Brennpunkt Europa«Die EU hat Angst vor Sanktionen der Schweiz»
Wie weiter mit Europa? Am Dienstag kreuzten Europapolitik-Experte Nicola Forster und SVP-Chefstratege Christoph Blocher verbal die Klingen. Alle Infos dazu findest du im Ticker.
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Stream beendet
Nach dem abschliessenden Fazit von Christa Tobler endet die Veranstaltung und damit beenden wir auch den Livestream.
Fazit mit Christa Tobler
Nach der humoristischen Zusammenfassung von Michael Elsener folgt eine abschliessende Analyse mit der Rechtswissenschaftlerin Christa Tobler. «Man muss zwischen verschiedenen Szenarien unterscheiden», so Tobler. Einige der Szenarien, die Christoph Blocher aufzeichnete, würden nur bei einem EU-Beitritt eintreten, der aktuell ohnehin unrealistisch ist. Eine Erhöhung der Schweizer Mehrwertsteuer, vor der Blocher warnte, gäbe es beispielsweise nur bei einem EU-Beitritt. Ganz anders sei die Lage, wenn es lediglich um ein «Konsolidieren des bilateralen Wegs» gehe, so Tobler.
Ende der Diskussion
Moderator Stefan Lanz bedankt sich bei Nicola Forster und Christoph Blocher sowie beim Publikum. Michael Elsener rundet den Abend mit einer humoristischen Zusammenfassung der EU-Diskussion ab.

Weitere Fragen
«Warum ist es für die Schweiz nicht opportun, eine normale Beziehung mit der EU aufzubauen?», möchte Leser Enrico wissen. Blocher entgegnet, es wäre nicht normal, die Schweiz preiszugeben. «Aber dafür gibt es ja Abstimmungen.»
Leser Martin macht ein Gedankenexperiment. «Wie sähe die ideale EU 2.0, in der die Schweiz Gründungsmitglied wäre, für Sie aus, Herr Forster?», möchte er wissen. Forster meint, diese Idee sei eigenartig, denn die Schweiz müsste ja in einem Kontext von anderen Interessen agieren. Man würde anderen nicht den eigenen Willen aufzwingen wollen.
Blocher meint, er sei für ein Europa der Vaterländer, wie dies Charles de Gaulle vorgeschlagen habe. «Und Orban und Le Pen», ergänzt Forster.
Fragerunde
Nun werden Fragen von 20-Minuten-Leserinnen und -Lesern behandelt. Leser Thomas möchte wissen, wann die EU zerfalle. «Wir müssen diese Frage nicht beantworten», so Blocher. Er glaube jedoch, sie zerfalle nicht so schnell. «Die dezentralen Kräfte haben aber zugenommen», sagt Blocher. Es gebe nur noch eine Kern-EU, die aus Deutschland und Frankreich bestehe.
Forster meint, die EU werde auf keinen Fall zusammenbrechen. «Dafür steht zu viel auf dem Spiel», so Forster. Ein Zerfallen der EU wäre auch für die Schweiz ein Desaster, gibt er zu bedenken.
«Wenn man ganz rechts ist, ist alles links»
«Wie wäre das für Sie, wenn im Bundesrat ein FDP-Politiker von einem GLP-Politiker ersetzt würde?», möchte Stefan Lanz von Christoph Blocher wissen. «Dann gäbe es halt noch mehr falsche Entscheide», meint Blocher. In der SVP halte man eher zu den Liberalen als zur GLP. Denn die FDP sei noch weniger links. «Wenn man ganz rechts ist, ist alles links», entgegnet Forster. Blocher widerspricht nicht.
«Stecken aktuell in einer Sackgasse»
«Wir stecken aktuell in einer Sackgasse», sagt Forster. Darum brauche es Kräfte, die einen Weg mit Europa finden wollen. «Sie sind wieder zu allgemein – alle wollen doch einen Weg mit Europa», entgegnet Blocher. «Ich meine damit die Bilateralen III», konkretisiert Forster.
«Ist die EU-Frage für die SVP in diesem Jahr also kein Thema?», möchte Moderator Stefan Lanz wissen. «Wieso nicht? Ich bin doch hier», entgegnet Christoph Blocher.

