Rede von BidenBringt ein Sturz Putins Europas Frieden zurück?
Der US-Präsident stellte die Herrschaft von Kreml-Chef Wladimir Putin infrage, was im Westen auf Sympathie trifft. Doch ein Sicherheitsexperte warnt vor einer Überreaktion Putins.
Darum gehts
Innerhalb eines Monats haben die russischen Truppen das Leben unzähliger Menschen in der Ukraine zerstört. Aber auch Russinnen und Russen flüchten nach Kreml-Chef Wladimir Putins Angriffskrieg massenweise aus ihrem Land. «Das ist Putins Krieg, nicht der Krieg des russischen Volkes», sagte eine russische TV-Journalistin etwa. US-Präsident Joe Biden zog in einer Rede in Polen am Samstag folgenden Schluss: «Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.» Das Weisse Haus präzisierte danach, es habe sich dabei nicht um einen Aufruf zum Sturz Putins gehandelt. Bidens Punkt sei, dass «Putin nicht erlaubt werden darf, Macht über seine Nachbarn oder seine Region auszuüben».
Dennoch trifft ein Sturz im Westen auf Sympathie. «Für den Westen kann nur Putins Sturz Sicherheit bedeuten», schreibt ein User auf Twitter. Ein User behauptet: «Mit Putin an der Macht wird Europa keinen Frieden finden.» Ein weiterer bezeichnet dies als «bittere Wahrheit» in Bidens Rede.
Biden habe Menschen aus Seele gesprochen
Putin drohte mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen, sollten sich andere Staaten in den Ukraine-Krieg einmischen. Um eine Konfrontation mit Russland zu verhindern, sieht die Nato von einem militärischen Eingreifen ab. Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London, vermutet, der amerikanische Präsident habe den Menschen aus der Seele gesprochen. «Wir sind uns alle einig, dass Russland besser dran wäre, wenn Putin nicht an der Macht wäre.» Die Aussage, dieser Mann könne nicht an der Macht bleiben, sei demnach eine leere Drohung.
Neumann beurteilt die Worte jedoch als gefährlich. Was der amerikanische Präsident sage, werde von den Russen sehr genau gelesen und interpretiert. «Biden hat damit eine unnötige Drohung ausgesprochen, die bei einem bereits paranoiden Kopf wie Putin zu einer Überreaktion führen könnte.» So könnte dieser zu Massenvernichtungswaffen greifen. Neumann rechnet damit, dass sich die Verhandlungen zwischen den USA und Russland wegen Bidens Drohung zusätzlich verkomplizieren. «Denn die Russen könnten diese Aussage als klares Zeichen verstehen, dass sie der anderen Seite gar nicht mehr vertrauen können.»
Die Chancen eines Sturzes Putins schätzt er als gering ein. Putin lebe isoliert und lasse nur wenige Leute und solche, denen er zu 100 Prozent vertraue, an sich heran. «Dass einer dieser engsten Personen der Kragen platzt – darauf hoffen alle.» Doch soweit komme es kaum. «Die Person, die ein Attentat auf ihn verübt, müsste damit rechnen, danach selbst umgebracht zu werden.» Zudem wisse niemand, wer nach Putin übernehme. «Ein Nachfolger kann genauso revanchistisch und nationalistisch sein wie Putin.» Der Krieg werde noch viele Tote fordern. «Putin wird diesen erst stoppen, wenn das Establishment um ihn herum zur Einsicht kommt, dass die Invasion ein grosser Fehler war.»
«Neuer Kopf könnte nachwachsen»
Politikerinnen und Politiker der Aussenpolitischen und der Sicherheitspolitischen Kommission würden einen Sturz Putins nicht befürworten. «Wenn man den Kopf wegschlägt, besteht die Gefahr, dass ein neuer nachwächst», sagt SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. Es sei alles andere als sicher, dass ein Sturz für Frieden sorge. Zielführend sei, die Sanktionen zu verschärfen, damit Putin den Krieg so bald wie möglich nicht mehr finanzieren könne. «Dazu gehört auch, dass die Schweiz alle Oligarchengelder blockiert sowie russisches Gas und Öl boykottiert.»
Auf einen Sturz Putins hinzuwirken oder einen solchen herbeireden zu wollen, sei fehl am Platz und berge die Gefahr eines eskalierenden Konflikts, sagt SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel. «Wir haben mit Putin und Selenski zwei Männer, die derzeit überdrehen und zur Vernunft kommen müssen.» Selenski übertreibe mit seiner Forderung einer Flugverbotszone über der Ukraine, da dies den Beginn des Dritten Weltkriegs bedeuten würde. Die Schweiz könne nur als neutrales Land vermitteln. «Doch damit wir unsere Vermittlerrolle wahrnehmen können, müssen wir darauf achten, diese nicht unnötigerweise zu verspielen.» Kürzlich nahm Bundespräsident Ignazio Cassis (FDP) an einer Friedenskundgebung der ukrainischen Botschaft teil. Die SVP kritisierte, dass Cassis Partei für die Ukraine ergriffen und damit gegen den Verfassungsauftrag zur Wahrung der Neutralität verstossen habe.
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75