schweiz und Liechtenstein.
Das Chiptuning ist jetzt auch in der Politik angekommen: In einer Motion verlangt Grünen-Präsidentin Regula Rytz Antworten vom Astra. Sie will etwa wissen, ob dem Astra bewusst sei, dass Chiptuning-Anbieter damit werben, dass ihre Tunings keine Spuren hinterliessen, und damit illegales Verhalten fördern (siehe Box). Das Astra schreibt, es liege am Bundesrat, die Interpellation zu beantworten, das Amt dürfe nicht vorgreifen.
Fakt ist: Die Polizei hat tatsächlich kaum eine Chance, illegales Chiptuning im Rahmen der üblichen Strassenkontrollen festzustellen. Das bestätigt Bernhard Graser, Pressesprecher der Kantonspolizei Aargau.
Tuner Schnell plädiert für eine pragmatische Lösung: «Wir Garagisten und Tuner könnten zusammen mit dem Astra die einzelnen Chiptunings seriös prüfen. Hierzu sind aber Anpassungen im Prüfverfahren dringend nötig.» So könnte das Astra diese Tunings genehmigen – ohne Eintrag in den Fahrzeugpapieren. «So könnte der Kunde guten Gewissens zu uns kommen, das Problem mit illegalen Tunings aus dem Ausland würde bekämpft, und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer wäre gewährleistet.»
Interpellation eingereicht
Grüne kämpfen gegen Chiptuning
Die Grünen-Präsidentin Regula Rytz hat vor wenigen Tagen eine Interpellation mit dem Titel «Hat das Astra das Chiptuning von Motorfahrzeugen im Griff?» eingereicht. Darin hält sie fest, dass sämtliche Änderungen an der Motorelektronik, welche Leistung, Geräuschentwicklung oder Abgasverhalten des Fahrzeugs beeinflussen, eine Typengenehmigung erfordern. Gleichzeitig würden Firmen offen dafür werben, dass sie das Chiptuning so ausführen können, dass es keine Spuren hinterlässt. Rytz will etwa wissen, ob dem Astra bekannt sei, dass Firmen so illegales Verhalten begünstigen, wie das Astra und die kantonalen Behörden die illegalen Geschäftspraktiken kontrollieren und wie viele Typengenehmigungen jährlich ausgestellt werden. Die Stellungnahme des Bundesrats steht noch aus, das Astra schreibt, das Amt könne und dürfe dem Bundesrat mit der Beantwortung nicht vorgreifen.