«Woher kommst du wirklich?»: Die schwierige Frage nach der Herkunft

Publiziert

Blickwechsel«Woher kommst du wirklich?»: Die schwierige Frage nach der Herkunft

Ist es okay, Migranten in der Schweiz nach ihrer Herkunft zu fragen? Wir haben bei der migrantischen Community nachgefragt. Zwei Experten erklären, wieso die Frage problematisch sein kann.

Wir haben Menschen mit Migrationshintergrund gefragt, was sie davon halten, wenn man sie nach ihrer «wahren» Herkunft fragt.

Sara Aduse/20min

Darum gehts

  • Ist es in Ordnung, Menschen mit Migrationshintergrund nach ihrer Herkunft zu fragen? Das haben wir die Leute auf der Strasse gefragt.

  • Die Community ist sich einig: Für sie ist es kein Problem, solange die Frage aus ehrlichem Interesse folgt.

  • Laut den zwei Psychologen Nicolas Bächtold und Dieter Studer sollte man auf die Frage verzichten, solange sie nicht relevant ist.

«Woher kommst du wirklich?»: Die Frage hören Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag ständig. Doch wie angebracht ist diese Frage wirklich und wie kommt sie bei Migranten an? Was die Betroffenen dazu sagen, seht ihr im Video. Die Meisten haben kein Problem damit, solange die Frage im passenden Kontext gestellt wird.

Betroffene fühlen sich ausgeschlossen

20 Minuten hat auch bei Experten nachgefragt, wie problematisch die Frage ist. Laut dem Psychologen Dieter Studer kann die Frage nach der «wahren» Herkunft einen grossen Einfluss auf das Empfinden der betroffenen Person haben. Sie wecke das Gefühl, dass die Person in ihrer gegenwärtigen Identität nicht vollständig akzeptiert wird. «Diese Frage kann implizieren, dass die Person als ausserhalb der aktuellen sozialen oder kulturellen Gruppen stehend angesehen wird, was zu Gefühlen der Ausgrenzung führen kann», so der Experte.

Psychologe Dieter Studer rät, auf die Frage nach der «wahren» Herkunft ganz zu verzichten.
Auch Nicolas Bächtold, Psychologe und Gründer von Psyvita, ist dieser Meinung.
Die Frage könne den Betroffenen das Gefühl geben, nicht dazuzugehören, oder sie verletzen.
1 / 3

Psychologe Dieter Studer rät, auf die Frage nach der «wahren» Herkunft ganz zu verzichten.

privat

Gemäss Nicolas Bächtold, Psychologe und Gründer von Psyvita, impliziert die Frage zudem, dass die Person eine «wahre» oder «authentische» Identität hat, die nicht mit ihrer aktuellen Selbstidentifikation übereinstimmt. «Dies kann für Menschen, die sich stark mit ihrem aktuellen Wohnort oder ihrer Nationalität identifizieren, verletzend sein.» Bächtold betont weiters: «Wichtig ist immer, wie die gefragte Person die Frage auffasst. Dies ist sehr individuell und nicht pauschalisierbar.»

Form von Alltagsrassismus

Beide Psychologen sind der Meinung, dass die Frage problematisch sein kann, wenn sie im falschen Kontext gestellt wird. «Solche Fragen können als alltäglicher Rassismus betrachtet werden. Sie sind oft subtile Formen der Diskriminierung, die darauf hinweisen, dass eine Person aufgrund von Merkmalen wie Herkunft oder Aussehen als ‹anders› betrachtet wird», sagt Studer.

Laut Bächtold kann die Frage als Mikroaggression eingestuft werden: «Stereotypen werden so gefördert und auch hier ist die Wichtigkeit des Kontextes anzuführen. Es ist also wichtig, diese Frage mit Respekt und Sensibilität anzuführen.»

Fragst du Menschen nach ihrer Herkunft?

Wie stellt man diese Frage also richtig?

Auch hierbei sind sich beide Psychologen einig: Wenn es nicht zwingend nötig ist, sollte auf diese Frage verzichtet werden, denn diese berge das Risiko einer unbeabsichtigten Ausgrenzung. «Falls die Herkunft aber relevant ist, wird empfohlen, eine Frage zu stellen, die der Person die Freiheit lässt, über ihre Identität und kulturellen Wurzeln so viel zu teilen, wie sie selbst für angemessen hält», so Studer. Man könne auch einfach nach den Wurzeln einer Person fragen, ergänzt Bächtold. «Dies verhindert das Aufkommen der Frage, ob es eine ‹wahre› oder ‹falsche› Herkunft gibt.»

Folgst du schon 20 Minuten auf Whatsapp?

Eine Newsübersicht am Morgen und zum Feierabend, überraschende Storys und Breaking News: Abonniere den Whatsapp-Kanal von 20 Minuten und du bekommst regelmässige Updates mit unseren besten Storys direkt auf dein Handy.

Deine Meinung zählt

96 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen