«Endlich herrscht Gerechtigkeit, ich bin sehr erleichtert»

Livetickeraktualisiert am Dienstag, 22. Dezember, 2020

Messer-Attacke auf eigenes Kind«Endlich herrscht Gerechtigkeit, ich bin sehr erleichtert»

Cataleya erwachte mit dem Messer am Hals. Ihr Vater Q. A.* wollte die damals 17-Jährige angeblich wegen ihrer Homosexualität töten. Mit schweren Verletzungen überlebte sie.

Cataleya (18) wurde vergangenes Jahr von ihrem Vater attackiert.
Er hatte mitbekommen, dass sein Kind, das damals noch als Mann lebte, homosexuell war – darauf schnitt er ihr die Kehle auf.
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Cataleya (18) wurde vergangenes Jahr von ihrem Vater attackiert.

Zora Schaad

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Dienstag, 22.12.2020

11 Jahre Haft, 12 Jahre Landesverweis

Q. A. wird wegen versuchten Mordes für schuldig erklärt. Er wird zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Zudem zu einer Landesverweisung von zwölf Jahren. Zudem muss er die Verfahrenskosten von über 40'000 Franken übernehmen. Dazu kommen Kosten der Verteidigung. Opfer Cataleya erhält eine Genugtuung von 20'000 Franken zugesprochen. Abgelehnt wurde jedoch eine Schadensersatzforderung von Cataleya. A. soll bis zum Antritt seiner Strafe weiterhin in Sicherheitshaft bleiben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Q. A. nahm das Urteil ruhig und gefasst entgegen. Richter Zuber führte aus: «Die Beweise haben im Gesamtbild ein eindeutiges Bild ergeben.» Es habe sich jedoch um einen Indizienprozess gehandelt. Klar sei gewesen, dass die Verletzungen am Hals von Cataleya entweder vom Vater oder vom Opfer selber verursacht wurden. «Dass eine dritte Person diese verübte, kann ausgeschlossen werden.» Anhand der Aussagen von Q. A. und Cataleya könne die Täterfrage nicht eindeutig geklärt werden. Dass sich Cataleya die Verletzungen selber zugefügt hat, glaubt Richter Zuber nicht: «Das Risiko wäre sehr gross gewesen in diesem Körperbereich. Eine falsche Bewegung könnte den Tod zur Folge haben.» Es bestehe theoretisch die Möglichkeit, dass Cataleya sich die Verletzungen selber im Rahmen eines Suizidversuchs zugefügt hätte: «Aber es ist unwahrscheinlich, dass das Opfer danach noch grundlos den Vater beschuldigt hätte», so Zuber. Auch die Verletzungen an Schulter und Rücken würden eher dagegen sprechen.

Im Endeffekt habe das gerichtsmedizinische Urteil das Gericht von A. Schuld überzeugt: «Die Blutspritzer am Hemd des Beschuldigten, die Blutspuren an seinen Füssen, die Schnittverletzung an seiner Hand und weitere Beweismittel passen zum Geschehensablauf des Opfers.» Auch wenn sich einzelne Beweismittel auch anders erklären liessen, so «lassen sie in der Summe nur einen Schluss zu».

Richter Zuber zum Motiv: «Der Beschuldigte wollte das Opfer töten, sonst hätte er nicht so viele Schnitte verübt.» Die sexuelle Ausrichtung von Cataleya dürfte eine Rolle gespielt haben, aber: «Auch andere Faktoren wie das schwierige Vater-Kind-Verhältnis oder der Drogen- und Alkoholkonsum des Kindes hatten einen Einfluss.» Irgendwann sei der Zeitpunkt erreicht gewesen, an dem A. überfordert gewesen sei. «Das eigene Kind passte nicht ins Weltbild des Beschuldigten. Aus diesem Grund fasste er eines Morgens nüchtern den Entschluss, das schlafende Kind zu töten.»

Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau erklärte A. wegen versuchten Mordes und nicht etwa wegen versuchter vorsätzlicher Tötung für schuldig. Den Grund nannte Richter Zuber bei der Urteilsverkündung: «Die Skrupellosigkeit, das Opfer im Schlaf mit dem Messer anzugreifen, qualifiziert A. für diesen Tatbestand.»

