Abtreibung«Ich weiss, dass es immer falsch ist, einen Unschuldigen zu töten»
Das Thema Abtreibung ist eines der grossen und emotionalen Themen im US-Wahlkampf. In Swing-States könnte das Thema die Wahl entscheiden. 20 Minuten hat sich vor Ort umgehört.
Darum gehts
Abtreibung ist ein zentrales Thema im US-Wahlkampf, obwohl laut Umfragen über 60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner das Recht darauf befürworten.
20 Minuten hat mit beiden Seiten gesprochen.
Während sich Befürworter wie Adam von Planned Parenthood gegen staatliche Eingriffe in die Körper von Frauen aussprechen, sehen Gegner wie Lillian aus moralischen oder religiösen Gründen Abtreibung als Menschenrechtsverletzung.
Einige hadern deswegen mit der Wahl zwischen Kamala Harris und Donald Trump – oder wählen aufgrund deren Einstellung zu Abtreibungsrechten gar nicht.
Sieben Minuten und 48 Sekunden. So lange haben Kamala Harris und Donald Trump in der TV-Debatte über Abtreibung geredet. Nur über die Wirtschaft wurde länger diskutiert. Es ist eines der entscheidenden Themen in diesem Wahlkampf. Umfragen hingegen kommen immer wieder zum Schluss: Über 60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner befürworten das Recht auf Abtreibung.
«Die Menschen haben zwar ihre persönlichen Überzeugungen zur Abtreibung. Sogar unser Präsident, Joe Biden, sagt, dass er persönlich nicht für Abtreibung ist. Trotzdem gibt das den Politikern nicht das Recht, über den Körper anderer zu entscheiden», sagt Adam von Planned Parenthood, einer NGO, die in ihren Kliniken unter anderem Abtreibungen vornimmt. «Deshalb tragen Abtreibungsthemen an den Wahlurnen immer noch meistens einen Sieg davon.» In Swing-States, wo der Wahlausgang nur auf wenige Stimmen ankommt, könne Abtreibung aber noch immer entscheidend sein.
«Abtreibung verletzt Menschenrechte»
«Ich weiss, dass es immer falsch ist, absichtlich einen unschuldigen Menschen zu töten. Deshalb ist Abtreibung eine Verletzung der Menschenrechte», sagt Lillian (18) aus Michigan, einem solchen Swing-State. Auch wenn die Schwangerschaft durch Vergewaltigung oder Inzest zustande komme, sei sie entschlossen dagegen. «Nehmen wir an, eine Frau wurde vergewaltigt und hat das Baby bekommen. Das Kind ist jetzt zwei Jahre alt und es beginnt, dem Vergewaltiger zu ähneln. Wir würden dieses Kind niemals töten, warum also sollten wir das zwei Jahre davor tun?»

Lillian (18) ist gegen das Recht auf Abtreibung, auch bei Vergewaltigung oder Inzest.
20min/Carolin TeufelbergerLaura (48) wiederum ist extra aus Arkansas nach Michigan gezogen, damit der Zugang zu Abtreibung gesichert ist – vor allem für ihre 18-jährige Tochter. «Ich will, dass ihr alle Möglichkeiten offenstehen, sollte sie schwanger werden.» Im November 2022 stimmten die Wählenden in Michigan dafür, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaates zu verankern. Das, nachdem einige Monate zuvor «Roe vs. Wade» nach 49 Jahren aufgehoben wurde. Das Supreme-Court-Urteil vom 22. Januar 1973 räumte Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche ein.

Laura (48) ist besonders wegen ihrer Tochter froh, in Michigan zu leben, wo Abtreibung erlaubt ist.
20min/Carolin Teufelberger«Menschen, die abtreiben wollen, werden schikaniert»
«50 Millionen Frauen in 14 Bundesstaaten haben dadurch Zugang zu Abtreibung verloren», erklärt Adam. In Pennsylvania sei das Prozedere bis zu der 24. Schwangerschaftswoche legal. «Seither kommen etwa 3000 Frauen zusätzlich zu uns in den Bundestsaat für eine Abtreibung.» Und zwar oft in die Kliniken von Planned Parenthood, vor deren Türen regelmässig Protestierende warten. «Die Schwangeren befinden sich eh schon in einer belastenden Situation. Wenn Leute sie zusätzlich schikanieren, gewalttätig sind oder sie verbal verurteilen, ist das einfach grausam.»
20 Minuten in den USA
Carolin Teufelberger und Mikko Stamm reisten während mehrerer Wochen durch die USA und berichteten aus dem Leben der Menschen, die sie trafen und über deren Einstellung zum Wahlkampf in den USA. Dabei entstanden zahlreiche Artikel und Videoreportagen.
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Vielfach würden Abtreibungsgegnerinnen und -gegner aus dem christlichen Lager kommen. So wie Liberty (23) aus New Hampshire. «Ich will, dass die Befürworterinnen wissen, dass Abtreibung böse ist und ich dafür kämpfe, sie vollständig zu beenden.» Sie verurteile aber niemanden, denn auch sie begehe Sünde. «Es wäre schön, wenn alle den Frieden und die Freude kennen lernen, die ich in Jesus Christus gefunden habe.»
«Es ist meine Pflicht, für Ungeborene einzutreten»
Es gibt aber auch andere Motive. «Ich bin Atheist und trotzdem schon mein ganzes Leben gegen Abtreibung», erzählt Tim (30) aus Michigan. Er sehe es als seine Pflicht, für die Ungeborenen einzutreten, gerade als Mann. «Die Frau trägt das Kind zwar aus, aber auch wir Männer sind beteiligt und sollten uns zusammen mit den Frauen gegen diese Praxis wehren.»

Caroline (26) demonstriert in Chicago gegen Abtreibung.
20min/Carolin TeufelbergerAuch Caroline (26) aus Washington D.C. hat nichts mit Religion am Hut. «Ich bin politisch am äussersten linken Spektrum angesiedelt und ich bin trotzdem gegen Abtreibung.» Wider den Ansichten vieler anderer glaube sie, dass Abtreibung sehr gut zu ihren progressiven Werten passe. «Ich bin gegen Gewalt und Unterdrückung von allen Menschen.»
Wie stehst du zum Thema Abtreibung?
Das bedeute für sie aber oft, nicht wählen zu gehen. So wie auch im November. «Ich werde nicht für eine Kindermörderin oder einen Kindermörder stimmen, auch wenn er oder sie mit vielen anderen meiner Ansichten übereinstimmt.» Auch für Lillian ist die Situation schwierig. «Das ist schwer zu sagen, denn Kamala Harris ist definitiv klar für Abtreibung. Trump ist nicht mehr so klar ‹Pro-Life› wie am Anfang. Ich bin definitiv mit keinem der beiden Kandidaten zufrieden.» Liberty hingegen setze ihre Hoffnung widerwillig auf Trump. «Ich finde, mit der Politik geht es wirklich bergab und mir gefallen beide Kandidaten nicht. Weil ich aber eine ‹single issue›-Wählerin bin, muss ich für Trump stimmen.»
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