Eritrea: Botschafter attackiert Schweizer Behörden

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Botschafter«Eritrea-Festivals zu verbieten, verstösst gegen Grundrechte»

Vor dem eritreischen Unabhängigkeitstag gehen die Schweizer Behörden gegen Feierlichkeiten vor. Botschafter Habtom Zerai sieht dadurch die Versammlungsfreiheit geritzt.

In Gerlafingen SO gerieten Ende März Regierungstreue und Oppositionelle rund um ein «Kulturfestival» aneinander.

Video: 20min

Darum gehts

  • Weil sie Ausschreitungen befürchten, gehen Schweizer Behörden gegen eritreische Festivals vor.

  • Das stösst dem Botschafter in der Schweiz sauer auf: «Das ist gegen die demokratischen Werte der Schweiz», sagt Habtom Zerai im exklusiven Interview.

  • Eritrea wird oft als Diktatur bezeichnet. Dazu sagt Zerai: «Das entbehrt jeder Grundlage.»

Am Freitag feiert Eritrea (siehe Box) seinen Unabhängigkeitstag. Rund um sogenannte «Kulturfestivals» kam es in den letzten zwei Jahren in ganz Europa zu Zusammenstössen zwischen Regierungstreuen und Oppositionellen – in der Schweiz etwa in Opfikon ZH, Grellingen BL und Gerlafingen SO.

Weil sie weitere Ausschreitungen befürchten, empfahlen die kantonalen Polizeidirektoren den Gemeinden im April, jegliche Eritrea-Veranstaltungen den Behörden zu melden. Nun spricht erstmals der eritreische Botschafter öffentlich. Im Interview mit 20 Minuten attackiert Habtom Zerai die Schweizer Sicherheitskräfte scharf – und nimmt Stellung zur Kritik von Oppositionellen.

Botschafter Habtom Zerai ist seit Herbst 2023 im Amt.

Botschafter Habtom Zerai ist seit Herbst 2023 im Amt.

privat

Herr Zerai, was halten Sie von der Warnung der Polizei vor Eritrea-Festen?

Für uns ist schwer zu verstehen, warum die Behörden einen solchen Schritt machen. Das verstösst doch gegen die demokratischen Werte der Schweiz.

Hatte die Warnung denn schon Folgen?

In verschiedenen Kantonen wurden jetzt Festlichkeiten verboten, etwa in Bern oder Genf. Ich verstehe die Beweggründe dahinter nicht. Die Schweiz ist das einzige europäische Land, das zu einer solchen Massnahme greift. Das verstösst gegen Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit.

Das ist Eritrea

Eritrea ist ein kleines Land in Ostafrika, in dem rund 3,6 Millionen Menschen leben. 1993 erklärte es sich nach dreissig Jahren Krieg für unabhängig von Äthiopien. Seither ist Präsident Isaias Afewerki an der Macht. Er regiert mit harter Hand: Laut der UNO gibt es im Land weder eine gültige Verfassung noch einen Rechtsstaat und Gewaltenteilung. Viele Vorwürfe betreffen den unbefristeten, obligatorischen Nationaldienst. Die Bedingungen dort wurden schon mit Sklaverei verglichen.

Laut dem Bundesrat leben rund 44'000 Eritreerinnen und Eritreer in der Schweiz. Über 25'000 von ihnen haben eine B-Bewilligung, knapp 9500 besitzen einen C-Ausweis und rund 8300 sind mit der F-Bewilligung vorläufig aufgenommen.

Rund um eritreische Feste kam es in den letzten Jahren in ganz Europa zu Zusammenstössen. Da ist es doch verständlich, dass die Behörden alarmiert sind?

Die Gewalt wird von aussen orchestriert – von einer kleinen Gruppe von Gewalttätigen. Gegen sie muss mit der vollen Härte des Gesetzes vorgegangen werden. Das ist der einzige Weg, um mit dieser Situation fertig zu werden.

Oppositionelle sagen, Gewalt komme auch von Regierungstreuen. Teils rufen diese auch in der Schweiz öffentlich dazu auf.

Wir verurteilen jegliche Gewalt – egal, auf welcher Seite des Konfliktes die Person steht.

Das sagt die Polizei

Auf Anfrage wehrt sich die Konferenz der kantonalen Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) gegen die Kritik des eritreischen Botschafters. Man habe den erwähnten Brief an die Gemeinden verschickt, damit diese gemeinsam mit der Polizei eine Risikoabwägung machen könnten, so Generalsekretär Florian Düblin. Dies wegen der gewaltsamen Zusammenstösse zwischen eritreischen Gruppierungen in der Vergangenheit: «Die Empfehlung verstösst weder gegen Grundrechte, noch gegen demokratische Werte. Sie dient einzig und allein der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.»

Menschenrechtsorganisationen und die UNO kritisieren Ihre Regierung scharf. Jüngst sprach etwa das Hochkommissariat für Menschenrechte von einer «schrecklichen Situation» im Land. Wie reagieren Sie darauf?

Es gibt tatsächlich viele Vorwürfe. Was ich sagen kann, ist: Menschenrechte sind eine Kernpriorität für Eritrea. Das zeigt auch ein Bericht, der von der Regierung jüngst für die UNO verfasst wurde. Die Menschenrechte wurden von Eritreas Gegnern oft als ein politisches Werkzeug verwendet, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Findest du, eritreische «Kulturfestivals» sollten verboten werden?

Präsident Isaias Afewerki wird oft als «Diktator» bezeichnet. Was sagen Sie dazu?

Jeder darf eine Meinung haben. Diese Vorwürfe hören wir seit zwanzig Jahren und ich äussere mich nicht mehr dazu.

Sie finden also nicht, dass Afewerki diktatorisch ist?

Natürlich nicht! Er mag seine Differenzen mit dem Westen haben. Aber solche Vorwürfe sind empörend und entbehren jeglicher Grundlage.

Rechnen Sie um den Unabhängigkeitstag am 24. Mai mit weiteren Zusammenstössen?

Wenn die Feste durchgeführt werden dürfen, rechne ich nicht mit weiteren Ausschreitungen.

Kontroverse um Eritrea-Festivals

Zusammenstösse zwischen Regierungstreuen und Oppositionellen entzünden sich in ganz Europa oft an sogenannten eritreischen «Kulturfesten». Während Regierungsgegner sagen, dass die Anlässe der Propaganda dienten, sehen deren Befürworter sie als Treffpunkte der eritreischen Community an.

Was die eritreische Diaspora in der Schweiz zum Konflikt sagt, siehst du in den nächsten Tagen in einer Videoreportage auf 20min.ch

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