Beschwichtigt statt gehandeltBAG hörte nicht auf vorzeitige Covid-Warnungen der Armee
Offenbar hatte Oberfeldarzt Andreas Stettbacher die Regierung schon sehr früh vor einer drohenden Ausbreitung des Corona-Virus gewarnt. Doch bis die Behörden schliesslich handelten, dauerte es.
Darum gehts
Der Oberfeldarzt der Armee mahnte schon anfangs 2020 vor einer möglichen Pandemie. Doch das BAG schätzte die Gefahr zumindest gegen aussen als geringer ein.
Er prognostizierte, das Gesundheitssystem könne an den Anschlag kommen.
Auch die zweite Welle sagte Andreas Stettbacher schon früh voraus.
«Aus Sicht des Oberfeldarztes ist die Verbreitung des 2019-nCoV nicht zu verhindern, sondern allenfalls zu verzögern. Mit einem Anstieg von Erkrankungen muss parallel oder im Nachgang zur aktuellen Grippeepidemie gerechnet werden. Schwere Fälle werden das Spitalwesen belasten»: Diese Aussage von Armee-Oberfeldarzt Andreas Stettbacher vom 3. Februar 2020 mutet heute schon fast prophetisch an. Nur wenige Tage zuvor hatte «Mr. Corona» Daniel Koch beteuert, die Bevölkerung in der Schweiz müsse sich keine Sorgen wegen des neuartigen Virus machen – die Warnungen des Armee-Mediziners verhallten weitgehend ungehört, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Bereits im Januar waren erste Berichte über eine mysteriöse ansteckende Lungenkrankheit in Wuhan in die Schweiz gekommen. Doch während das Bundesamt für Gesundheit beschwichtigte, war der Oberfeldarzt alarmiert und schrieb, «das Risiko, dass Krankheitsfälle in die Schweiz importiert würden, sei hoch». Denn laut dem Bericht hatte die Armee bereits Mitte Dezember 2019 Vorwarnungen über ein «unklares Infektionsgeschehen» im chinesischen Wuhan erhalten.
Gefahr früh erkannt
Mitte Februar breitete sich das noch kaum erforschte Corona-Virus in Norditalien aus. Während das BAG weiter zuwartete, notierte Stettbacher: «Das Risiko, dass Sars-CoV-2 in die Schweiz importiert wird, nimmt zu.» Am 24. Februar hatte diese Bedrohung laut dem Armeearzt erheblich zugenommen – und er warnte, dass sich Armeeangehörige «südlich der Alpen» anstecken könnten. In der Folge schränkte die Armee den Bewegungsradius der Soldaten im Tessin ein. Daniel Koch hingegen gab an, das Virus werde «nicht so leicht übertragen wie Grippevirus, darum gute Aussichten, die Situation unter Kontrolle zu bringen».
Oberfeldarzt Stettbacher schickte dem Bundesrat ein Papier zu, in welchem er zu Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus riet. Doch bis der Bundesrat erste Massnahmen ergriff, ging es laut dem «Tages-Anzeiger» danach noch mindestens fünf Tage. Am 25. Februar wurde der erste positive Fall in der Schweiz getestet. Während das BAG noch immer daran festhielt, das Risiko für eine Ausbreitung des Virus sei «moderat», nannte Stettbacher dieses «generell erhöht» und hatte schon am Tag zuvor Massnahmen gegen die Ausbreitung empfohlen.
Er erkannte auch die weitere Entwicklung früh: Die Warnungen, dass sich die Zahl der bestätigten Fälle vom Tessin aus in die anderen Landesteile ausbreiten werde und dass das Gesundheitssystem dermassen an den Anschlag geraten werde, dass «der Fokus in den Schweizer Spitälern auf das Management der schweren Fälle» gelegt werden müsse. Zudem warnte die Armee davor, dass die bestehenden Maskenvorräte bald aufgebraucht sein würden.
Auch vor zweiter Welle gewarnt
Alle Prognosen Stettbachers sollten sich als richtig erweisen. Auch bezüglich der zweiten Welle lag er richtig: «Mit einem Anstieg der Infektionen und Krankheitsfälle ist möglicherweise in drei bis sechs Wochen zu rechnen», schrieb er anfangs Sommer 2020 nach der ersten Ausbreitungswelle. Zwar ging es schliesslich etwas länger – der Höhepunkt war im November, während der Oberfeldarzt diesen bereits im August und September erwartet hatte – doch es kam so, wie er vorausgesagt hatte.
Dem «Tages-Anzeiger» liegen ab Mai keine Lagebulletins von Stettbacher mehr vor: Diese hätten «abrupt geendet». Man habe seine Beurteilungen der Departements-Vorsteherin Viola Amherd ab da «auf andere Weise» vermittelt, heisst es seitens des VBS.
Warum der Bundesrat nicht früher stärker auf die Warnungen des Oberfeldarztes eingegangen war, ist unklar. Denn das BAG hält fest, dass Stettbacher bei allen Sitzungen der Taskforce dabeigewesen sei. Man habe «die Entwicklung von Beginn weg ernst genommen und die nötigen Arbeiten an die Hand genommen», sagt zudem Mediensprecher Daniel Dauwalder.
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