Illia «Gandalf» SamoilenkoAsow-Kämpfer wehrt sich – «Irrsinnig, wie effektiv russische Propaganda ist»
In der Ukraine ist er eine Legende: Illia «Gandalf» Samoilenko (28) verlor im Kampf gegen Russland eine Hand und ein Auge, harrte in Mariupol aus, war Kriegsgefangener in Moskau. 20 Minuten sprach mit dem stellvertretenden Asow-Kommandanten in Davos.
«Wieso ‹Gandalf›? Ich war von lauter kurzbärtigen Männern umgeben»: mehr Fragen für Samoilenko.
20 Minuten/derDarum gehts
Illia Samoilenko (28) ist stellvertretender Kommandant des ukrainischen Asow-Regiments.
Im Kampf gegen die russischen Besatzer verlor er im Donbass schon früh Hand und Auge.
Später sollte sich Samoilenko – Kampfname Gandalf – im russischen Angriffskrieg bewähren.
Heute ist der frühere Geschichtsstudent Botschafter und Sprecher von Asow.
Mit 20 Minuten sprach er über das Nazi-Image der Brigade, über russische Propaganda und Heldentum.
Illia Samoilenko, Kampfname Gandalf, ist eine Legende in der Ukraine. Als 21-Jähriger schloss sich der Geschichtsstudent 2015 dem Asow-Regiment an. Dieses war – auch von rechtsextremen Kräften – als paramilitärische Einheit gegründet worden, um im Donbass prorussische Kräfte zu bekämpfen. Wegen einer Granate verlor Samoilenko seine linke Hand und sein rechtes Auge. Er trägt seither eine Titanprothese und ein Glasauge, eine Narbe auf der rechten Wange.
Vom Kampf hielt ihn das nicht ab. So harrte Samoilenko als stellvertretender Kommandant von Asow mit seinen Kameraden vier Monate im belagerten Mariupol aus, landete als Kriegsgefangener in Moskau und wurde nach wochenlanger Isolationshaft schliesslich gegen hochrangige russische Gefangene ausgetauscht. Heute ist Samoilenko als Sprecher und Botschafter des Asow-Regiments tätig. In dieser Funktion ist er ans WEF gereist.

Illia Samoilenko kämpft seit 2015 gegen die russischen Besatzer (rechts: 2022 im Stahlwerk von Mariupol).
Asow/Screenshot YoutubeIllia, was machen Sie in Davos?
Ich stelle als Botschafter meiner Einheit die Denk- und Arbeitsweise von Asow vor – eine grossartige Gelegenheit. Gleichzeitig bin ich kein Träumer: Wir sind im Krieg und müssen Ressourcen und Anstrengungen kombinieren und um Unterstützung werben.
Wieso hat das Asow-Bataillon ein Nazi-Image?
Wir haben einen kontroversen Ruf. Das geht auf die undurchsichtigen Jahre vor 2014/15 zurück. Eine chaotische Zeit, in der es bei Asow keine Strukturen und keine Organisation gab. Kommt die russische Propaganda dazu, die uns viele Mythen andichtete.
Was meinen Sie damit?
Asowsche Kernwerte sind Ruhm, Ehre und Wahrheit. Als Militäreinheit deckt sich unsere Position mit der ukrainischen Regierung beziehungsweise sind wir apolitisch, egal, welchen Bullshit Moskau erzählt. Ich bin erleichtert, dass viele Leute im Westen die Augen geöffnet haben, was Asow angeht – auch wenn es eine bittersüsse Erleichterung ist. Denn Hunderte meiner Brüder haben ihr Leben gegeben, um das Bild von Asow in der freien Welt zu korrigieren und zu zeigen, dass wir seit Jahren eine hochprofessionelle militärische Einheit der ukrainischen Nationalgarde sind.
Wenn Asow apolitisch ist, wieso tragen dann einige Asow-Kämpfer Tattoos von Swastikas und anderen Nazi-Symbolen?
Da schwingt viel ukrainische Selbstironie mit. Russland hat im Februar ja eine «De-Nazifizierungsoperation» gegen die Ukraine gestartet und nennt alle Ukrainer offen «Nazis». Die Tattoos sind eine trotzige Antwort darauf. Eine Ideologie steckt nicht dahinter. Tatsächlich zeigt uns Russland doch jeden Tag, wer hier der Faschist ist.
Aber die Tattoos sind problematisch, es gibt sie ja.
Ja, es wäre dumm, das abzustreiten. Doch wir kultivieren in unseren Reihen keine radikale oder fremdenfeindliche Ideologie, so wie Moskau behauptet. Wir schulen gute Führung, es geht um Aufopferung und Hingabe für das Land und das Volk. Als Soldaten gehört unser Leben nicht uns, wir haben unsere Leben für die Gesellschaft aufgegeben. Das ist das Denken eines echten Kriegers. Es unterscheidet sich vom Selbstverständnis der imperialistischen russischen Soldaten, die Gebiete und Ressourcen erobern, die ihnen nicht gehören. Sie zerstören ukrainische Städte und Dörfer ohne jeden strategischen Zweck und begehen Kriegsverbrechen. Moskau macht nicht einmal ein Geheimnis daraus, dass es an ukrainischen Zivilisten einen Kälte-Genozid zu verüben versucht.

