PressefreiheitDas bedeutet die Schliessung von al-Jazeera-Büros in Jerusalem
Der Nachrichtensender al-Jazeera mit Sitz in Katar galt als arabisches Vorzeige-Medium. Jetzt verbietet Israel den Sender. Ist der Sender zum Hamas-Sprachrohr geworden oder bringt Netanyahu kritische Stimmen zum Schweigen?
Darum gehts
Das Büro von al-Jazeera in Ost-Jerusalem wurde von der israelischen Regierung geschlossen.
Der Nachrichtensender berichtete ausführlich über die Situation im Gazastreifen und wird von der israelischen Regierung als «Sprachrohr der Hamas» bezeichnet.
Die Vereinten Nationen und verschiedene Organisationen betonen die Wichtigkeit der Pressefreiheit und kritisieren das Verbot.
Islamwissenschaftler Reinhard Schulze sieht das einstige arabische Vorzeige-Medium in Bedrängnis.
Am 1. November 1996 fand im arabischen Fernsehen über Satellit eine Art Revolution statt. Mit der ersten Nachrichtensendung von al-Jazeera gab es auf einmal eine unabhängige Instanz, die sich mit den Problemen in der Region beschäftigte.
Was ist al-Jazeera
Der Sender versorgt die ganze Welt mit Bildern
Wie schon beim Krieg in Afghanistan und dem Arabischen Frühling berichtete der katarische Nachrichtensender als einziges Medienhaus direkt aus Gaza und lieferte so Bilder für Medien weltweit. Zumindest bis gestern. Da wurde das Büro in Ost-Jerusalem von der israelischen Regierung geschlossen. Dafür hangelte es Kritik: Die Vereinten Nationen und verschiedene Organisationen betonen die Wichtigkeit der Pressefreiheit und kritisieren das Verbot. Selbst aus den eigenen Reihen wurde das «schreckliche Timing» angeprangert, da die Entscheidung die Verhandlungen mit der Hamas torpedieren könnte.
US-Regierung besorgt über Sender-Verbot in Israel
Matthew Miller, Sprecher des US-Aussenministeriums, äusserte sich am Montag in Washington über die Entscheidung der israelischen Regierung: «Wir haben ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir die Medienfreiheit auf der ganzen Welt unterstützen, auch in Israel, und dass wir über diese Massnahme sehr besorgt sind.» Auf Nachfrage eines anwesenden Reporters, ob die US-Regierung gegen die Schliessung des Senders sei, konkretisierte Miller: «Das sind wir.»
Journalisten und Medienschaffende seien ein wesentlicher Bestandteil jeder Demokratie, sagte der Sprecher. Man sei im Laufe der Jahre nicht immer damit einverstanden gewesen, wie der Sender über den Konflikt in Nahost berichtet habe. Dennoch müsse al-Jazeera in der Lage sein, in Israel und anderen Ländern der Region zu operieren.

al-Jazeera hat seit Beginn des Gaza-Kriegs ausführlich über die katastrophale Lage im Gazastreifen berichtet.
AFPDie Meinungsfreiheit sei durch die Abschaltung nicht bedroht, sagt der Professor für Zeitgeschichte, Siegfried Weichlein. «Israel ist die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten und die schärfsten Stimmen gegen die Regierung Netanyahu kommen von Israelis selbst.» Organisationen wie «B'Tselem» und «Breaking the Silence» attackierten seit Jahren die Siedlungspolitik und die Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland.
«Netanyahu verfolgt wohl politische Interessen hinter Abschaltung»
Politische Interessen liessen sich aber erkennen. «Finanziert wird al-Jazeera von Katar, wo auch der Sitz der Auslandsführung von Hamas ist.» Das deute darauf hin, dass die Entscheidung des israelischen Kabinetts, al-Jazeera im eigenen Land abzuschalten, auch politisch motiviert sein könnte. «In Katar finden die Gespräche über Häftlingsfreilassungen und Waffenstillstand statt. Mit dieser Entscheidung treibt man die Gegenseite in die Ablehnung, was den Krieg verlängern würde. Damit bliebe Netanyahu länger an der Macht.»
Bis auf ganz wenige Ausnahmen sei die Presselandschaft im Nahen Osten hochgradig politisiert. «Al-Jazeera war eine der ganz wenigen Informationsquellen aus dem Gazastreifen, die auch innerhalb Israels von der arabischen Bevölkerung ernst genommen wurde.»
«Ein Organ der Staatsinteressen des Emirats Katar»
Für seine Nahostberichterstattung wird al-Jazeera indes nicht nur von Netanyahu kritisiert. Die Moderatoren und Reporter orientierten sich eng am bevorzugten Vokabular der Hamas, wie «The New Yorker» schreibt. Auch sie sprächen von «Widerstandskämpfern», die gegen eine «Besatzungsarmee» kämpften.
«Der arabische Sender ergreift sehr viel offener Partei für Hamas, beim englischsprachigen Sender sind auch kritische Töne zu hören.»
Islamwissenschaftler Reinhard Schulze sieht das einstige arabische Vorzeige-Medium in Bedrängnis. «Es ist in der Tat so, dass sich der Fokus von al-Jazeera im Kontext der politischen Auseinandersetzungen mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingeengt hat. Der Sender wurde immer mehr zum Organ der Staatsinteressen des Emirats Katar.» Es sei aber wichtig, zwischen dem englisch- und dem arabischsprachigen Sender zu unterscheiden. «Der arabische Sender ergreift sehr viel offener Partei für Hamas, beim englischsprachigen Sender sind auch kritische Töne zu hören.»
Die Berichterstattung von al-Jazeera bleibt von Bedeutung
«Gerade nach dem 7. Oktober versuchte der Sender, sein Informationsmonopol zu Gaza durch sein lokales Korrespondentennetz durchzusetzen, was ihm zum Teil sogar gelang», sagt Schulze. Inzwischen nehme auf al-Jazeera Arabisch der Gaza-Krieg eine so zentrale Rolle ein, dass sich der Eindruck verfestigte, der Sender wolle zum «Marktführer» der öffentlichen Meinungsbildung zu Gaza werden. Auffällig sei, dass al-Jazeera dem ideologischen Hintergrund von Hamas keinerlei Aufmerksamkeit widme, während die saudischen und emiratischen Medien unverhohlen den religiösen Nationalismus von Hamas anprangerten.
Laut Schulze bleibt die Berichterstattung der beiden al-Jazeera-Sender dennoch von Bedeutung, da sie einen privilegierten Zugang zur Lage in Gaza hätten und zum Teil noch haben. Dies allein schon deshalb, weil die Sender die Meinungsbildung entscheidend mitprägten.
Mit Material der DPA.
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