«Bei Tiktok zeigen sich schon Kinder sexy, weil sie so mehr Likes bekommen»

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Sexualisierung auf Social Media«Bei Tiktok zeigen sich schon Kinder sexy, weil sie so mehr Likes bekommen»

Viele der Tiktok-Challenges sind auf das Sexysein fokussiert und vor allem junge User*innen zeigen sich dabei recht freizügig. Vielen ist gar nicht bewusst, dass sie sich damit in eine Gefahr begeben, sagt eine Medienpädagogin.

Auf Tiktok zeigen sich Kinder und Jugendliche gerne sexy, um so mehr Likes und Follower zu bekommen.
Tiktok ist die beliebteste App der Kinder und Jugendlichen. Gerade deswegen müssen Eltern auf ihre Kinder achten, sagt Medienpädagogin Sharmila Egger.
Die sexy Tanz-Challenges der Plattform sind sehr beliebt bei Kindern und Jugendlichen.
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Auf Tiktok zeigen sich Kinder und Jugendliche gerne sexy, um so mehr Likes und Follower zu bekommen.

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Darum gehts

  • Kinder und Jugendliche zeigen sich vermehrt sexy auf Tiktok, um viele Likes und Follower zu bekommen.

  • Dass Sexyness bei der Jugend derart verbreitet ist, hält die Medienpädagogin für gefährlich.

  • Sexy Challenges sind laut Medienpädagogin ein Risiko.

  • Tiktok macht es Eltern einfacher, die Kontrolle über die Profile der Kinder zu haben.

  • Sexuelle Avancen als Antwort auf die freizügigen Videos und Bilder sind keine Seltenheit.

Ein junges Mädchen, das in knapper Kleidung lasziv auf einem Fussgängerstreifen tanzt und den Verkehr aufhält. Mädchen und Jungs, die mit lüsternen Blicken in die Kamera schauen, und sinnlich die Lippen zu irgendeinem Lied bewegen. Sexy Tänze mit figurbetonter Kleidung und riesigem Ausschnitt vor dem Spiegel. All das ist normal auf Tiktok, der beliebtesten App unter Jugendlichen. «Die App verleitet dazu, sich sexy zu zeigen. Leider zieht sie auch Pädophile an», sagt Sharmila Egger, Medienpädagogin vom Verein zischtig.ch, der sich für Medienbildung und Prävention für Kinder und Jugendliche einsetzt.

Gerade ganz junge User*innen zeigen sich bei Tiktok auffallend sexy. Zugelassen ist die App ab 13 Jahren, wer darunter ist, braucht das Einverständnis der Erziehungsberechtigten – überprüft wird das aber nicht. Eine Umfrage der Social-Media-Agentur Xeit zeigt, dass Anfang 2020 unter den 629 befragten Schweizer*innen die Altersgruppe von 12 bis 14 Jahren die meisten Tiktok-Nutzer*innen aufweist. 95,8 Prozent der Befragten dieser Altersgruppe haben die App installiert. Unter den 9- bis 11-Jährigen sind es 90 Prozent. Dass sich Primarschulkinder die App trotz Altersbegrenzung herunterladen und sich einen Account einrichten, ist also weit verbreitet.

Und sobald man ein Konto hat, ist man mittendrin: Mit Challenges werden User*innen immer wieder aufgefordert, selbst Videos hochzuladen und sich so mit anderen zu vergleichen. Viele Challenges zielen darauf ab, dass User*innen sich in sexy Posen zeigen: Bei der Buzz-it-Challenge etwa zeigt man sich zunächst in legerer Kleidung, um in der nächsten Sequenz in die Hocke zu gehen und leicht bekleidet zu wippen. Auch die Silhouette-Challenge trendet. Zumeist junge Frauen und Mädchen posieren dabei normal gekleidet, bis der Hintergrund plötzlich rot wird und man nur noch die leicht bekleidete Silhouette des Creators erkennen kann.

«Kinder und Jugendliche sind schockiert von sexuellen Avancen»

Dass Sexyness bei Tiktok derart verbreitet ist, hält die Medienpädagogin für gefährlich: «Schon Kinder und Jugendliche zeigen sich bauchfrei, oder bewegen sich sexy zur Musik, weil sie so mehr Likes und Follower bekommen wollen. Und das ist krass, weil sie sich dessen nicht bewusst sind. So werden sie ganz schnell sexualisiert.» Die jungen Nutzer*innen würden lediglich ihre Idole nachahmen, ohne jegliche Hintergedanken. «Wenn dann sexuelle Anfragen kommen, sind sie schockiert und überfordert, denn sie suchen keine Anmache, sie wollen nur gut dastehen und Likes bekommen.»

