Ein gespaltenes VolkAlbaner ist nicht gleich Albaner
Wenn die Nati heute auf Albanien trifft, könnten mehr Albaner im Stadion sein als Schweizer. Die albanische Gemeinschaft in der Schweiz ist gross - und aus verschiedenen Ländern und Kulturen.

«Drei Brüder sind schon bereit für das Spiel am Abend in Luzern», schreibt uns ein Leser-Reporter. Stolz tragen sie den albanischen Adler auf der Brust.
Es ist eine delikate Situation für die jungen Fussballer: Sie treten im Nationaldress des Landes an, in dem sie aufgewachsen sind, und sollen Tore schiessen gegen die Mannschaft der Nation ihrer Eltern. Valon Behrami, Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Admir Mehmedi und Blerim Dzemaili sind nicht nur Schweizer Nationalspieler – sie sind zugleich Teil der albanischen Gemeinschaft in der Schweiz.
Und in dieser sind beileibe nicht alle damit einverstanden, dass die jungen Spieler mit albanischen Wurzeln für die Schweiz antreten. Für einige sind sie deswegen schlicht Verräter. Doch in einer Umfrage auf albinfo.ch, dem Newsportal der albanischsprachigen Schweiz, unterstützen immerhin knapp 70 Prozent den Einsatz der Spieler. Sie sind offenbar stolz darauf, dass Fussballer albanischer Herkunft für die Schweiz spielen – auch wenn es gegen Albanien geht.
Erst Gastarbeiter, dann Flüchtlinge
Niemand weiss genau, wie viele Menschen albanischer Muttersprache in der Schweiz wohnen. Schätzungen gehen von 170 000 bis über 200 000. Die ersten von ihnen kamen in den Siebzigerjahren als Gastarbeiter ins Land, andere wurden später im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz geholt. Zuletzt fanden manche hier während der Wirren beim Zusammenbruch Jugoslawiens eine Zuflucht.
Zu Beginn wurde die noch kleine albanische Diaspora in der Schweiz gar nicht als solche wahrgenommen – nahezu alle Albaner hatten einen jugoslawischen Pass. Aus Albanien selber, das bis 1990 eine abgeschottete kommunistische Diktatur war, kam zunächst niemand in die Schweiz. Auch heute noch ist der Anteil der Personen mit albanischer Nationalität sehr gering (unter 1500 im Jahr 2010). Wie die fünf Nationalspieler mit albanischer Muttersprache stammen die meisten Albaner in der Schweiz aus dem Kosovo und Mazedonien. In diesen beiden ehemals jugoslawischen Nachfolgestaaten und in Montenegro sowie Serbien leben fast so viele Albaner wie in Albanien selbst.
Uralte Kulturgrenze
Nicht zuletzt darum kann nicht einfach von einer albanischen Identität gesprochen werden. Ein prägender Unterschied zwischen den Albanern in Albanien und ausserhalb liegt darin, dass erstere bis 1990 in nahezu totaler Abschottung lebten. Letztere dagegen waren im ehemaligen Jugoslawien eine Minderheit. Ansonsten weist der nördliche, gebirgige Teil Albaniens aber zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem Kosovo auf, wie Bashkim Iseni vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) der Universität Neuchâtel erklärt. Beide sind ländlich geprägt und waren eher isoliert. Im Norden hat sich auch das jahrhundertealte umstrittene albanische Gewohnheitsrecht, der «Kanun Lek Dukagjini», eher halten können. Die Bewohner des urbaneren, südlichen Albanien dagegen, sagt Iseni, hätten viel gemeinsam mit den Albanern im mazedonischen Ohrid oder Struga.
Albanien liegt fast genau an der Kulturgrenze, die West- von Ost-Rom trennte. Im Norden des Landes dominierte bis zur Eroberung durch die Osmanen der Katholizismus, im Süden die orthodoxe Konfession. Die Osmanen brachten den Islam, dem heute die grosse Mehrheit der Albaner anhängt. Er erfasste zuerst die albanische Aristokratie und breitete sich ursprünglich vor allem in den Städten und den Ebenen aus. Der albanische Islam ist, wie Iseni erläutert, betont laizistisch; mehr noch als der bosnische.
«Die Religion der Albaner ist das Albanertum»
Im Unterschied zu den benachbarten Völkern spielte die Religion – neben den Katholiken, den Orthodoxen und den Sunniten gibt es noch schiitische «Bektaschi» – für die albanische Identität keine herausragende Rolle. Da die Vielzahl der Bekenntnisse spaltend wirke, stütze sich der albanische Nationalismus nicht auf die Religion, so Iseni, sondern lege den Akzent auf die gemeinsame Sprache.
Verstärkt wurde dieser albanische Nationalismus durch die lange Fremdherrschaft, die erst relativ spät erfolgte Bildung eines Nationalstaats und den Umstand, dass ein grosser Teil der Albaner ausserhalb dieses Nationalstaats verblieb. Einer deutschen Studie zufolge betonen dabei die Kosovo-Albaner den nationalen Zusammenhalt stärker als jene aus Albanien oder Mazedonien. Schon im 19. Jahrhundert befand der Schriftsteller und Politiker Pashko Vasa: «Kirchen und Moscheen sollst du nicht beachten. Die Religion der Albaner ist das Albanertum.»
Wer macht den Adler-Jubel?
Wenn albanische Fussballer ein Tor schiessen, jubeln sie oft auf ganz besondere Weise. Die Daumen ineinander verhakt, mit den Handrücken nach aussen und den Fingern als Schwingen bilden sie einen Adler, das albanische Wappentier. Werden wir den Adler-Jubel auch im WM-Qualifikationsspiel zwischen der Schweiz und Albanien zu sehen bekommen? Hoffentlich nicht. Denn das würde heissen, dass die Gäste vom Balkan mindestens ein Tor schiessen. Die Schweizer Nati-Spieler mit kosovo-albanischen Wurzeln haben nämlich angekündigt, dass sie nicht jubeln werden, falls sie treffen. «Das gebietet der Respekt», so Granit Xhaka.
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