«Wir stecken aktuell in einer Sackgasse», sagt Nicola Forster.
20min/Taddeo CerlettiUkraine-Krieg
«Wir merken aktuell beim Ukraine-Krieg, dass wir auf der gleichen Seite stehen wie die EU», sagt Forster. Er sei darum überzeugt, dass sich die EU-Politik in der Schweiz bald verändere. «Wir geben unser Entscheidungsrecht nicht aus der Hand», so Blocher.

«Wir geben unser Entscheidungsrecht nicht aus der Hand», sagt Christoph Blocher.
20min/Taddeo Cerletti«Die Bilateralen Verträge sind für die Schweiz massgeschneidert»
Moderator Stefan Lanz spricht die Umfragezahlen an, wonach 71 Prozent der Bevölkerung aktuell für einen EWR-Beitritt sind. «Dann sollen sie kommen», sagt Blocher trotzig. Forster meint, er sei momentan nicht für einen EU-Beitritt, sondern dafür, dass man es weiterhin mit den Bilateralen versuche.
Er erklärt: «EU-Beitritt, EWR Beitritt und Freihandelsabkommen sind ab der Stange, wie im Supermarkt. Die Bilateralen Verträge hingegen sind genau auf die Schweiz abgestimmt und massgeschneidert.»
Die Zeit sei jedoch knapp, um mit den Bilateralen wichtige Fortschritte zu erzielen. Der Grund: «Sowohl in der Schweiz als auch in er EU stehen Wahlen an», sagt Forster.
EU-Drohkulisse?
Blocher spricht von einer EU-Drohkulisse, welche letztlich nie Auswirkungen habe. Forster entgegnet, er finde es daneben von der EU, die Schweiz teilweise unter so viel Druck zu setzen. «Damit wird es auch entsprechend schwierig, in der Schweiz eine Abstimmung zu gewinnen», sagt Forster.
«Nach dem EWR-Nein hatten der Bundesrat und die Wirtschaftsverbände grosse Probleme, die Niederlage einzugestehen», sagt Blocher. Forster entgegnet: «Und da haben andere – und Sie waren da nicht beteiligt – den Scherbenhaufen aufgewischt und mit den Bilateralen den Schaden begrenzt.»

Christoph Blocher spricht von einer EU-Drohkulisse, welche letztlich nie Auswirkungen habe.
20min/Taddeo Cerletti«Die EU hat Angst vor Sanktionen der Schweiz»
«Wir brauchen nur den Zugang zum Markt», sagt Blocher. Die EU habe Angst – wenn sie Sanktionen ergreife, reagiere die Schweiz auf die gleiche Weise.
«50 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die EU, 67 Prozent der Importe kommen aus der EU», beschreibt Forster die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der Schweiz. «Wenn wir das aufs Spiel setzen, haben wir echt ein Problem», so Forster.
«Schweiz profitiert viel von der EU»
«Wir haben den autonomen Nachvollzug der EU-Gesetze in der Schweiz, wodurch wir stärker integriert sind als gewisse Mitgliedsländer», sagt Forster. Darum müsse ein Weg gefunden werden. «Aber wir haben doch einen Weg», bemerkt Christoph Blocher.
Stefan Lanz fragt, ob wir denn einen passiven Souveränitätsverlust hätten. Forster findet, mann müsse das nicht so sehen. «Die Schweiz profitiert so viel von der EU, dass wir auch Zugeständnisse machen müssen», so Forster.
«Das will der Schweizer einfach nicht»
In den Statuten der EU heisse es, der EU-Gerichtshof entscheide endgültig, meint Blocher. «Das will der Schweizer einfach nicht», so der SVP-Chefstratege. Forster entgegnet, die Schweiz beteilige sich auch am EU-Gericht. «Bei der Fifa kann man auch nur mitspielen, wenn man deren Regeln akzeptiert», zieht Forster einen Vergleich.
«Gibt Angelegenheiten, die nicht auf Ebene der Schweiz gelöst werden können»
Nicola Forster sagt, 1848 habe man festgestellt, dass einige Dinge auf nationaler Ebene beschlossen werden müssen, während andere Dinge auf kantonaler Ebene geregelt werden können. «Heute gibt es Angelegenheiten, die nicht auf der Ebene der Schweiz gelöst werden können, da braucht es eine Zusammenarbeit», sagt Forster. Er glaubt, dass die Schweiz heute noch nicht in der EU beitreten soll, aber in 30 Jahren könnte sich das ändern.