Am Dienstagabend zeigte sich Cataleya erfreut über das Urteil: «Endlich herrscht Gerechtigkeit. Ich bin sehr erleichtert!», sagt sie zu 20 Minuten.

Urteilsverkündung

Heute wollen die Richter im Fall von Cataleya ihr Urteil sprechen. Die Verkündung startet um 16 Uhr.

Donnerstag, 17.12.2020

Kurzfassung

Cataleya (18) und ihr Vater Q. A.* begegneten sich heute vor dem Regionalgericht in Burgdorf. Als sie ihren Vater zum letzten Mal sah, war Cataleya noch ein Mann – und ihr Vater versuchte sie zu töten, wie sie vor Gericht aussagte: «Ich wachte auf mit dem Messer am Hals. Mein Vater fragte mich schreiend, ob ich schwul sei und zog das Messer durch meinen Hals.» Der heute 18-Jährigen fällt es noch immer schwer, über die Ereignisse vom Mai 2019 zu sprechen. Als Cataleya gebeten wird den Vorfall vom 29. Mai 2019 zu rekapitulieren, wird sie von ihren Emotionen überwältigt.

Gemäss der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern erlitt Cataleya, damals 17 Jahre alt, schwere Verletzungen im Halsbereich. Manche der Schnittwunden waren so tief, dass sie Drüsen durchtrennten oder die Luftröhre verletzten. Dank einem raschen Rega-Transport und der Verlegung ins künstliche Koma überlebte das Opfer die Tat.

«Ich töte keines von meinen Kindern»

Q. A. hielt von Gericht an seinen Aussagen von 2019 fest. Er habe sein Kind nicht angegriffen. Die Verletzungen am Hals habe es sich selber zugefügt oder ein Dritter habe das Kind angegriffen. Der irakischstämmige Beschuldigte zeigte sich vor dem fünfköpfigen Richtergremium wortkarg. Er beteuerte seine Unschuld mit leiser Stimme und kurzen Sätzen: «Ich habe keine Probleme, mit niemanden.» oder «Ich töte keines von meinen Kindern.» Dass sein Kind damals Homosexuell gewesen sein soll, habe er nicht mitbekommen. Auch dass sein Sohn heute als Frau Leben wolle, höre er zum ersten Mal. Den Umstand wollte der 54-Jährige nicht kommentieren.

Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass A. die Tat wegen seiner kulturellen und religiösen Herkunft beging. Der Vater entgegnete jedoch: «Ich vertrete nicht die Ansichten von anderen Menschen. Wir leben hier in der Schweiz.»

Traumatisiert und depressiv

Für Cataleya steht fest, dass ihr Vater vor Gericht gelogen hat. Richter Roger Zuber wollte vom Opfer wissen: «Stimmt es, dass Sie in Ihrer Jugend Probleme mit Alkohol und Betäubungsmittel hatten und auch Selbstmordversuche unternommen hatten?» Cataleya bestätigte dies. Immer wieder sei es zu Konfliktsituationen mit dem Vater gekommen. Nicht nur wegen ihrer sexuellen Neigung, auch weil sie Cannabis konsumierte oder oft und viel Alkohol trank. «Als ich einmal weinend nach Hause kam, weil ich draussen gehänselt worden war, meinte mein Vater nur, dass ich als Mann nicht zu weinen hätte. Danach habe ich zu einer Flasche Alkohol gegriffen. Ich hatte damals keine Freude mehr am Leben», sagte Cataleya aus.

Auch heute leide sie noch stark unter dem Vorfall. Eine zweite Lehre habe sie vor Kurzem abgebrochen – die Vergangenheit hole sie immer wieder ein: «Die Narben erinnern mich immer wieder an die Tat.» Sie sei tagsüber in ihrer Wohnung und kämpfe mit Depressionen. «Ich habe ein Trauma davongetragen. Es gibt Tage, da wage ich mich nicht aus dem Haus.»

