Ben Ali in Saudi-Arabien gelandet

Aktualisiert

Flucht des PräsidentenBen Ali in Saudi-Arabien gelandet

Nach 23 Jahren an der Macht hat Tunesiens Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali sein Land verlassen und ist nach Saudi-Arabien geflüchtet. Ministerpräsident Ghannouchi hat die Macht übernommen. Zu Recht?

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Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi erklärt seine Machtübernahme am tunesischen Staatsfernsehen.

Der Präsident ist geflüchtet. Am frühen Samstagmorgen wurde bekannt, dass Zine al-Abidine Ben Ali offenbar in Saudi-Arabien gelandet ist. Das Flugzeug sei in der Stadt Dschidda angekommen, berichtete der staatliche Fernsehsender «Al-Arabiya» in der Nacht. Eine offizielle Bestätigung steht noch aus.

Kurze Zeit nach der Flucht Ben Alis erklärte der 69-jährige Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi im Staatsfernsehen, er habe die Macht übernommen. In seiner Ansprache nannte Ghannouchi keine Details. Er teilte lediglich mit, er übernehme die Macht, während der Präsident vorübergehend verhindert sei. «Ich übernehme vorübergehend die Verantwortung für die Führung des Landes, um wieder Sicherheit herzustellen», sagte Ghannouchi.

«Kein Blutvergiessen mehr»

Er versprach, die Verfassung zu respektieren und an wirtschaftlichen sowie sozialen Reformen zu arbeiten und alle Seiten mit einzubeziehen. Der Ausnahmezustand wurde zunächst aufrechterhalten. Die Lage in den Strassen von Tunis beruhigte sich zum Abend. AFP-Reporter berichteten aber von Schüssen in Tunis.

Ghannouchi versuchte, die Wogen zu glätten: «Ich werde es nicht dulden, dass ein weiterer Tropfen Blut vergossen wird.» Er habe angeordnet, dass Sicherheitskräfte ihre Waffen nur noch dann einsetzen dürften, wenn sie bedroht würden.

Die Machtübernahme Ghannouchis löst Fragen aus: Laut Verfassung hätte ihn nur der Präsident, in diesem Fall Zine al-Abidine Ben Ali, mit der interimistischen Ausübung der Geschäft betrauen können. Im Artikel 56 wird vorgeschrieben, dass der Präsident im Falle einer «vorübergehenden Verhinderung» per Dekret seine Amtsgeschäfte vorübergehend an den Premierminister übergeben kann. Diesen Artikel macht Ghannouchi offenbar geltend.

Bei einem Rücktritt wäre nicht Ghannouchi am Zug

Gleichzeitig bedeutet dies, dass Ben Ali zwar geflohen, aber offiziell nicht zurückgetreten ist. Denn in einem solchen Fall käme Artikel 57 zum Tragen. Darin wird auch das Vorgehen vorgeschrieben beim Tod eines Präsidenten im Amt oder einer nicht näher definierten «gänzlichen Verhinderung» («empêchement absolu»).

In einem solchen Fall müsste gemäss Verfassung zunächst der Verfassungsrat zusammentreten und das definitive Fernbleiben des Präsidenten feststellen. In einem nächsten Schritt müsste der Verfassungsrat die beiden Kammern des Parlaments informieren.

Die Amtsgeschäfte des Präsidenten müsse dann der Präsident der Abgeordnetenkammer vorübergehend übernehmen, heisst es in der Verfassung. Dieser erfülle seine neue Aufgabe dann während mindestens 45 Tagen und höchstens 60 Tagen. Binnen dieser Frist müssen Präsidentenwahlen organisiert werden.

Weggefährte Ben Alis

Der 69-Jährige Ghannouchi ist ein alter Fuchs der tunesischen Regierung: Nach dem Putsch des damaligen Ministerpräsidenten Zine al-Abidine Ben Ali zog der studierte Ökonom 1987 ins Kabinett ein. Zunächst wurde er Finanzminister, danach Minister für internationale Zusammenarbeit und Investitionen. Im November 1999 ernannte Ben Ali Ghannouchi zum Ministerpräsidenten.

Während der Proteste der vergangenen Tage trat Ghannouchi mehrfach öffentlich in Erscheinung. Er gab als Ministerpräsident die Entlassung des Innenministers bekannt und verteidigte in Interviews mit der internationalen Presse das Vorgehen der Staatsmacht während der Proteste. (mlu/sda/dapd)

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