«Ausgeflippte Leute brauchen auch einen Ort»

Aktualisiert

Ausstellung in Basel«Ausgeflippte Leute brauchen auch einen Ort»

Freiräume prägen die Basler Stadtentwicklung seit den 1960er-Jahren, wie eine Ausstellung zeigt. Ex-Stadtentwickler Thomas Kessler warnt aber vor einer «Verspiesserung».

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1988 wurde die Alte Stadtgärtnerei polizeilich geräumt. Noch ein Jahr später demonstrierten die gemaligen Stadtgärtner für mehr Freiräume in der Basler Innenstadt.
Ging in die Stadtgeschichte ein: Die Alte Stadtgärtnerei war zuerst eine bewilligte Zwischennutzung und ging danach als Besetzung in die Verlängerung. Sie war eines der autonomen Jugendzentren, die in den 80er-Jahren in mehreren Schweizer Städten entstanden.
Eine Ausstellung im Basler Clarahaus widmet sich den Basler Freiräumen seit den 1960er-Jahren. Die Kuratoren Claudio Miozzari, Dominique Rudin und Benedikt Wyss haben dazu umgreiches Videomaterial zusammengetragen.
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1988 wurde die Alte Stadtgärtnerei polizeilich geräumt. Noch ein Jahr später demonstrierten die gemaligen Stadtgärtner für mehr Freiräume in der Basler Innenstadt.

Keystone/str

«Die normalen Leute finden das einfach empörend. Aber ich finde, ausgeflippte Leute brauchen auch einen Ort», sagt ein Teenager in die Fernsehkamera. Er steht auf dem Gelände der Alten Stadtgärtnerei. 30 Jahre ist es her, das der Beitrag gedreht wurde. Im gleichen Jahr, im Morgengrauen des 21. Juni 1988, stürmte die Polizei mit Gummischrotgewehren das Areal und vertrieb die rund 100 Besetzer. Gleichentags demonstrierten rund 2000 Personen in der Innenstadt, eine Menge Glas ging zu Bruch.

Die Alte Stadtgärtnerei warin den 1980er-Jahren eine der prominentesten Zwischennutzungen in Basel und prägte ein ganze Generation. (Video: Martin Streckeisen, Schweizer Sozialarchiv Zürich)

Ausschnit aus «Alte Stadt ohne Gärtnerei?», 1988, von Martin Streckeisen/Schweiz. Sozialarchiv Zürich

Obengenannte Filmsequenz ist an der Ausstellung 68-88-18 im Clarahaus zu sehen, die sich sich diesem turbulenten Kapitel Stadtgeschichte widmet. Sie thematisiert die Freiräume, die die Basler Stadtentwicklung in den letzten 50 Jahren prägten. Das Team um die Kuratoren Benedikt Wyss, Dominique Rudin und Claudio Miozzari hat umfangreiches Videomaterial dazu gesammelt und aufbereitet, das in 50 Räumen auf 850 Quadratmetern präsentiert wird.

«Der Begriff Zwischennutzung prägt meine Umwelt schon seit Jahren», sagt Wyss. Der 34-jährige zählt sich zur Generation NT-Areal, jene Zwischennutzung, die ihn in seiner Jugend begleitete. «Für viele war das lange Zeit ein Ort, wo die Stadt atmen kann», sagt er. Der Begriff Zwischennutzung ist seither nicht mehr aus dem Vokabular der Stadtentwickler wegzudenken.

Autonome Räume kontrolliert heute der Staat

Der ehemalige Basler Stadtentwickler Thomas Kessler hat selbst mehrere Zwischennutzungen begleitet – auch das NT-Areal – und beobachtet die Entwicklung kritisch. «Wir sind in eine Phase der staatlichen Fürsorglichkeit eingetreten», sagt er. Der Grund:

Zwischennutzungen sind heute staatlich durchorganisiert. Das führt auch zu Konflikten, wie an der Uferstrasse, wo die vom Kanton auserkorenen Zwischennutzer den Wagenplatz zurückdrängten.

Mit autonomen Räumen, wie sie im Zuge der Jugendunruhen der 1980er-Jahre noch erobert wurden, haben moderne Zwischennutzungen nichts mehr gemein. «Zwischennutzungen sind heute zum Normalfall geworden», so Kessler. «Man muss aufpassen, dass es rundherum nicht zu spiessig wird und Zwischennutzungen zu Inseln werden», warnt er.

Eine App macht das Buch zur Ausstellung über Basler Freiräume zu einem Multimedia-Erlebnis. (Video: 20 Minuten)

Eine App macht das Ausstellungsbuch zum Multimedia-Erlebnis. (Video: 20 Minuten)

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