Neues ArbeitsmodellBelgien macht Viertagewoche zum Gesetz – geht das auch in der Schweiz?
In Belgien hat die Regierung das Recht auf eine Viertagewoche beschlossen: Angestellte dürfen einen dritten freien Tag pro Woche fordern. Auch in der Schweiz stösst die Idee auf Zuspruch.
Darum gehts
Die Viertagewoche bei vollem Lohn gibt es schon in Grosskonzernen wie Panasonic und Unilever. Auch Schweizer Unternehmen wie die IT-Firma Seerow haben die verkürzte Arbeitswoche eingeführt.
Belgien geht noch weiter und führt landesweit das Recht auf eine Viertagewoche bei gleichem Lohn ein. Zukünftig können die Arbeitnehmenden von Gesetzes wegen selbst entscheiden, ob sie drei freie Tage pro Woche haben wollen, wie Belgiens Premierminister Alexander de Croo am Dienstag mitteilte.
An weniger Tagen länger arbeiten
Allerdings bleibt die Arbeitszeit gleich. Wer also einen zusätzlichen Tag frei haben möchte, muss die in Belgien geltenden 38 Stunden Wochenarbeitszeit auf vier Tage verteilen. Das heisst, pro Tag werden dann 9,5 Stunden gearbeitet.
Dabei haben die Chefinnen und Chefs in Belgien zwar das Recht, den Wunsch ihrer Angestellten zu verweigern. Fortan müssen sie dies aber schriftlich begründen.
Reaktion auf Corona-Krise
Mit der Gesetzesänderung will Belgiens Premierminister die hohe Arbeitslosigkeit im Land angehen. Mehr Freiheiten für die Arbeitnehmenden seien der Schlüssel für eine höhere Beschäftigungsquote, sagte der Staatschef am Dienstag.
Das Recht auf die Viertagewoche sei aber auch eine Reaktion auf die Corona-Pandemie. Nach zwei schwierigen Jahren habe sich der Arbeitsmarkt weiterentwickelt, sagte de Croo. Der belgische Staat schaffe nun eine dynamischere und produktivere Wirtschaft.
«So etwas braucht es auch in der Schweiz»
Nun fordern auch Schweizer Politikerinnen ein Umdenken: «Bewegung in diese Richtung braucht es definitiv auch in der Schweiz», sagt SP-Nationalrätin Samira Marti zu 20 Minuten.
Historisch gesehen hätten Produktionsgewinne immer wieder zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit geführt. Heute würden sie aber mehrheitlich an die Kapitalgeber fliessen. «Das muss sich ändern», so Marti.
So wie in Belgien fände sie es aber nicht sinnvoll: «Es braucht eine Reduzierung der Arbeitszeit, nur so bleibt auch mehr Zeit für die Care-Arbeit»
«Arbeitnehmende müssen endlich entlastet werden»
Auch Grünen-Nationalrätin Regula Rytz fordert eine gesetzliche Reduktion der Gesamtarbeitszeit, wie sie zu 20 Minuten sagt: «Der Produktivitätsfortschritt muss endlich zu einer Entlastung der Arbeitnehmenden führen.»
Den Ansatz in Belgien findet aber auch Rytz falsch. «Ohne Reduktion der Arbeitszeit führt die Viertagewoche zu Stress und Überlastung. Es braucht flexiblere Modelle, damit die Lohnarbeit mit der Familien- und Freiwilligenarbeit besser vereinbar ist», so Rytz.
Je nach Situation könne es auch sinnvoll sein, an fünf Tagen zu arbeiten und jeweils am Nachmittag frei zu haben. Wichtig sei aber die Reduktion der Gesamtarbeitszeit.
Ökonomen und Ökonominnen sind hingegen gar nicht überzeugt. Reiner Eichenberger hält das belgische Modell für Unsinn: «Firmen müssen selber entscheiden können, wann die Angestellten produktiver sind, das ist nicht Aufgabe des Staates.» Wenn Unternehmen mit dem Modell tatsächlich produktiver wären, würden sie es von selbst einführen.
Auch Ökonom Aymo Brunetti hält das belgische Modell für eine «ausserordentlich schlechte Idee», sagt er zu 20 Minuten. Der Arbeitsmarkt in der Schweiz funktioniere so gut, weil es wenig unnötige Einschränkungen gebe. «Mit einer solchen Lösung wäre es viel weniger attraktiv, Leute einzustellen, weil es eine zusätzliche Hürde darstellt», so Brunetti.