Dass die Nutzer*innen trotzdem sexuelle Avancen bekommen und das ein Problem darstellt, wissen die Betreiber von Tiktok. Seit Kurzem können sich Eltern auf Tiktok einen Account zulegen und von dort aus das Profil des eigenen Kindes bearbeiten. So können sie beispielsweise das Konto auf privat stellen, oder gewagten Content löschen. Sharmila Egger legt den Eltern ans Herz, sich Tiktok anzuschauen und regelmässig Gespräche darüber zu führen. «Kinder müssen immer wieder hören, dass sie jederzeit zu ihren Eltern gehen können, wenn ihnen etwas Unangenehmes widerfährt.»

«Mit erotischen Posen gefährden Jugendliche ihren Selbstwert»

Freizügigkeit für Likes: Ob da der Druck bei den Jugendlichen steigt und wie gefährlich das sein kann, hat 20 Minuten gefragt:

Herr Süss*, warum zeigen sich Jugendliche so freizügig auf Tiktok?

Jugendliche erleben mit Beginn der Pubertät eine Entwicklungsaufgabe, sie lernen mit ihrem sich verändernden Körper umzugehen. Tiktok ist auf die Rückmeldungen von Gleichaltrigen ausgerichtet und viele User*innen setzen darauf, sich selbst zu inszenieren. Sie versuchen sich an Idolen zu orientieren und probieren, ob sie mit freizügiger Kleidung oder in einer erotischen Pose die gleichen positiven Reaktionen erhalten können.

Welche Folgen kann das mit sich bringen?

Die Jugendlichen können sich in Gefahr bringen. Es ist ein riskantes Umfeld, wenn sie nicht von Erwachsenen begleitet werden, oder wenn sie nicht darauf achten, sich selbst Grenzen zu setzen. Sie müssen sich bewusst sein, dass das Internet keine harmlose Probebühne ist.

Inwiefern?

Tiktok-Beiträge sind sehr kurz, wie ein beiläufig erzählter Witz. Damit man langfristig wahrgenommen wird, muss man sich abheben können. Mithilfe der Challenges funktioniert das leicht, denn viele machen mit und versuchen, sich gegenseitig zu toppen. Deshalb wagt man mehr. Ausserdem bietet die App einfache Mittel, um sich effektvoll zu inszenieren. Auf Tiktok kann man seine Stimme verzerren oder verschiedene optische Effekte und Musik in seine Videos einbauen. Es ist leicht, hier seine Idole zu kopieren. Umso schwerer ist es also zu wissen, wo genau die Grenze liegt.

Wie können Jugendliche diese Grenzen finden?

Jugendliche brauchen dafür Unterstützung. Zuhause, aber auch im Medienunterricht. Es muss besprochen werden: Was ist okay und was stellt eine Gefahr dar? Risiken sind zum Beispiel negative Kommentare, Spott, Ächtung in der Klasse, sexuelle Belästigung und dass man keinerlei Kontrolle darüber hat, was mit veröffentlichten Bildern und Videos passiert. Das sind Dinge, die allen bewusst sein sollten.

Das klingt nach sehr viel Druck für Jugendliche. Ist die App so gefährlich?

Die App ist nicht in allen Themenbereichen gefährlich. Das Risiko ist aber hoch, wenn man sich selbst zum Objekt macht, insbesondere mit erotischen Posen. Dabei gefährden Jugendliche ihren Selbstwert und fangen an, sich infrage zu stellen. Wenn Jugendliche in diese Dynamik geraten, sollten sie lieber Abstand nehmen und sich andere Videos anschauen. Die App enthält auch witzige, herzige oder politisch engagierte Inhalte – fokussiert man sich darauf, ist der soziale Druck auch geringer.

*Daniel Süss ist Professor für Medienpsychologie an der ZHAW.

Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene

Castagna, Opferhilfe für Betroffene und Angehörige

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Opferberatungsstelle Kinderspital Zürich

Pro Juventute, Tel. 147

Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du beim Institut Forio.

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