Wirbelsturm im Berner Jura – Bilder zeigen Funnel-Trichterwolke

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Sogenannter FunnelBilder zeigen Vorstufe eines Wirbelsturms über dem Berner Jura

Vergangene Woche schreckten die Bilder aus Tschechien auf. Auch in der Schweiz kann es zu Wirbelstürmen kommen. Eine kleine Variante erblickte ein News-Scout vergangenen Freitag.

Am Freitagmittag beobachtete ein News-Scout das Wetterphänomen von Frienisberg BE aus.
Oberhalb des Jura-Gebirges bewegte sich ein Wirbel durch die Luft. Der Meteorologe von Meteonews bestätigt, dass es sich dabei um die Vorstufe eines Wirbelsturmes handelte: einen sogenannten Funnel.
Der Funnel kam oberhalb des Berner Juras – unweit des Chasserals – zusammen. Das Gebiet ist gemäss dem Meteorologen einer der Hotspots für mögliche Wirbelstürme in der Schweiz.
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Am Freitagmittag beobachtete ein News-Scout das Wetterphänomen von Frienisberg BE aus.

20min/News-Scout

Darum gehts

  • Bei Bildern vom vergangenen Freitag, die 20 Minuten von einem News-Scout erhalten hat, handelt es sich gemäss Meteorologen um einen kleinen Wirbelsturm.

  • Von einem Funnel spricht man, wenn der Vortex des Wirbelsturms den Boden nicht berührt.

  • Auch in der Schweiz kann es zu ausgewachsenen Tornados kommen. Die Topografie des Landes schützt vor schlimmeren Auswüchsen. Die zunehmende Erwärmung könnte aber zu mehr Stürmen führen.

Am vergangenen Freitag beobachtete ein News-Scout im Berner Seeland in der Luft eine aussergewöhnliche Form. Der Leser war zwischen 10.30 und 10.45 Uhr in der Nähe des Ortes Frienisberg unterwegs, als er oberhalb des Berner Juras einen vertikalen Strich durch den bewölkten Himmel bemerkte. «Ich sagte zu meiner Frau: Das ist doch ein Wirbelsturm!?» Während rund 15 Minuten beobachtete er, wie sich die Luftmassen oberhalb der Berge bewegten. «In Italien habe ich mal eine Wasserhose erlebt – aber hier habe ich so etwas noch nie gesehen. Der Windstreifen berührte zu keinem Zeitpunkt den Boden. Dann war er plötzlich weg.»

Es muss viel zusammenkommen, damit ein Wirbelsturm entsteht

Beim Wetterdienst Meteonews bestätigt Meteorologe Klaus Marquardt nach Sichtung der Bilder sofort: «Das war wohl ein Funnel.» Von einem Funnel (deutsch: Trichter) spricht man, wenn der Wirbelsturm den Boden (noch) nicht berührt. Es handelt sich dabei um eine Vorstufe eines ausgewachsenen Wirbelsturms. Selbst wenn der Wirbel – auch «Vortex» genannt – den Boden nicht berührt, kann es gemäss Marquardt vor Ort zu erheblichen Windstössen kommen. So selten, wie man das vermuten mag, sind Stürme der Stufe 1 oder 2 auf der Enhanced Fujita Skala in der Schweiz nicht. Im Neuenburger Jura wurde gar schon einmal ein Wirbelsturm der Stufe EF4 gemessen.

Damit sich ein Tornado bilden kann, müssen gemäss dem Experten jedoch mehrere Aspekte zusammenkommen. Einerseits muss die Gewittergefahr so stark erhöht sein, dass man von einer «Superzelle» spricht. Dies ist oft im Sommer der Fall, wenn viel heisse und feuchte Luft vorhanden ist. Aber auch die Windbedingungen müssen stimmen. Es muss eine gewisse «Richtungsscherung» herrschen, die dafür sorgt, dass in verschiedenen Höhen der Wind in jeweils unterschiedliche Richtung bläst. Ist genug Energie und heisse respektive feuchte Luft vorhanden, kann sich ein Funnel oder gar ein Wirbelsturm bilden.

Die Berge reduzieren die Tornado-Gefahr in der Schweiz

Beim verheerenden Tornado vergangene Woche in Tschechien waren diese Gegebenheiten vorhanden. Der Sturm wurde danach der Kategorie EF3 zugeteilt. Der stärkste je gemessene Sturm (der Bridge-Creek-Tornado im US-Bundesstaat Oklahoma) entspricht der Kategorie EF6. Theoretisch kann es noch weitergehen, bis zur Stufe 12 – allerdings ist dies gemäss Marquardt weltweit noch nie eingetreten. In Europa sind die Gegebenheiten für starke Wirbelstürme weniger vorhanden als in den USA. Trotzdem kam es auch in diesen Breitengraden in der Vergangenheit schon zu verheerenden Stürmen. 1968 tötete ein Sturm der Kategorie EF4 im deutschen Pforzheim zwei Menschen.

In den sogenannten «Plains» in der Mitte der USA bestehen ganze Korridore, in denen sich – im Gegensatz zu den meisten Gebieten in Westeuropa – keinerlei Erhebungen den Luftmassen in den Weg stellen. «Grundsätzlich ist jedes Relief – also jegliche Erhebung, aber auch Wälder – ein Hindernis für Wirbelstürme», erklärt Klaus Marquardt von Meteonews. Das Mittelland sowie das Jura seien wohl diejenigen Regionen in der Schweiz, in denen man am ehesten solche Phänomene beobachten kann. «Das Jura dient oft als Startrampe» für Wetter, das von Frankreich her kommt, erklärt der Experte. Dort, sowie in Teilen Deutschlands, Belgiens, über Luxemburg und den Niederlanden sowie der nördlichen Adria sei die Tornado-Gefahr in Europa denn auch am höchsten.

Im Moment ist die Gefahr von Funnels oder gar Wirbelstürmen erhöht

In der jüngsten Vergangenheit schienen sich die Meldungen über Wirbelstürme oder eben sogenannte Funnels zu häufen. Für den Experten Marquardt hat dies in erster Linie aber mit dem technologischen Wandel zu tun. «Mit dem Smartphone können heute mehr Menschen schneller ein Foto schiessen.» Trotzdem sei nicht auszuschliessen, dass es in Zukunft in der Schweiz mehr Wirbelstürme geben wird. «Die Gefahr von Unwettern nimmt zu, die Niederschlagsintensitäten nehmen zu. Wenn dann wirklich alles zusammenkommt, kann es auch zu Wirbelstürmen kommen.»

Grundsätzlich ist die Vorhersage von Wirbelstürmen gemäss Marquardt schwierig. Gleiches gilt für die Messung. Die Zuteilung zu einer Kategorie wird meist erst im Nachhinein erstellt. Vor Ort müsste mit einem Dopplerradar gemessen werden, was nur äusserst selten der Fall sei. In der Schweiz würden ausserdem die vielen Berge und Wälder die Sicht auf kleinere Funnels oder Wirbelstürme erschweren. Dass jemand einen ausgewachsenen Tornado beobachten kann, bleibt daher eher unwahrscheinlich. Anders ist dies in den USA. Dort jagen sogenannte «Tornado Chaser» den Wirbelstürmen hinterher.

Wer es versuchen will, könnte schon bald wieder die Möglichkeit dazu haben. Gemäss Klaus Marquardt sind die Voraussetzungen, dass sich ein Funnel oder gar ein Wirbelsturm bildet, bereits am Montagabend wieder gegeben.

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