Weiterhin Gratis-TestsArzt und Jungpolitiker wollen unter-40-Jährige von Impfdruck befreien
Ein Hausarzt rät seinen jungen Patienten, mit der Impfung zuzuwarten und schlägt für sie weiterhin kostenlose Tests vor. Bürgerliche Jungparteien unterstützen den Ansatz.
Darum gehts
Bis 40-Jährige sollten weiterhin Gratis-Tests erhalten, während sich über-40-Jährige impfen oder kostenpflichtig testen liessen, schlägt Hausarzt Martin Sigg vor.
Auf diese Weise würde man weniger Druck auf die Jungen ausüben und ihre Interessen einbeziehen, heisst es bei bürgerlichen Jungfreisinnigen.
Ein Immunologe entgegnet: «Wir können keinen Druck entziehen, den uns die Natur auferlegt.»
Die Schweiz bietet dem Coronavirus noch zu viel Angriffsfläche. Die aktuelle Quote von rund 50 Prozent Geimpften ist laut Gesundheitsminister Alain Berset (SP) zu tief. «Wir können nicht sagen, es wird gut gehen im Herbst», sagte er zum «SonntagsBlick».
Auch Immunologe und Taskforce-Mitglied Richard Neher sagte in der «SonntagsZeitung», eine starke vierte Welle könne so nicht verhindert werden. Alain Berset appellierte am Mittwoch erneut, sich jetzt impfen zu lassen. Nun steht aber zur Debatte, den Druck auf junge Ungeimpfte abzubauen.
«Mit Impfung ohne schlechtes Gewissen zuwarten»
Er wünsche sich, dass die Jungen beim Impfen nicht unnötig moralisch unter Druck gesetzt würden, schrieb Hausarzt Martin Sigg aus Sachseln OW kürzlich in einem Leserbrief der «NZZ».
Sigg schlägt vor, beim Covid-Zertifikat nach Altersgruppen zu unterscheiden. So erhielten bis 40-Jährige weiterhin Gratis-Tests, während sich über-40-Jährige impfen oder kostenpflichtig testen liessen. Seinen jungen Patienten rate er zurzeit dazu, mit der Covid-19-Impfung zuzuwarten – und zwar ohne sich ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen.
Junge Generation werde weiteres Mal in Pflicht genommen
«Als praktizierender Hausarzt sehe ich es mit Besorgnis kommen, dass die junge Generation in dieser Covid-19-Pandemie beim Impfen ein weiteres Mal in die Pflicht genommen wird», so der Arzt, der sich als überzeugter Impfbefürworter bezeichnet. Er fragt, wie den Jungen erklärt werden sollte, wenn in zehn Jahren unerwartet doch Nebenwirkungen der Impfung aufträten. «Die älteren Generationen hätten in diesem Fall zumindest bezüglich Risikoreduktion einen Nutzen durch die Impfung gehabt.»
Sein Fokus bei der Überzeugung zu einer Impfung liege bei den über-50-Jährigen, sagt Sigg zu 20 Minuten. «Manchmal entscheiden sie sich für eine Impfung, wenn ich ihnen aufzeige, dass sich die weniger gefährdeten Jungen nur impfen lassen müssen, weil sich ältere nicht schützen wollen.»
«Abwehrhaltung sogar verringern»
Bürgerliche Jungparteien unterstützen den Vorschlag. «Mit weiterhin Gratis-Tests gerade für unter-40-Jährige würde man weniger Druck auf die Jungen ausüben und könnte die Abwehrhaltung gegen die Impfung vielleicht sogar verringern», sagt Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz.
Die Pandemie sei am meisten zu Lasten der Jungen gegangen, sagt Müller. In dieser Zeit hätten sie auf viele wichtige Erfahrungen verzichten müssen. «Man muss genau darauf achten, dass sich die jungen Menschen nicht erneut zu etwas gedrängt fühlen, sondern vielmehr als Teil der Lösung sehen.»
