Todesflug Rio-ParisAir France und Airbus vor Gericht – Black Box zeichnete Panik vor Absturz auf
Mehr als 13 Jahre nach dem Absturz einer Air-France-Maschine von Rio de Janeiro nach Paris mit 228 Toten müssen sich Airbus und Air France ab Montag vor Gericht verantworten.
Darum gehts
«Die Hinterbliebenen wollen, dass die beiden Unternehmen verurteilt werden», sagt der Anwalt Louis Caillez, der mehrere Angehörige der insgesamt 28 deutschen Opfer vertritt. Ein erstes Verfahren war 2019 eingestellt worden. Es handelt sich um den schwersten Unfall in der Geschichte der französischen Fluggesellschaft. Die Maschine vom Typ A330-203 war in der Nähe des Äquators mitten in der Nacht über dem Atlantik abgestürzt. Dabei waren alle 216 Passagiere und die zwölfköpfige Crew ums Leben gekommen. Das Flugzeugwrack und die Flugschreiber wurden erst zwei Jahre später gefunden.
Maschine stürzte wie ein Stein ins Meer
Aus den Flugdaten geht hervor, dass kurz vor einer Unwetterzone die Geschwindigkeitssensoren vereisten und der Autopilot sich ausschaltete. Der Flugcomputer zeigte fälschlich an, dass das Flugzeug sich im Sinkflug befand. Der Co-Pilot steuerte die Maschine so steil nach oben, dass es schliesslich zu einem Strömungsabriss kam und die Maschine wie ein Stein ins Meer stürzte.
Die Aufzeichnungen des Stimmenrekorders belegen, dass es nur etwa vier Minuten dauerte von dem Moment, in dem die Piloten den Ausfall der Geschwindigkeitsanzeige bemerkten, bis zum Absturz. Die Ermittler gehen davon aus, dass die meisten Passagiere auf dem Flug AF447 die Notsituation gar nicht mitbekommen haben. Viele von ihnen seien nicht angeschnallt gewesen.
Der Abschlussbericht der französischen Luftfahrtermittlungsbehörde (BEA) 2012 verwies auf eine Verkettung menschlicher und technischer Fehler, die zu dem Unglück geführt habe. Nach jahrelangem juristischen Tauziehen stellten die französischen Untersuchungsrichter ein erstes Verfahren gegen Air France und Airbus 2019 ein.
Dramatische letzte Minuten im Cockpit
Demnach war die Stimmung im Cockpit zunächst entspannt, trotz einiger Turbulenzen. Um 02.31 Uhr (MESZ) machte der Pilot einen der beiden Kopiloten mit einer launischen Bemerkung darauf aufmerksam, dass sie über den Äquator fliegen: «Hast Du kapiert, nehme ich an?" – «Ja, dachte ich mir.»
Eine knappe halbe Stunde später verabschiedet sich der Pilot zu seiner Ruhepause. «Ok, ich verschwinde», sagt er. Einer der beiden Kopiloten übernimmt die Steuerung. Das Flugzeug steuert in Turbulenzen hinein. «Wir sagen denen hinten (in der Kabine) besser mal Bescheid», sagt der Kopilot um 04.06 Uhr. «Zieh mal ein bisschen nach links», sagt der andere.
Drei Minuten später herrscht offensichtlich Verwirrung im Cockpit. Alarmtöne sind zu hören. «Was ist los?» fragt der eine. «Die Geschwindigkeitsanzeige stimmt nicht mehr", bemerkt der andere. Der Autopilot schaltet sich ab. Der Kopilot steuert die Maschine steil nach oben.
«Wir verstehen nichts mehr. Wir haben alles versucht.»
Um 04.11 Uhr gesteht er ein: «Ich habe keine Kontrolle mehr über das Flugzeug.» Die Tür zum Cockpit geht auf. «Was macht Ihr da?», fragt der Pilot, der aus seiner Pause zurückkommt. «Wir verstehen nichts mehr, wir haben alles versucht", lautet die Antwort. Die Panik der drei lässt sich nur erahnen.
«Gehe ich jetzt runter?» – «Nein, du gehst weiter rauf." Aus dem knappen Dialog wird klar, dass die drei mit der Situation überfordert sind. Sie können nicht mehr erkennen, ob sich das Flugzeug im Steig- oder Sinkflug befindet. Im Hintergrund sind weiter Alarmsignale zu hören.
«Los, zieh weiter hoch.» – «Wir knallen runter. Das gibt’s doch nicht. Was ist los?" Zu dem Zeitpunkt befindet sich die Maschine nahezu im freien Fall. Der Kopilot hatte sie so steil nach oben gezogen, dass es zum Strömungsabriss gekommen war.
Um 04.14 Uhr ist der Pilot ein letztes Mal zu hören: «Zehn Grad». Dann prallt die Maschine fast horizontal auf die Meeresoberfläche auf.
Beide Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück
Viele Hinterbliebene zeigten sich damals enttäuscht und bedauerten, dass die Ermittler sich allzu sehr auf die Pilotenfehler konzentriert hätten. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Beide Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück.
«Es gab vor dem Unglück mehrere ähnliche Zwischenfälle (mit den Geschwindigkeitssensoren), aber daraus waren keine Konsequenzen gezogen worden», sagt der Anwalt Caillez. Er will in dem Prozess damit argumentieren, dass die Piloten nicht ausreichend informiert und geschult worden waren. Seine Mandanten seien froh, dass es endlich zum Prozess komme. «Es wird eine Debatte über die Fehler von Airbus und Air France geben», sagte er.
Es war bekannt, dass die von Air France verwendeten Messgeräte anfällig waren. Die Fluggesellschaft hatte kurz vor dem Absturz begonnen, die sogenannten Pitot-Sonden auszutauschen – allerdings nicht an der Maschine, die von Rio de Janeiro nach Paris fliegen sollte. In dem Prozess haben sich 476 Nebenkläger gemeldet. Die Gerichtsverhandlung beginnt am Montag und soll bis zum 8. Dezember dauern. Im Fall einer Verurteilung müssen die Unternehmen mit Geldstrafen in Höhe von 225’000 Euro rechnen. Das ist die Maximalstrafe für fahrlässige Tötung, die Unternehmen bezahlen müssen.
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