Samoilenko: «Heroismus kann gelernt werden, er ist ein Nebeneffekt von Professionalismus.»
20 Minuten/guxFühlt man sich als Asow-Soldat verantwortlich dafür, dass die Vergangenheit des Regiments das russische Narrativ der «ukrainischen Nazis» befeuert hat?
Der Ruf einer ganzen Reihe ukrainischer Freiwilligen-Bataillone litt darunter, dass es in ihren Reihen in der Vergangenheit zwielichtige Gestalten mit undurchsichtigen Motiven gab. Seither haben wir systematisch an Organisation und Legitimation gearbeitet und eine effiziente militärische Einheit geschaffen, die sich dem Land und der Bevölkerung verschrieben hat – auch wenn die russische Propaganda uns als drogenabhängige Nato-Söldner, Vergewaltiger und Plünderer darstellt. Es ist irrsinnig, wie effektiv die russische Propaganda ist. Doch der Angriff auf die Ukraine hat der Welt die Augen geöffnet.
Vermissen Sie es zu kämpfen?
Irgendwie schon. Aber jetzt habe ich andere Verantwortungen. Wissen Sie, es ist eine grosse Ehre, als Krieger nicht sich selbst, sondern der Gesellschaft zu dienen und dafür keine Gegenleistung zu erwarten. Heroismus kann gelernt werden, er ist ein Nebeneffekt von Professionalismus.
Sehen Sie sich als Held?
Natürlich nicht.
Sie sind es aber für andere.
Ich weiss und ich respektiere das ja. Aber die Helden sind meine Brüder, die jetzt kämpfen. Unser aller Verpflichtung dauert an, und wir müssen bis zum Sieg weitermachen.
Sie sagten einst, dass Sie einige russische Kampfeinheiten respektieren, weil sie noch Ehre hätten. Können Sie das ausführen?
Damit mache ich mich vielleicht nicht beliebt, aber ich kann nicht lügen. Einige russische Einheiten arbeiten sehr professionell und verhalten sich ehrenwert. Leider sind das Ausnahmen, nur einige Tausend der russischen Millionen-Armee und damit statistisch vernachlässigbar.
Good to know
Zum Asow-Regiment
Asow ist eine offizielle Einheit des ukrainischen Militärs: Ende 2014 wurde es als Spezialeinheit Nummer 3057 der ukrainischen Nationalgarde unterstellt. Seine 1500 Soldaten (Stand April 2022) unterstehen damit dem Schutz internationaler Kriegsgesetze.
Für viele Ukrainer sind die Asow-Kämpfer heroische Figuren, die ihr Land noch in der katastrophalsten Situation und gegen alle Widerstände verteidigen.
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dagegen lieferte das Asow-Regiment bei seinem Angriff auf die Ukraine die Legitimation dafür, dass das Land «entnazifiziert» werden müsste. In den russischen Medien ist Asow die rechtsextreme Gefahr schlechthin.
Im Westen schlugen Beobachter 2014 ebenfalls Alarm wegen Asows offen verwendeter neonazistischer Symbolik und Insignien, wie der Schwarzen Sonne und dem Wolfsangel. Tatsächlich gab es damals – und gibt es bis heute – höchst unterschiedliche Ideologien und Sichtweisen unter den Asow-Mitgliedern.
Asow enstand im Zuge der Post-Euromaidan-Tumulte: Im Frühjahr 2014 gab es für Freiwillige nur die Anforderungen, die prorussischen Separatisten bekämpfen zu wollen. Entsprechend fanden sich in den Asow-Reihen Menschen mit komplett unterschiedlichen Hintergründen – neben Fussball-Ultras, Hooligans und Rechtsextremen auch Polizeioffiziere, Euromaidan-Aktivisten, Armee-Veterane und ausländische Freiwillige.
«Herkunft und bevorzugte Sprache widerlegen also russische Behauptungen über ‹ukrainischsprechende Bandera-Faschisten aus Lwiw›, die versuchen würden, russischsprachige Menschen in Donezk zu töten», notiert die deutsche Bundeszentrale für Politische Bildung. Sie sieht Asow als «eine regionale ostukrainische Opposition gegen den Einmarsch der Truppen der Russischen Föderation.
In Mariupol wurde Asow zum Symbol nationalen Widerstands und eisernen Willens. In der ansonsten komplett russisch besetzten Hafenstadt verteidigte die Einheit während 80 Tagen das riesige Asow-Stahlwerk, in dem auch Hunderte Zivilisten und Zivilistinnen Zuflucht gesucht hatten.
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.