Eltern-Burnout: Sieben Prozent der Schweizer sind erschöpft und überfordert

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Betroffene erzählen«Wie soll ich den Tag überstehen?» – Eltern-Burnouts nehmen zu

Völlig ausgebrannte Eltern sind keine Seltenheit mehr – auch in der Schweiz nicht. Experten warnen, dass sich die entsprechenden Diagnosen häufen. Betroffene teilen ihre Erfahrungen.

Viele Eltern fühlen sich ausgebrannt, man spricht auch von Eltern-Burnout.
Der Druck, in allen Lebensbereichen performen zu müssen, macht vielen zu schaffen.
Viele fühlen sich völlig überfordert und sagen, sie würden ihre Kinder nicht mehr ertragen.
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Viele Eltern fühlen sich ausgebrannt, man spricht auch von Eltern-Burnout.

IMAGO/Zoonar

Darum gehts

  • Burnout bezieht sich nicht nur auf das Berufsleben: Auch viele Eltern leiden an dem Syndrom.

  • Der Druck, im Job, in der Familie und im Haushalt performen zu müssen, macht ihnen zu schaffen.

  • Gleichzeitig schämen sich viele Eltern, offen zu ihrer Überforderung zu stehen und sich Hilfe zu suchen.

Immer mehr Eltern fühlen sich ausgebrannt und überfordert – ein Phänomen, das als Eltern-Burnout bekannt ist. Der Druck, rund um die Uhr für die Kinder da zu sein, die ständige Verantwortung und der tägliche Balanceakt zwischen Job und Familie fordern ihren Tribut. Das Resultat: ständige Müdigkeit, emotionale Distanz und das Gefühl, den Anforderungen nicht mehr gerecht zu werden. Laut der Beratungsstelle Elternnotruf sei die Tendenz in den letzten Jahren steigend. Sie bieten überforderten Eltern Hilfe und vermitteln, wenn nötig, an weitere Fachstellen. Auch eine Studie von 2021 mit 12'000 Müttern und 5000 Vätern in 42 Ländern ergab, dass in der Schweiz über sieben Prozent an einem Eltern-Burnout litten.

Eltern-Burnout kurz erklärt

Im Gegensatz zum klassischen Burnout ist das Eltern-Burnout keine gesicherte Diagnose, die Symptome ähneln sich aber. Laut Matthias Gysel vom Elternnotruf zeigt sich das Eltern-Burnout vor allem anhand von Symptomen wie Schlafmangel und Müdigkeit, starker Reizbarkeit gegenüber den Kindern («ich ertrage meine Kinder nicht mehr») und generell Freudlosigkeit.

Im Gespräch mit 20 Minuten teilen zwei betroffene Mütter ihre Erfahrungen:

Sonia (36) hat einen dreieinhalbjährigen Sohn

«Ich bin alleinerziehende Mutter. Damit wir über die Runden kommen, mache ich zwei Jobs: Den ersten bei einer Steuerbehörde, der zweite ist ein Abwartsposten. Ich bin ständig erschöpft und wünsche mir oftmals, auch wenn ich zu Hause bin, woanders zu sein. Jedes Mal, wenn ich morgens aufstehe, ist mir kotzübel und ich denke mir: ‹Wie soll ich diesen Tag nur überstehen?› Ich wünschte mir eigentlich nur, dass wieder Abend ist und ich schlafen kann. Es fühlt sich an wie ein ständiger Überlebenskampf.

Der Kleine ist häufig bei meinen Eltern, ohne sie würde ich das nie schaffen. Er weint aber oft, denn er hätte gern mehr Zeit mit mir. Dem kann ich aber nicht gerecht werden. Deswegen habe ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Ich hoffe, dass er das irgendwann verstehen wird. Viele vermeintliche Freunde haben sich von mir abgewandt. Sie sagen: ‹Du hast dir dieses Leben doch selbst ausgesucht›, geben mir die Schuld an der Situation. Ich kann nur sagen: Die Gesellschaft erwartet, dass man Job, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen könnte, aber das ist eine Lüge.»

J.E.*(48) hat drei Kinder zwischen elf und 18 Jahren

«Im November 2023 wurde bei mir eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert. Das kam wenig überraschend, denn mein Alltag ist geprägt von enormen Herausforderungen. Es gibt Momente, in denen mir alles über den Kopf wächst und ich weinen muss. Mein ältester Sohn und meine jüngste Tochter sind beide autistisch. Die ständige Sorge um sie raubt mir unglaublich viel Energie. Mein Mann hilft mir zwar, wenn ich ihn darum bitte, aus eigenem Antrieb kommt von ihm aber wenig Unterstützung.

Wie geht es dir im Umgang mit deinen Kindern?

Dieses Jahr war besonders herausfordernd, da ich zusätzlich mit einer Knieverletzung und einer Operation am Kopf zu kämpfen hatte. Diese gesundheitlichen Rückschläge zwangen mich dazu, etwas zur Ruhe zu kommen. Vielleicht werde ich in Zukunft professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, aber im Moment bin ich noch nicht bereit dazu. Was mir jedoch Kraft gibt, ist der Austausch mit anderen Betroffenen. Wenn ich meine Erfahrungen teile, fühle ich mich weniger allein in dieser schwierigen Situation.»

Viele Eltern schämen sich

Matthias Gysel, Berater beim Elternnotruf, kommt in seinem Arbeitsalltag immer wieder in Kontakt mit Eltern-Burnout: Drei Viertel der Anrufer und Anruferinnen seien Frauen, Männer riefen viel seltener an: «Bei ihnen braucht es einen viel höheren Leidensdruck», sagt Gysel. Sein Eindruck ist: Das Phänomen habe in den letzten Jahren zugenommen – während der Corona-Pandemie habe es seinen Peak erreicht: «Diese Zeit war für viele Eltern extrem: Die Kitas waren häufig geschlossen, die Grosseltern konnten wegen einer möglichen Ansteckung nicht aushelfen. Viele Eltern fühlten sich allein und komplett überfordert.»

Matthias Gysel von der Beratungsstelle Elternnotruf

Matthias Gysel von der Beratungsstelle Elternnotruf

Elternnotruf

Der Berater sieht als Hauptgrund für die elterliche Erschöpfung vor allem Druck – auf gesellschaftlicher, aber auch persönlicher Ebene: «Eltern müssen heute auf allen Ebenen funktionieren: bei der Arbeit, im Schulkontext ihrer Kinder und zu Hause. Gleichzeitig setzten sich viele Eltern enorm unter Druck, um dem gesellschaftlichen Bild der perfekten Familie zu entsprechen.» Die Scham, zu seiner Überforderung zu stehen, sei enorm. «Viele Eltern sind dann erleichtert, wenn sie erfahren: Ich bin nicht allein.»

*Name der Redaktion bekannt

Bist du Vater oder Mutter und hast ein Eltern-Burnout? Oder waren deine Eltern davon betroffen? Erzähl uns von deinen Erfahrungen im Formular. Deine Angaben werden vertraulich behandelt.

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