Flugscham: Wie begriffe unser Dnken verändern

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Macht der Worte«Bereits der Begriff ‹Flugscham› kann etwas verändern»

Hugo Caviola untersucht mit Sprachkompass.ch unsere alltägliche Sprache. Können Wörter wie «Flugscham», «ökologischer Fussabdruck» oder «Tierleid» zu nachhaltigerem Handeln führen? Caviola sagt: ja.

Hugo Caviola untersucht mit dem Projekt Sprachkompass.ch unsere alltägliche Sprache. Er ist überzeugt: Sprache kann etwas verändern.

Hugo Caviola untersucht mit dem Projekt Sprachkompass.ch unsere alltägliche Sprache. Er ist überzeugt: Sprache kann etwas verändern.

Privat

Darum gehts

  • Das Projekt Sprachkompass.ch untersucht, wie sich der alltägliche Sprachgebrauch auf den Umgang mit der Umwelt auswirkt.

  • Der Linguist Hugo Caviola leitet das Projekt und sagt: «Sprache kann neue Perspektiven eröffnen.» Neue Begriffe wie «Flugscham», «ökologischer Fussabdruck» oder «Tierleid» können nachhaltigere Verhaltensweisen fördern.

  • Sprachkompass.ch hat auch die Werbung für Fernreisen untersucht. Diese setzt vor allem auf Reizwörter wie «Paradies», «Märchen» oder «Traum», während der CO2-Ausstoss eines Fluges ausgeblendet wird.

  • Caviola kommentiert: «Wäre es nicht sinnvoller, sich an einem näher gelegenen Ziel zu erholen oder den Alltag so aufzuwerten, dass das klimaschädliche Ausbrechen aus diesem nicht mehr nötig ist?»

Hugo Caviola (67) arbeitet als Linguist an der Universität Bern und leitet das Projekt Sprachkompass.ch. Dieses untersucht, wie der alltägliche Sprachgebrauch sich auf den Umgang mit der Umwelt auswirkt und hat zum Ziel, einen bewussten Gebrauch der Sprache zu fördern.

Herr Caviola, kann die Sprache unser Handeln verändern?

Unternehmen und andere Organisationen geben Milliarden für Werbung aus. Das ist vermutlich der direkteste Beleg, dass die Sprache eine solche Wirkung hat. Auch verschiedene Studien belegen das. In einem Experiment in Stanford zeigte sich, dass sich Menschen einen anderen Umgang mit Gewaltausbrüchen wünschen, je nachdem, ob die Gewalt in einem Text metaphorisch als «Bestie» oder als «Virus» bezeichnet wird. Ein weiteres Beispiel: In Deutschland wurde die gleichgeschlechtliche Ehe erst akzeptiert, als sie nicht mehr «Homo-Ehe» hiess, sondern «Ehe für alle».

Die Sprache kann uns also zu einem nachhaltigeren Lebensstil führen.

Ja, die Sprache kann neue Perspektiven eröffnen. Als sich die Begriffe «Tierwohl» und «Tierleid» etabliert hatten, konnten wir anschliessend anders über Tiere nachdenken. Die sogenannten Nutztiere werden so nicht mehr so leicht als Industrieware wie Uhren oder Schuhe gesehen, sondern auch als leidensfähige Lebewesen. Ähnlich verhält es sich mit dem «ökologischen Fussabdruck» oder der «Flugscham» – auch diese Wörter haben neue Denkweisen eröffnet. Spricht man jemanden, der von einer Fernreise erzählt, auf die Flugscham oder seinen ökologischen Fussabdruck an, kann sich das Gespräch rasant verändern.

Begriffe wie «Flugscham» können zu einem Umdenken im Bezug auf einen nachhaltigen Lebensstil führen.

Begriffe wie «Flugscham» können zu einem Umdenken im Bezug auf einen nachhaltigen Lebensstil führen.

imago images/Ralph Peters

Sie sprechen Fernreisen an. Die Werbung für diese haben Sie beim Sprachkompass genauer untersucht. Was haben Sie herausgefunden?

Fernreisen werden vor allem mit Reizwörtern wie «Paradies», «Märchen» oder «Traum» beworben. Dazu werden schöne Bilder von den Seychellen, Bali oder den Malediven gezeigt, die vielleicht gar nicht der ganzen Wirklichkeit entsprechen. Dadurch wird ein Gefühl kreiert, mit der Reise aus der Realität ausbrechen zu können. Der massive CO2-Austoss von Flügen wird ausgeblendet. Da stellt sich mir unter anderem die Frage: Wäre es nicht sinnvoller, sich an einem näher gelegenen Ziel zu erholen oder den Alltag so aufzuwerten, dass das klimaschädliche Ausbrechen aus diesem nicht mehr nötig ist?

Hugo Caviola untersuchte auch Werbungen für Fernreisen. In diesen werde ein Gefühl kreiert, mit der Reise aus der Realität ausbrechen zu können. Der massive CO2-Austoss von Flügen wird ausgeblendet.
Caviola fragt angesichts der Erkenntnisse bei Sprachkompass.ch: «Wäre es nicht sinnvoller, sich an einem näher gelegenen Ziel zu erholen oder den Alltag so aufzuwerten, dass das klimaschädliche Ausbrechen aus diesem nicht mehr nötig ist?»
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Hugo Caviola untersuchte auch Werbungen für Fernreisen. In diesen werde ein Gefühl kreiert, mit der Reise aus der Realität ausbrechen zu können. Der massive CO2-Austoss von Flügen wird ausgeblendet.

Pixabay

Bleiben wir beim Alltäglichen. Planted, ein Schweizer Hersteller von Fleischersatzprodukten, muss vors Bundesgericht, weil eines seiner Produkte mit «chicken» beschrieben wird.

Auch das zeigt, welche Macht die Sprache haben kann. Die Fleischersatzprodukte befinden sich vermutlich in einer Übergangsphase. Begriffe wie «chicken» oder «poulet» dienen den Konsumenten dazu, sich etwas unter dem neuen Produkt vorstellen zu können – und interessierte Kreise wollen verhindern, dass der Marktwert des Bekannten auf Nachahmerprodukte übertragen wird. Auf dem Teller herrscht schliesslich noch immer die Hierarchie: Das Fleisch ist der Star, alles andere gilt als «Beilage».

Planted befindet sich in einem Rechtsstreit um ein Wort: Darf der Fleischersatzhersteller seine Produkte mit dem Wort «chicken» bewerben?

Planted befindet sich in einem Rechtsstreit um ein Wort: Darf der Fleischersatzhersteller seine Produkte mit dem Wort «chicken» bewerben?

Planted.ch

Letzte Frage: Wie hat Ihre Arbeit Ihr eigenes Handeln beeinflusst?

Natürlich liegt mir der bewusste Umgang mit der Sprache und der Umwelt am Herzen. So esse ich praktisch kein Fleisch mehr, bin das letzte Mal vor vier Jahren geflogen und empfinde es in meinem Leben als Bereicherung, dass ich ohne Auto auskomme.

Verbindest du Sprache mit Umwelt? 

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