Tödliche Pocken - Als in der Schweiz ein Impfobligatorium galt

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Tödliche PockenAls in der Schweiz ein Impfobligatorium galt

In der Schweiz gibt es heute – auch in der Corona-Pandemie – keinen Impfzwang. Das war nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Eine Infektion mit Pockenviren (Variola major und Variola minor) kann schwere Folgen haben. Durch ihre hohe Übertragbarkeit und Tödlichkeit gehört die Erkrankung zu den gefährlichsten des Menschen.
Die Übertragung der Viren erfolgt laut Bundesamt für Gesundheit durch Tröpfchen auf kurze Entfernung, durch direkten Kontakt mit Verletzungen (Haut, Mund und Rachen) oder indirekt über kontaminierte Gegenstände.
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Eine Infektion mit Pockenviren (Variola major und Variola minor) kann schwere Folgen haben. Durch ihre hohe Übertragbarkeit und Tödlichkeit gehört die Erkrankung zu den gefährlichsten des Menschen.

CDC/ Fred Murphy / PD

Darum gehts

  • Die Pocken waren eine tödliche Infektionskrankheit.

  • 1796 wurde der erste Impfstoff überhaupt gegen die Pocken entwickelt.

  • Im 19. Jahrhundert gab es in vielen Kantonen einen Impfzwang gegen Pocken.

  • 1882 scheiterte das erste Epidemiegesetz am darin enthaltenen Impfzwang.

  • 1933 starb der letzte Mensch in der Schweiz an Pocken.

Die Pocken waren einst eine der gefürchtetsten Infektionskrankheiten. Je nach Virustyp starben bis zu 60 Prozent der Betroffenen, Überlebende waren oftmals entstellt, ein Drittel von ihnen erblindete, andere verloren ihr Gehör oder waren gelähmt. Im 18. Jahrhundert starb etwa jedes zehnte Kind an Pocken.

Die Schrecken der Krankheit trieben die Menschen schon vor Jahrhunderten dazu, sich mittels Immunisierung davor zu schützen. So sind Verfahren mithilfe von getrocknetem Pockeneiter oder Pockensekret aus China, Indien und dem osmanischen Reich überliefert. Dann erkannte der britische Landarzt Edward Jenner (1749 - 1823), dass Menschen, die sich mit den für sie harmlosen Kuhpocken angesteckt hatten, in der Folge nicht mehr an Pocken erkrankten. 1796 schuf er das erste Vakzin der Geschichte, benannt nach dem lateinischen Wort für Kuh, «vacca».

1806 erliess der Thurgau ein Impfobligatorium

Die Pocken verschonten auch die Schweiz nicht. So war die Krankheit im 18. Jahrhundert etwa in Genf für sieben Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Der Erfolg von Jenners Vakzin bewog mehrere Kantone, eine gesetzliche Impfpflicht einzuführen. So etwa der Thurgau, wo Regierungsrat Jakob Christian Scherb 1806 die Pockenimpfung verordnete, wie die «Thurgauer Zeitung» schrieb. Zürich kannte ab 1836 ein Impfobligatorium, bis 1860 hatten die meisten Kantone eine Impfpflicht eingeführt.

Doch während die Impfung handfeste Resultate lieferte, formierten sich die Gegner und Gegnerinnen. Sie sorgten sich darum, was der tierische Impfstoff in Menschen anrichten könnte. Dazu fehlte es vielen an Vertrauen in die akademische Medizin, nicht zuletzt, weil es immer wieder zu Krankheitsübertragungen durch verunreinigten Impfstoff kam.

Auch Vertreter und Vertreterinnen der aufkommenden Naturheilkunde wehrten sich gegen die Impfung und propagierten stattdessen «eine vernünftige, naturgemässe Lebensart» mit frischer Luft, Bewegung und Reformkost, wie die Universität Zürich aus einer impfkritischen Schrift von 1894 zitiert.

Eidgenössisches Obligatorium scheitert klar

Trotz dieser Bedenken schrieb der Bund Anfang der 1880er-Jahre ein Impfobligatorium in den Entwurf für das erste Epidemiegesetz. Die Pocken forderten zu dieser Zeit in der Schweiz als Folge des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 viele Todesopfer. Doch der Widerstand liess nicht auf sich warten. Die Gegner und Gegnerinnen sammelten über 80’000 Unterschriften für ein Referendum. Am 30. Juli 1882 wurde das Epidemiengesetz an der Urne mit 78,9 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Neben den oben aufgeführten Bedenken der Impfgegner und -gegnerinnen waren es auch föderalistische Überlegungen, die die Stimmbürger zum Nein bewegten. Man fürchtete eine staatliche Bevormundung und wollte Fragen der Gesundheit nicht dem Bund überlassen. In der Folge schafften die meisten Kantone das Impfobligatorium ab. Die zweite Fassung des Epidemiengesetzes wurde 1886 angenommen – ohne Impfzwang.

Letztes Obligatorium 1948 abgeschafft

Aktuell wurde das Impfobligatorium noch einmal im Zuge der letzten Pockenepidemie von 1921 bis 1925. Die Krankheit traf in erster Linie Personen, die nicht geimpft waren oder deren Impfung schon länger zurücklag. 1923 erliess der Bundesrat per Verordnung doch noch ein Impfobligatorium. Es galt allerdings nur beim Auftreten der Krankheit in betroffenen Gebieten und Bevölkerungsgruppen zur Verhinderung einer Epidemie. Insgesamt erkrankten in diesem Zeitraum 5462 Personen, 14 starben. Seit 1933 gab es in der Schweiz keinen Todesfall mehr. Der letzte Erkrankungsfall wurde 1963 gemeldet, wie das BAG schreibt.

Ein letztes Mal erklärte der Bundesrat von 1944 bis 1948 die Pockenschutzimpfung für die ganze Schweiz für obligatorisch. 1972 stellte die Schweiz die Impfungen ein. Am 8. Mai 1980 verkündete die WHO die vollständige Ausrottung des Pockenvirus. Seither existieren die Viren nur noch in zwei Hochsicherheits-Laboratorien in Russland und den USA. Ohne diese Bestände wäre es unmöglich, Impfstoffe gegen die Pocken auf ihre Wirksamkeit zu prüfen, sollte es noch einmal zu einer Epidemie kommen.

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