«Wo ist denn dein Problem?», entgegnet Blocher. Es laufe doch alles gut im Moment. «Wir haben hier die direkte Demokratie und das passt der EU nicht», meint Blocher. Die EU fordere einen Rahmenvertrag, weil es ihr mit der Schweiz zu kompliziert sei.
«Ich glaube, uns geht es wegen unserer Offenheit so gut»
«Wir machen bereits seit 700 Jahren Verträge mit dem Ausland», sagt Blocher. Der EWR werde jedoch auch weiterhin daran scheitern, unsere Institutionen preisgeben zu wollen.
«Ich glaube, uns geht es wegen unserer Offenheit so gut», entgegnet Forster. Dass die Schweiz gescheite Köpfe angezogen habe, sei wichtig gewesen.
Blocher und Forster zur Beziehung der Schweiz zur EU
Stefan Lanz greift das Thema der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU auf. «Die Schweiz schaut oft nur darauf, was sie selbst braucht», so Forster. Sowohl Blocher als auch Forster hätten zum Ziel, dass es der Schweiz gut gehe, nur der Weg dahin sieht für die beiden unterschiedlich aus.
«Da stimme ich Ihnen zu. Nur geht es uns bereits gut», sagt Blocher. «Natürlich haben wir ein Umfeld um uns herum, dass wir nicht ausklammern können.» Er betont: «Wir sind für Abmachungen im gegenseitigen Interesse, aber wir geben nicht unsere Institutionen preis.» Damit bezieht er sich insbesondere auf das Recht des Schweizer Volks, souverän über Gesetzesänderungen entscheiden zu können.
Gemeinsamkeiten der «Duellanten»
Nicola Forster sagt einige Dinge zu Gemeinsamkeiten zwischen Blocher und ihm. «Wir haben beide Jus studiert, sind beide Vogelliebhaber», so Forster. «Sie sind eine Legende der 90er-Jahre», so Forster weiter. Blocher meint, Ameti habe ihm gegenüber schon genug Lob ausgesprochen und bremst Forster damit aus.
Die beiden sprechen kurz über die Wichtigkeit Napoleons für die Schweiz. Im Buch von Forster wird diese betont. «Er hat die Helvetik abgeschafft», so Forster.
Blochers Antwort auf Ametis Kritik
Christoph Blocher wird die Chance gegeben, auf die Kritik Ametis zu reagieren. «Ich muss ihr eigentlich nicht widersprechen», sagt Blocher. Im Duden stehe unter dem Wort Vision «Leitbild, Trugbild». Daher müsse Ameti wohl seine Vision bekämpfen. Dann schiesst er gegen Ameti zurück: «Ich muss gar nicht an die Veranstaltungen von Sanija Ameti gehen, denn ich bin ja sowieso immer präsent. Ich glaube, sie hat eine starke Vaterbindung, da sie so unglaublich gegen mich ist, das tut mir leid».
Gleichzeitig betont er, dass er oft auf tiefem Niveau kritisiert werde. An der Uni Fribourg sei er vor einem Vortrag einmal als Teufel höchstpersönlich dargestellt worden.
Beginn des EU-Battles
Stefan Lanz begrüsst das Publikum zurück im Kraftwerk, wo jetzt das grosse EU-Battle stattfindet. Er stellt kurz die beiden Hauptgäste des Abends vor – SVP-Chefstratege Christoph Blocher und Europapolitik-Experte Nicola Forster.
«Man kann eine gewisse Ungeduld der EU erkennen»
«Die EU sagt ziemlich offen, dass die Schweiz offenbar nicht dazu bereit ist, einen Schritt weiter zu gehen», sagt Tobler über den Standpunkt der EU. Die Prozesse in der Schweiz seien sehr langsam und manchmal auch unnötig langsam. «Man kann auch eine gewisse Ungeduld der EU erkennen, denn sie hat doch schon einige Schritte unternommen, die ein bisschen unangenehm sind für uns», sagt Tobler.