Entgegengesetzte Forderungen

Staatsanwalt Marcel Meier hegte keinen Zweifel an der Schuld des mutmasslichen Täters. Er verlangte vor Gericht eine Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Jahren und einen Landesverweis von 15 Jahren für A. Ganz anders schätzt die Verteidigung von Q. A. die Sachlage ein. Anwalt Bruno Studer fordert für seinen Mandanten einen Freispruch auf ganzer Linie. Zudem soll A. eine Genugtuungszahlung von 15'000 Franken erhalten. «Mein Mandant wurde angeschwärzt und vorverurteilt.»

Das Urteil wird für Dienstag erwartet. Es gilt die Unschuldsvermutung.

*Name der Redaktion bekannt

Freispruch und Genugtuung

Ganz anders schätzt die Verteidigung von Q. A. die Sachlage ein. Anwalt Bruno Studer fordert für seinen Mandanten einen Freispruch auf ganzer Linie. Zudem soll A. eine Genugtuungszahlung von 15'000 Franken erhalten. «Mein Mandant wurde vorverurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Schlüsse vorschnell gezogen.» Dass A. homophob sei, sei schlicht unwahr. Dies liesse sich nur auf die Aussage des Opfers zurückführen.

In diesem Fall sei die Unschuldsvermutung krass verletzt worden: «Weil mein Mandant sprachlich nicht fähig war, seine Unschuld zu erklären, wurde er zum Opfer.» Sein Mandant sei schockiert gewesen über den Anblick des blutüberströmten Kindes. Für den Anwalt ist zudem klar, dass es dem Opfer wegen seiner Transsexualität psychisch schlecht ging und daher die Möglichkeit, dass es sich die Verletzungen selber zugefügt habe, gegeben sei.

Das Fehlen von Abwehrverletzungen, der Verlauf der Schnittverletzungen und das Fehlen von Stichverletzungen lassen für den Verteidiger nur einen Schluss zu: «Das angebliche Opfer hat sich die Verletzungen selber zugefügt.»

Auch bezüglich der Spuren der blutigen Socken, welche die Staatsanwaltschaft in Plädoyer aufgeführt hatte, hegt Studer starke Zweifel. Diese hätten auch vom Nachbarn verursacht werden können: «Wie Spuren von Socken oder Crocs-Schuhen auseinandergehalten werden können, ist mir schleierhaft.» Auch ein blutiger Fussabdruck auf dem Balkon passe in keiner Weise zur Argumentation der Staatsanwaltschaft. Aus diesem Grund sei die gesamte Rekonstruktion der Tat zu Bezweifeln.

Das Opfer habe sich in der Vergangenheit mehrmals unwahr über den eigenen Vater oder die Tat geäussert – dabei habe er sich mit viel Liebe und Hingabe um die Erziehung des Nachwuchses gekümmert: «Mein Mandant wurde regelrecht angeschwärzt vom eigenen Kind», so Studer. Die Tochter sei von Zeugen als gute Schauspielerin bezeichnet worden: «Vielleicht wurden wir auch heute Zeuge von dieser schauspielerischen Leistung.»

12 Jahre und Landesverweis

Auch wenn sich die Aussagen von Opfer und Täter massiv unterscheiden: Für den zuständigen Staatsanwalt Marcel Meier ist klar, dass Q. A. Cataleya am 29. Mai 2019 töten wollte. Während Q. A. aussagte, dass er am Küchentisch die Einbürgerungsunterlagen seiner Kinder studierte, als er plötzlich einen Schrei aus dem Wohnzimmer hörte und im Gang auf Cataleya stiess, die aus dem Hals blutete. Laut A. hat sich Cataleya die Verletzungen selber zugefügt oder wurde von einer Drittperson angegriffen. Cataleya hingegen beschrieb, wie sie mit dem Messer am Hals aufwachte und ihr Vater sie anschrie und es durch den Hals zog.

