Fall CarlosAnwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen Justiz
Der Verteidiger von Carlos hat sich mit einem Brief an die Mitglieder des Zürcher Kantonsrats gewandt. Darin wirft er der Jugendanwaltschaft schwere Fehler vor.
Am 9. Dezember wird sich der Zürcher Kantonsrat mit dem Fall Carlos befassen. Der Verteidiger des Jugendstraftäters, Stephan Bernard, hat nun allen Mitgliedern des Parlaments einen Brief geschrieben, um sie über seine Sicht der Dinge aufzuklären, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Im siebenseitigen Schreiben vom 1. Dezember, das 20 Minuten vorliegt, erhebt Bernard schwere Vorwürfe gegen die Jugendanwaltschaft. Seit dem Abbruch des Sondersettings von Carlos Ende August sei bei ihr «kein durchdachter Kurs und kein klares pädagogisches Konzept mehr» auszumachen. Die Versetzung von Carlos in die geschlossene Abteilung des Massnahmenzentrums Uitikon sei Carlos gegenüber «nicht schlüssig begründbar».
Carlos falsche Hoffnungen gemacht
Er müsse den Eindruck gewinnen, bei seiner Platzierung führe die öffentliche Meinung und nicht «rechtsstaatliche und pädagogische Erwägungen» Regie. Zudem hat die Jugendanwaltschaft Carlos laut Bernard falsche Hoffnungen gemacht, dass das Sondersetting fortgesetzt werde, wenn er sich gut benehme. Nicht einmal 24 Stunden vor dem Erlass der Verfügung, ihn nach Uitikon zu versetzen, habe man Carlos ein Papier unterschreiben lassen, das für die Wiederaufnahme eines Sondersettings nötig gewesen wäre: «Umso tiefer war der Fall für Carlos, als ihm am nächsten Tag ein völlig anderer Entscheid eröffnet wurde, der für ihn nach den Signalen der letzten Wochen nicht ansatzweise nachvollziehbar sein kann». Laut Bernard widerspricht eine geschlossene Unterbringung zudem dem Urteil, das das Jugendgericht gegen Carlos im November 2012 gefällt hat: Es hatte eine offene Platzierung angeordnet.
Überraschend hohe, aber gerechtfertigte Kosten
Zu den Kosten des abgebrochenen Sondersettings von Carlos (29'000 Franken im Monat) schreibt Bernard, auch er und die Eltern von Carlos hätten diese Zahlen nicht gekannt; er sei über die Höhe überrascht gewesen. Doch für Bernard sind diese Kosten gerechtfertigt: Zum einen seien sie nicht höher als jene bei anderen Platzierungen, zum anderen wären sie relativ rasch billiger geworden. «Somit war das bisherige Sondersetting im Fall Carlos nicht nur pädagogisch zielführend und die bestmögliche Rückfallprävention, sondern mutmasslich auch wirtschaftlich effizient», so Bernard.
Nur leise Kritik übt Bernard an dem Mann, der den Wirbel um Carlos ausgelöst hat: Gegenüber Jugendanwalt Hansueli Gürber hege Carlos zwar noch immer einen gewissen Groll, weil der SRF-Film über den Jugendanwalt den ganzen Wirbel ausgelöst hat. Aber es sei Gürber zu attestieren, dass er aufgrund seiner «authentischen, direkten Persönlichkeit eine echte Autorität» darstelle und damit sehr oft den Boden für überraschend positive Entwicklungen schaffe – so auch bei Carlos.
Lange Haft nach Messerattacke
Zur Straftat, die zur Verurteilung von Carlos führte – dem Messerangriff auf Ahmet Y. im Juni 2011 auf dem Schwamendigerplatz – sagt Bernard, es habe sich um eine «wechselseitige, zuerst verbale, dann tätliche Auseinandersetzung unter männlichen Jugendlichen» gehandelt. Der Vorfall könne und solle nicht bagatellisiert werden. Doch Carlos sei daraufhin während fast zehn Monaten im Gefängnis und in geschlossenen Psychiatrien inhaftiert gewesen – ungewöhnlich lang für einen damals 15-Jährigen. Bereits vor diesem Vorfall sei Carlos zwar mit dem Gesetz in Konflikt geraten, doch kein Vorfall sei mit jenem vom Juni 2011 zu vergleichen.