Lena Wilczek erkundigt sich, welches Plädoyer Tobler am besten gefallen hat. «Jenes vom Unternehmer Jobst Wagner, denn er hat auf Grundlage einer wirtschaftlichen Realität gesprochen», antwortet Tobler. Die Emotionalität gewisser Plädoyers habe ihr nicht so zugesagt.
Ende der Plädoyers
Damit sind die Plädoyers beendet. Rechtswissenschaftlerin Christa Tobler analysiert zusammen mit 20-Minuten-Moderatorin Lena Wilczek den Inhalt der verschiedenen Plädoyers. Danach folgt das Streitgespräch zwischen Europapolitik-Experte Nicola Forster und SVP-Chefstratege Christoph Blocher.
«Die Beziehung zwischen Europa und der Schweiz war nie eine Liebesbeziehung», sagt Tobler mit Bezug auf das Plädoyer von Camille Lothe. Stattdessen habe das Verhältnis seit jeher mehr einer «lockeren Kameradschaft» geglichen.
«Schweiz trotzdem sehr gut unterwegs»
Polit-Geograph Michael Hermann hält das letzte Plädoyer. «Ich muss für einen Stimmungsabfall im Vergleich zu meinen Vorrednerinnen und Vorrednern sorgen», sagt Hermann. Die Beziehung mit der EU zeichne sich durch grosse Stabilität aus. «Ich sage seit 30 Jahren, dass die Schweiz dynamischer und offener werden soll, und stelle immer wieder fest, dass die Schweiz trotzdem sehr gut unterwegs ist», so der Politologe. Gerade jetzt, wo Rufe der SVP nach einer strikteren Migrationspolitik kommen, müsse man sich bewusst werden, dass die Schweiz bisher gut gefahren sei. Auch Blocher sei mit seinen Firmen im bisherigen System gut gefahren.

Politikwissenschaftler Michael Hermann betreibt mit seinem Unternehmen Sotomo Meinungsforschung, dazu lehrt er am Geographischen Institut der Universität Zürich.
20min/Taddeo Cerletti«Gefährliche Vision» von Christoph Blocher
«Herr Dr. Blocher, ich bezweifle, dass mir in meinem Leben nochmal jemand wie Sie begegnen wird», sagt Ameti. Seine Vision sei jedoch eine Gefährliche, denn sie öffne Schleusen für Autokratien, die unsere Demokratie und damit auch unsere Freiheit aushöhlen.
«Dass wir mit unserem Talent auf dem grössten Binnenmarkt wertschöpfen. Das, Herr Dr. Blocher verwehren Sie unserer Generation», sagt Ameti. Mit jeder Initiative verschiebe Blocher den Diskurs wieder dorthin, wo er ihn haben möchte: zurück ins Reduit.
«Wenn zwei so grundverschiedene Visionen über die Zukunft der Schweiz aufeinanderprallen, ist ein Kompromiss nicht möglich», sagt Ameti. Diesen Beweis liefere das Parlament, indem es immer wieder kläglich an einem solchen Kompromiss scheitere. Ameti wirft Blocher weiter vor, die Schweizer Politik in «mentaler Geiselhaft» gehalten zu haben. Dabei bezeichnet sie Blochers Schweiz als «Disneyland der Selbstlüge».
«Und wo sonst soll die Vision der Schweiz stehen, als in der Verfassung? Dies, liebe Anwesende, ist nicht nur eine Rede für Dr. Blocher, es ist ein Plädoyer für die Vision einer zukunftsorientierten, selbstbewussten und freien Schweiz», schliesst Ameti.
Die Schweiz im Reduit
Sanija Ameti von der Operation Libero hält ihr Plädoyer. «Dürrenmatt hätte die Schweiz als Gefängnis bezeichnet», eröffnet Ameti. Christoph Blocher habe es wie kein anderer geschafft, die psychologische Schwierigkeit der Schweiz auszuspielen. «Sie haben es wie kein anderer geschafft, die Schweiz mental dort zu behalten, wo Sie sie für Ihre Partikularinteressen brauchen: Im Reduit», so Ameti.

Sanija Ameti präsentiert sich in ihrem angriffigen Plädoyer in einem urchigen roten Pullover mit weissen Schafen darauf.
20min/Taddeo Cerletti