Heisser AsylherbstAsylsystem ächzt unter Flüchtlingswelle – drohen Zeltstädte für Geflüchtete?
Die Bundesasylzentren sind voll und auch die Kantone haben Mühe, die Flüchtlingswelle zu bewältigen. Zivilschutzbunker werden geöffnet und auch Zeltstädte sind nicht mehr auszuschliessen.
Darum gehts
Dem Bund gehen die Betten für Geflüchtete aus. 800 Menschen erreichen die Schweiz derzeit jede Woche, wie er am Dienstag mitteilte. Insbesondere aus Afghanistan, der Türkei, Algerien, Burundi und Syrien kommen mehr Menschen, die längerfristig Asyl suchen.
Um der Lage Herr zu werden, werden nun Geflüchtete früher als üblich den Kantonen zugewiesen. Ausserdem werden wieder vermehrt Geflüchtete in Zivilschutzbunkern untergebracht, wie ein Beispiel aus Allschwil (BL) zeigt.
Auch die Kantone ächzen unter den zunehmenden Flüchtlingsströmen. «Wir sind seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine mit der grössten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert», sagt Myriame Zufferey, Fachbereichsleiterin Migration bei der Sozialdirektorenkonferenz: «Es gibt Kantone, die sozusagen von heute auf morgen mehrere Dutzend Personen auf einmal unterbringen müssen und zwar in einer Zeit, in der schon alle aufgrund der Ukrainerinnen und Ukrainer Wohnraum schaffen müssen.»
«Einige Kantone gelangen an Grenzen»
Die Situation kommt laut Zufferey zwar nicht überraschend, die Spielräume werden aber immer enger. «Zentren, die seit März der Erstunterbringung von Frauen und Kindern dienen, müssen wieder zu Männerunterkünften umgewandelt werden.» Die Kantone hätten noch 7000 bis 7500 freie Plätze. Die Zahl schwanke von Woche zu Woche stark. Einige Kantone gelangen laut Zufferey bereits an ihre Grenzen, andere versuchen sie beispielsweise in Jugendherbergen unterzubringen.
Vor der Verteilung auf die Gemeinden können Kantone Geflüchtete in Zivilschutzanlagen oder Containerdörfern unterbringen. Dies ist teils schon der Fall. «Wenn auch die Kantone ans Limit kommen, müssten auch die Kasernen geöffnet werden», sagt Zufferey. Das bedinge aber einen Entscheid des Gesamtbundesrats. «Es muss unser gemeinsames Ziel sein zu vermeiden, dass Menschen draussen übernachten müssen, weil wir kein Bett für sie haben», sagt Zufferey. Ausschliessen können dies Bund, Kantone und Gemeinden derzeit aber nicht.
Das bedeute aber, dass Asylsuchende weiterhin auch in Zivilschutzanlagen untergebracht werden müssen. Das SEM schliesst das nicht aus. «Es mangelt schlicht an Alternativmöglichkeiten – wir setzen aber alles daran, möglichst viele Asylsuchende in oberirdischen Strukturen unterbringen zu können». Alle seien seit Monaten mit Hochdruck daran, jederzeit zumindest ein Dach über dem Kopf, ein Bett, Mahlzeiten und falls nötig medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen.
Warst du schon einmal in einer Asylunterkunft?
«Im Frühling werden wir Zeltstädte sehen»
«Die Asylgesuche werden uns in nächster Zeit um die Ohren fliegen», ist SVP-Nationalrätin Martina Bircher überzeugt. Der Status S für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine habe eine Sogwirkung auf Flüchtlinge aus anderen Regionen ausgelöst, welche nun zum Beispiel über die Balkanroute nach Europa kommen. Bircher hat schon im September gewarnt, dass die Schweiz dieses Jahr um 250’000 Menschen wächst.
Dass nun schon wenige Wochen später die Kapazitäten der Bundes-Asylunterkünfte erschöpft sind, lässt sie Dunkles prophezeien. Sie befürchtet, dass spätestens im Frühling 2023 auch die Kapazitäten der Zivilschutzbunker, Container und Turnhallen erschöpft sein könnten. «Dann bleiben nur Zeltstädte zur Unterbringung. Darauf müssen wir uns einstellen», ist sie überzeugt. Ausschliessen können dies Bund und Kantone nicht.
Kritik auch von links
Der Bund hat kurzsichtig gehandelt, sagt Katharina Prelicz-Huber von den Grünen. «Die Kapazitäten, die man im Frühling für Menschen aus der Ukraine aufgebaut hat, hat man viel zu schnell wieder abgebaut.» Dass man jetzt vermutlich wieder vermehrt Leute in Zivilschutzbunkern unterbringen müsse, sei hochproblematisch, findet sie. «Bei Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine ist das seelische Trauma im Bunker vorprogrammiert.» Sie hofft, dass nun wieder eine Solidaritätswelle durch die Schweiz geht und die Schweizerinnen und Schweizer wie bei Kriegsbeginn bereit sind, Geflüchtete privat bei sich aufzunehmen. Allerdings brauche es dazu einen Appell des Bundes, ist sie überzeugt.
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