Autopsie deckt Covid-19-Schäden im Gehirn auf

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«Wir sind vollkommen überrascht»Autopsie deckt Covid-19-Schäden im Gehirn auf

Anders als anfangs gedacht, schädigt Sars-CoV-2 nicht nur die Lunge, sondern viele Organe. Auch das Gehirn wird massiv in Mitleidenschaft gezogen, wie eine Studie aus den USA zeigt. Darin wies etwa die Hälfte der untersuchten Verstorbenen dort Anomalien auf.

Schwindel, Verwirrung, Gedächtnisverlust und Gleichgültigkeit – es gibt mehrere Hinweise darauf, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 auch dem Gehirn zusetzt.
Dies dürfte auch die Schädigungen zurückzuführen sein, welche US-Forschende nun bei der Autopsie von insgesamt 19 Gehirnen identifiziert haben. So wies etwa die Hälfte der untersuchten verstorbenen Patienten Anomalien im Gehirn auf.
Die sogenannten Hyperintensitäten sind auf den Aufnahmen der Magnetresonanzmikroskopie in Form heller Flecken zu sehen.
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Schwindel, Verwirrung, Gedächtnisverlust und Gleichgültigkeit – es gibt mehrere Hinweise darauf, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 auch dem Gehirn zusetzt.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Darum gehts

  • US-Mediziner und Medizinerinnen haben die Gehirne von Personen untersucht, die im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben sind.

  • Etwa die Hälfte der untersuchten Gewebeproben weisen Anomalien im Gehirn auf.

  • Die Schäden überraschten die Forschenden, weil sie jenen ähnelten, die durch Schlaganfälle ausgelöst werden.

Vom «Covid-Hirn» war das erste Mal im Juni 2020 die Rede. Lanciert worden war der Begriff von norwegischen Ärztinnen und Ärzten, die bei Personen, die sich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert hatten, eine Häufung von Delirium-ähnlichen Zuständen beobachteten. Kurz darauf berichteten britische Forschende, dass diese «ernsthaften und möglicherweise dauerhaften Gehirnschäden» nicht nur bei Patienten mit schweren Verläufen auftreten, sondern auch jene mit milden oder sogar asymptomatischen Entwicklungen betreffen können.

Autopsien, welche von dem National Institute of Health (NIH) angeschlossenen Medizinern an verstorbenen Covid-19-Patienten durchgeführt wurden, bestätigen nun die Eindrücke aus dem Sommer. Sie können zudem erklären, warum es bei manchen Corona-Infizierten zu neurologischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust, Schwindel und sogar Halluzinationen (siehe Box) kommt.

Erst Corona, dann Psychose

Im Fachjournal «Brain: A Journal of Neurology» schildern Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen den Fall einer 55-jährigen Frau, die plötzlich meinte, Affen und Löwen in ihrer Wohnung zu sehen. Zudem wurde sie zunehmend desorientiert und aggressiv gegenüber anderen. Im weiteren Verlauf entwickelte sie zudem ein sogenanntes Capgras-Syndrom. Wer daran leidet, glaubt, dass ihm nahestehende Personen durch identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden seien. Eine psychiatrische Vorgeschichte habe die 55-Jährige nicht gehabt, notiert Michael Marshall im Fachjournal «Nature». Als einziger möglicher Auslöser komme nach Meinung von Experten ihre Covid-19-Erkrankung in Frage. Damit sei ihr Fall einer der ersten bekannten Fälle, in denen jemand eine Psychose entwickelte, nachdem er sich mit Sars-CoV-2 infiziert hat.

Schäden wie nach Schlaganfällen

«Wir waren vollkommen überrascht. Ursprünglich hatten wir erwartet, Schäden zu sehen, die durch Sauerstoffmangel verursacht werden», sagt Anivdra Nath, klinischer Direktor des National Institute of Health (NIH), über die durch die Autopsien gewonnenen Erkenntnisse. «Stattdessen sahen wir in mehreren Hirnarealen Schäden, die normalerweise mit Schlaganfällen oder Entzündungen von Nervengewebe in Verbindung stehen.»

Die Forschenden haben für ihre im «New England Journal of Medicine» publizierte Studie das Gehirngewebe von 19 im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Personen zwischen fünf und 73 Jahren, von denen einige aufgrund ihrer Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Risikopatienten galten, mithilfe der Magnetresonanzmikroskopie (MRM) untersucht.

Zerstörerische Blutproteine und Mini-Hirnblutungen

Ergebnis: Bei zehn der Gehirne entdeckten die Mediziner und Medizinerinnen Anomalien, sogenannte Hyperintensitäten. Diese sind auf den MRM-Aufnahmen in Form heller Flecken zu sehen (siehe Bildstrecke) und stellten sich bei einer weiteren Untersuchung als ausgetretenes Fibrinogen heraus. Dabei handelt es sich um ein Blutprotein, das Neuronen-Verbindungen im Gehirn zerstören kann.

Weiter identifizierten die Wissenschaftler bei mehreren Patienten T-Zellen und Microgliazellen zur Immunabwehr, die rund um die hellen Flecken angeordnet waren. Zudem stiessen sie auf dunkle Areale, welche wiederum auf Blutgerinnsel hindeuten. Die Forschenden werten das als Hinweis darauf, dass die Verstorbenen multiple Mini-Hirnblutungen gehabt haben, die normalerweise mit Entzündungen im Gehirn einhergehen. «Die sehr kleinen Blutgefässe im Gehirn sind ausgelaufen», sagte Nath gegenüber dem Newsportal NPR. Ein Muster habe man dabei nicht erkennen können. Sie seien ungleichmässig verteilt gewesen.

Offene Fragen

Ob das Coronavirus diese Schäden direkt verursacht hat, ist allerdings noch unklar. Virusspuren selbst wurden – anders als in anderen Studien – im Gehirn nicht nachgewiesen. Das könnte damit zusammenhängen, dass Sars-CoV-2 zum Todeszeitpunkt bereits nicht mehr nachweisbar war. Die Hirnschäden könnten laut den Forschern aber auch in Folge der Entzündungsreaktion des Körpers auf das Virus entstanden sein.

In Zukunft soll weiter untersucht werden, wie genau es zu der Schädigung der Blutgefässe im Gehirn kommt und ob diese dauerhafter Natur sind. Die Forscher zeigen sich laut ScienceAlert.com besorgt, da Gehirnentzündungen mit Gedächtnisverlust und Alzheimer in Verbindung gebracht werden und einige Patienten bereits unter anhaltenden neurologischen Folgen wie chronischer Müdigkeit und dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS, siehe Box) leiden.

Guillain-Barré-Syndrom

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist ein schweres neurologisches Krankheitsbild. Durch eine überschiessende Autoimmunreaktion, häufig in Folge von Infekten, wird die sogenannte Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt, so dass die Nervenfasern keine Reize mehr übertragen können.

Folgen sind Lähmungen (Paresen), die meistens beidseitig in den Beinen beginnen, dann auch die Arme und das Gesicht betreffen. Bei einigen Patienten kann sogar die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen werden, so dass sie beatmet werden müssen. Die Betroffenen erhalten zur Therapie entweder hochdosiert intravenös Antikörper oder es erfolgt eine Plasmapherese – ein extrakorporales Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden.

Oft dauert es viele Wochen, bis sich die Symptome zurückbilden, bei einigen Patienten bleiben dauerhaft neurologische Beschwerden bestehen.

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