Als die Armee den Naturschutz entdeckte

Aktualisiert

Vor 20 JahrenAls die Armee den Naturschutz entdeckte

Erfolglos versuchten Umweltschützer 1990 mit einer Blockade den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen zu verhindern. Doch am Ende zwangen sie die Armee zum Naturschutz.

«Wir bleiben, bis ihr geht», lautete die Devise. Einige Dutzend, später einige hundert Aktivisten blockierten um Ostern 1990 das Baugelände und die Zufahrten zur Armee-Baustelle oberhalb von Gossau SG. Sie liessen sich von Polizisten wegtragen. Tauchte ein Helikopter am Himmel auf, wurde er mit Luftballons begrüsst.

Zu den Waffenplatz-Gegnern der ersten Stunde gehörte der damalige Kantonsrat Hansueli Trüb aus St. Gallen. Trüb, «der Grüne mit dem Auto», chauffierte die Waffenplatz-Gegner vom Bahnhof Gossau nach Neuchlen-Anschwilen und wohnte wochenlang im Widerstands-Camp im Wald.

Es sei «eine Verzweiflungstat» gewesen, sagt Trüb heute, 20 Jahre später. Die Waffenplatz-Gegner hatten ohne Erfolg Kundgebungen organisiert, Petitionen lanciert, parlamentarische Vorstösse eingereicht, Mahnfeuer entfacht und die «Aktion zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen» (Arna) ins Leben gerufen.

Militärisches «Betondenken»

Auf der Gegenseite herrschte «Betondenken, Abblocken, Durchdrücken auf Teufel komm raus», so Trüb. «Der kalte Krieg war damals in den Köpfen vieler Offiziere und Politiker noch lange nicht überwunden.» Wer für die Natur, für weniger Landschaftsverschandelung und für den Frieden war, stiess auf taube Ohren.

Laut Trüb hat Neuchlen-Anschwilen die Jugend politisiert und eine landesweite Bewegung ausgelöst. «Dass diese in der Zwischenzeit verflacht ist und Vieles heute mit der Faust im Sack geschluckt wird, ist eigentlich schade», findet der Kulturschaffende, der heute im Aargau lebt.

Während die Polizei in Neuchlen-Anschwilen Waffenplatz-Gegner festnahm, tobte in den Medien eine Propaganda-Schlacht. An vorderster Front fochten der spätere FDP-Nationalrat, PR-Unternehmer und Major Peter Weigelt und seine «Interessengemeinschaft für eine sinnvolle und glaubwürdige Armee-Ausbildung» (ISGA).

«Unheilige Allianz» der Gegner

Die Stimmung sei «sehr, sehr gereizt» gewesen, erinnert sich der St. Galler alt Nationalrat heute, wenn er an Ostern 1990 zurückdenkt. Pazifisten, Linke und Grüne hätten eine «unheilige Allianz» gebildet und in Neuchlen-Anschwilen einen «Stellvertreter- Krieg gegen die Armee überhaupt» geführt.

Mit den Naturschutz-Argumenten der Gegner habe er immer Mühe gehabt, sagt Weigelt. Neuchlen-Anschwilen sei ein Musterbeispiel dafür, wie militärische Nutzung und Naturschutz nebeneinander möglich seien.

Dem pflichten selbst kritische Umweltschützer bei. Die Landschaft des Waffenplatzes habe sich «in den letzten zehn Jahren zum Guten entwickelt», schrieb der Ehrenpräsident des Naturschutzvereins der Stadt St. Gallen, Christian Zinsli, im Jahr 2008.

«Grünes» Umdenken beim Militär

Dazu brauchte es ein «grünes» Umdenken in Armee-Kreisen. Dort wurde die Bedeutung des Umweltschutzes nicht erst seit der Lancierung der Volksinitiative «40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär» im Sommer 1990 erkannt.

Unter Zeitdruck setzte die Armee in Neuchlen-Anschwilen ein Öko-Konzept um: Mit externer Aufsicht von Umweltfachleuten wurden auf dem 240 Hektaren grossen Areal Naturschutzräume ausgeschieden, Bäche freigelegt und Dächer begrünt. Das Eidg. Militärdepartement sprach später einen Kredit von einer Million Franken.

1993 schickte das Schweizer Volk die Waffenplatz-Initiative mit 55 Prozent Nein-Stimmen bachab. Bei der Einweihung 1997 wurde Neuchlen-Anschwilen von Kritikern als «unterbelegte Bio-Kaserne» bespottet. 2001 zeichnete die Stiftung «Natur und Wirtschaft» den Waffenplatz als Naturpark aus.

Gemäss aktuellen Zahlen des Waffenplatz-Kommandos Herisau-Gossau sind die Kasernen mit ihren 400 Betten über das ganze Jahr zu 90 Prozent ausgelastet. Gemäss einem Kontrollbericht aus dem Jahr 2008 hat der Naturschutz Früchte getragen: Die Artenvielfalt habe in Neuchlen-Anschwilen zugenommen, heisst es. (sda)

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