Rosengarten-TunnelAnwohner wollen nicht 20 Jahre warten
Ein Tunnel soll die Zürcher Rosengartenstrasse ab 2032 vom Verkehr entlasten. Die Bewohner glauben aber nicht daran, dass sie einst auf ihren Balkonen essen können.
«Hier bin ich nie», sagt Müjde Kocayildiz (32) und öffnet die Türe ihres Balkons. Unter ihr halten Busse, Autos stauen sich vor dem Rotlicht, ein Lastwagenfahrer hupt – Kocayildiz muss fast schreien, damit man sie versteht: «Jetzt am frühen Nachmittag ist es noch ruhig. Sie sollten mal zur Rushhour hier sein.»
Durchschnittlich 56'000 Fahrzeuge pro Tag rollen auf der vierspurigen Rosengartenstrasse in Zürich vorbei. Nun wollen Stadt und Kanton eine der meistbefahrensten Achsen der Schweiz mit einem Tunnel-Projekt für 860 Millionen Franken entlasten.
«Nachts wackeln die Möbel»
Ab 2032 sollen an Kocayildizs Mehrfamilienhaus Trams statt Lastwagen vorbei fahren. Sie glaubt jedoch nicht daran, dass sie einst an einer friedlichen Quartierstrasse wohnen wird. «Das ist ein schöner Traum. Die Autolenker werden trotzdem die Rosengartenstrasse nehmen», sagt Kocayildiz und schliesst ihre Balkontüre. Nur noch ein dumpfes Summen ist im Wohnzimmer zu hören: «Ohne Vierfachverglasung würde man es nicht aushalten.»
Die dicken Scheiben bringen allerdings momentan wenig, denn an der Rosengartengartenstrasse wird seit Monaten gebaut. «Jede Nacht reissen uns Bohrgeräusche aus dem Schlaf.» Manchmal vibriere es so stark, dass die Möbel wackelten, so die dreifache Mutter: «Meine Kinder sind so übermüdet, dass sie sich in der Schule nicht mehr richtig konzentrieren können.» Trotzdem will sie nicht wegziehen: «Wo kriegt man denn sonst eine so schöne Dreizimmerwohnung für 1200 Franken in dieser zentralen Lage?»
Abgase lassen Pflanzen sterben
Bereits auf Wohnungssuche ist hingegen Anne März (25), die seit drei Jahren in der ersten Etage in einem Mehrfamilienhaus an der Rosengartenstrasse wohnt: «Ich werde sicher nicht zwanzig Jahre auf einen Tunnel warten.» Ihre Fenster öffnet die Servicefachangestellte nur im Sommer, wenn sie es vor lauter Hitze kaum mehr aushält: «Es fühlt sich dann so an, als ob die Strasse direkt durch meine Wohnung gehen würde.» Auch sorgt sie sich manchmal um ihre Gesundheit: «Die Abgase sind sicher nicht das Beste.»
Darüber macht sich auch Ryv Dumoni (48) Gedanken: «Auf meinem Balkon überlebt keine Pflanze. Wenn man die Fenster putzt, sind sie nach wenigen Stunden wieder schwarz.» Wegziehen würde sie aber nicht: «Hier ist es wie in Paris. Ich brauche den Trubel und die Lichter.» Auf dem Land sei es ihr viel zu ruhig und zu dunkel: «Ich würde mich einsam fühlen.» Gegen einen Tunnel hätte sie aber nichts: «Es wäre schön, wenn ich auf meinem Balkon essen könnte – falls ich in 20 Jahren noch lebe.»