«Erfreulich, denkt man an Interessen der Jungen»
Als sinnvoll erachtet Müller, die Tests bis Anfang Frühling kostenlos anzubieten. Schliesslich gebe es über das Coronavirus und die Impfung laufend neue Erkenntnisse. Bis dahin schade es nicht, weiterhin grosse Teile der Bevölkerung regelmässig zu testen. «Gerade auch angesichts der Impfdurchbrüche bleiben Gratis-Tests das Non-Plus-Ultra, um Infektionsketten rasch unterbrechen zu können.»
Auch David Trachsel, Präsident der Jungen SVP, sagt: Die allenfalls kostenpflichtigen Corona-Tests erzeugten einen erhöhten Impfdruck. «Es ist erfreulich, dass man einmal daran denkt, die Interessen der Jungen einzubeziehen.» Die Tests sollten auch für den Rest der Bevölkerung gratis bleiben. «Niemand hat verdient, dass Druck für eine Impfung ausgeübt wird.»
Ungleichbehandlung sei seltsam
Andere Jungparteien sind hingegen skeptisch. «Ich finde eine Ungleichbehandlung von unter und über 40-Jährigen seltsam», sagt Juso-Präsidentin Ronja Jansen. Oft werde zu Unrecht behauptet, junge Menschen müssten mit den älteren solidarisch sein, ohne selber etwas davon zu haben. «Dass sich andere junge Menschen impfen lassen, ist gerade auch im Interesse von jungen Menschen.» Schliesslich könnten auch diese schwere Verläufe haben oder an Long Covid leiden. «Grassiert das Virus weiter, steigt das Risiko für Mutationen zudem an.»
Tobias Vögeli, Co-Präsident der Jungen Grünliberalen, teilt die Ansichten. «Sich impfen zu lassen, ist ein Akt der Solidarität von Jung und Alt.» Die Alternative seien strenge Massnahmen. «Die Impfung lässt eine Lockerung der Massnahmen zu, was auch im Sinne der jungen Menschen ist.» Auch ein Immunologie-Professor sieht keine Vorteile darin, unter-40-Jährige vom Impfdruck zu befreien (siehe unten).
«Wir können keinen Druck entziehen, den uns die Natur auferlegt»
Herr Speiser*, wäre es sinnvoll, unter-40-Jährigen weiterhin gratis Tests anzubieten?
Nein. In der Gesamtübersicht ist es falsch, die junge Bevölkerung weniger zum Impfen zu motivieren als die ältere Bevölkerung. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass mit der Impfung später neue Nebenwirkungen auftreten. Die Impfung vermeidet den potenziell grossen Schaden durch die Krankheit, deshalb sollten sich auch die Jungen impfen lassen.
Laut Hausarzt Martin Sigg haben sie im Gegensatz zu den älteren Generationen bezüglich Risikoreduktion aber keinen Nutzen.
Doch, auch für sie bringt die Impfung einen Eigennutzen. In der Schweiz gibt es immer noch drei Millionen Menschen, die sich mit dem Virus infizieren könnten. Das sind viel mehr, als bereits infiziert wurden. Hohe Infektionszahlen bedeuten, dass auch viele Junge schwer erkranken oder von Long Covid betroffen werden.
Könnte weniger Impfdruck auf die Jungen vielleicht deren Abwehrhaltung verringern?
Das glaube ich kaum und ist auch nicht belegt. Wir können keinen Druck entziehen, den uns die Natur auferlegt. Die Pandemie bewirkt leider Druck in vielen Bereichen. Da höhere Infektionszahlen wieder strengere Einschränkungen bringen, würde die Bevölkerung erneut verstärktem Druck ausgesetzt, und wir würden noch einmal in die Krise statt aus der Krise kommen. Es gibt viele Ungeimpfte, die lediglich mit der Impfung zögern, weil sie dadurch noch keine Nachteile sehen. Ihnen sollte klar werden, dass jede geimpfte Person auch einen Vorteil für sich selbst hat, nebst dem enormen Vorteil für die Allgemeinheit.

*Daniel Speiser ist Immunologie-Professor an der Uni Lausanne.
Privat
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