Antisemitismus an Unis«Unis müssen Neutralität einfordern und frei von Ideologie sein»
Haben Schweizer Unis ein Problem mit Antisemitismus? Und wie sollen sie mit linken, israelfeindlichen Studierenden umgehen? Zsolt Balkanyi-Guery von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus ordnet ein.
Darum gehts
An gewissen Universitäten grassiert Israel-Hass.
Unter den Studierenden, immer öfter werden aber auch Vorfälle von Forschenden bekannt.
Zsolt Balkanyi-Guery ist Historiker, hat jahrelang zu Rassismus geforscht und ist Stiftungsrat der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus.
Er erklärt, wieso Antisemitismus vor allem in jüngeren Studienrichtungen vorkommt und was die Unis tun müssen, um die Debatte zu normalisieren.
Im Rahmen der Debatte rund um den Krieg im Nahen Osten und den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober kam es an Schweizer Unis jüngst vermehrt zu antisemitischen Vorfällen. In Bern feierte ein Dozent den Hamas-Terror als Geschenk, in Basel verschickte das Sekretariat des Fachbereichs Urban Studies eine E-Mail mit einer Petition gegen eine «weisse zionistische Vorherrschaft» an die Studierenden. Zsolt Balkanyi-Guery ist Historiker, hat jahrelang zu Rassismus geforscht und ist Stiftungsrat der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus.
Wieso nehmen antisemitische Vorfälle an Unis zu?
Die Uni ist ein Ort gesellschaftspolitischer Diskussionen. Das Thema Israel und Hamas ist politisch sehr aufgeladen. Westliche, europäische Universitäten folgen seit Jahrhunderten einem ethischen Kodex, der von einer neutralen Position und Immunität gegenüber Ideologien geprägt ist. Das scheint hier nicht mehr immer zu klappen.
Wieso?
Es sind vor allem neuere Studienrichtungen, die die Gesellschaft nicht mehr nur analysieren, sondern sie verändern wollen. Sie lassen die Distanz vermissen und ihre Lehre ist geprägt von Stereotypen: Es gibt die da oben und die da unten, das Gute kämpft gegen das Böse, es gibt Opfer und Täter und viel Schwarzweissdenken. Der Nahostkonflikt ist prädestiniert, sich öffentlichkeitswirksam zu solidarisieren. Es geht hier nicht mehr um Erklärungen, sondern nur noch um Solidarität.
«Es geht nicht mehr um Erklärungen, sondern nur noch um Solidarität.»
Das geht also von den Professoren gewisser Fachbereiche aus. Wieso schliessen sich die Studierenden an?
Studierende waren schon immer politische Wesen. Jetzt sind es ja insbesondere linke Gruppierungen, die sich mit den Palästinensern solidarisieren, was dann teilweise in Hass auf Israel umschlägt. Linke Gruppierungen an Unis gab es natürlich schon früher und die Uni hatte die Aufgabe, ihre Ansichten aufzunehmen und zu diskutieren – aber eben entlang der Grundwerte einer Universität. Heute wird diese «Academic Honesty», diese ehrliche, neutrale, ausgewogene Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Debatten, von den Unis teils nicht mehr vorgelebt.
Was müssen die Unis also tun?
Sie müssen ihre Werte wieder einfordern. Sie müssen das System wiederherstellen, in dem solche Ausreisser nicht möglich sind. Die Lehrstuhlinhaber müssen sich diesem Kodex wieder verpflichtet fühlen. Im Unterricht haben die Professorinnen und Professoren den Auftrag, mit den Studierenden in den Dialog zu treten und ihnen Tools mitzugeben, damit sie auch aufgeladene Debatten entlang der Werte einer Universität führen können.
«Die Unis müssen darauf beharren, dass Ideologie keinen Platz hat.»
Was ist mit den Professoren, die das nicht können?
Hier müssen die Unis handeln, und das tun sie auch, da gibt es arbeitsrechtliche Massnahmen. Doch es reicht nicht, die extremen Abweichler loszuwerden, also einzelnen zu künden. Gerade in den Fächern, die jetzt in den Fokus gekommen sind, braucht es eine vertiefte Auseinandersetzung damit, wie Debatten an Unis geführt werden und das Beharren darauf, dass Ideologie jeglicher Art an einer Universität keinen Platz hat.
Was, wenn Professorinnen oder Professoren auf privaten Kanälen problematische Inhalte teilen?
Auch das finde ich schwierig. Ein Jura-Professor kann ja auch nicht auf Instagram posten, dass er für die Todesstrafe ist, und am nächsten Morgen vor die Studierenden treten und ihnen erklären, wieso die Todesstrafe abzulehnen ist. Neu ist, dass das nicht mehr nur für die Professoren gilt, sondern auch für die Assistenzen. Da gibt es diverse Beispiele auch aus anderen Studienrichtungen, die eben auch für alle gelten.
Welche Beispiele?
Solche von angehenden Anwälten, die über ihre Partyfotos auf Facebook gestolpert sind zum Beispiel. Das passiert jetzt im politischen Kontext: Studierende entwickeln sich im Verlauf ihrer akademischen Karriere, sie bekommen Ecken und Kanten. Das leben sie auf Social Media heute teilweise in einer Radikalität aus, die mit dem Ehrenkodex der Unis kollidiert. Auch hier appelliere ich daran, diesen Ehrenkodex klar einzufordern und bei den Studierenden ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sie antisemitische Inhalte auf Social Media posten.
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