Etwa die blutgetränkten Socken würden A. überführen, so der Staatsanwalt: «Er sagte, er sei nie im Raum gewesen, wo sich die Tat ereignet hatte. Die Spuren beweisen anderes.» Zudem hätten Forensiker nachgewiesen, dass das Blut vom Opfer, welches auf der Kleidung von A. gefunden wurde, direkt bei der Tat auf den Vater rübergespritzt sein musste. «Einige DNA-Funde bei A. sind zudem wie aus dem Lehrbuch», so der Staatsanwalt.

Er wolle aber nicht verschweigen, dass es auch Ungereimtheiten gäbe: «Ein gefundenes blutgetränktes und zerrissenes Pyjama-Oberteil sorgt für Unklarheiten.» Cataleya bestreite dies während der Tat getragen zu haben. Es würden verschiedene Theorien dazu passen, aber die Staatsanwaltschaft können keine davon beweisen.

«Auch eine Indizienkette spricht klar dafür, dass Q. A. die Tat ausübte.» Und es sei schlicht nicht vorstellbar, dass Cataleya sich die Verletzungen selber zufügte und im Schmerz noch solche schauspielerische Leistung an den Tag legen konnte, um den Vater glaubwürdig damit zu belasten. «Auch hat sich das Opfer zu keinem Zeitpunkt in seinen Aussagen widersprochen oder dergleichen.»

Das Motiv ist für Anwalt Marcel Meier klar: Die Homosexualität des eigenen Kindes. Dies habe A. auch heute vor Gericht bewiesen, indem er sich nicht dazu äussern wollte: «Ein stärkerer Verdrängungsmechanismus habe ich selten gesehen.» Der Vater habe das Gefühl gehabt, dass ihm das Kind aus den Händen gleitet. Auch wegen der Probleme mit Alkohol und Cannabis.

Staatsanwalt Marcel Meier verlangt vor Gericht eine Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Jahren für den mutmasslichen Täter A. Zudem einen Landesverweis von 15 Jahren für den Iraker. «Es ist zu Berücksichtigen, dass es nur beim Mordversuch blieb. Aber auch, dass es nicht A. war, der die Tat abgebrochen hat, sondern das eigene Kind sich befreien musste.» Die psychischen Auswirkungen auf das Opfer seien enorm – nicht nur wegen der Narben, die es davontrage: «In einem empfindlichen Alter der Entwicklung, muss es mit einem Mordanschlag des eigenen Vaters zurechtkommen.» A. soll bis zum Antritt der Haftstrafe in Sicherungshaft verbleiben.

Cataleyas Aussage

Nach der Mittagspause muss sich das Opfer den Fragen der Richter stellen. Richter Zuber will als erstes wissen, wie es ihr heute geht. Es sei sehr unterschiedlich, sagt Cataleya: «Ich habe versucht, es zu vergessen. Aber ich sehe die Narben täglich und werde daran erinnert. Ich fühle mich hässlich.» Sie betont, dass sie an ihren Aussagen von damals festhält.

Für die heute 18-Jährige scheint es noch immer schwer über die Ereignisse vom Mai 2019 zu sprechen. Als Cataleya gebeten wird den Vorfall zu rekapitulieren, wird sie von ihren Emotionen überwältigt. Trotzdem schildert sie, wie sie aufwachte mit dem Messer am Hals – ihre Stimme ist leise aber bestimmt: «Vater schrie nur, dass ich schwul sei.» Mit Kraft habe sie sich schliesslich von ihm wegstossen können: «Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich realisierte, was er tat.»

Es sei vor dem 29. Mai bereits zu Zwischenfällen mit dem Vater gekommen, sagt Cataleya aus. «Als ich mir davor einmal Löcher in den Ohren hatte stechen lassen, musste ich zu Hause vor meinem Vater davonrennen. Er fragt mich, ob ich eine Frau sei.» Ein andermal habe es ein Drama gegeben, weil sie sich am ganzen Körper rasiert hatte: «Er schrie und wollte wissen, warum ich mich wie eine Frau verhalte.» Zu dieser Zeit sei es ihr psychisch gar nicht gut gegangen. «Trotzdem hatte ich Angst von zu Hause wegzugehen.» Sie habe Hilfe bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb gesucht. Q. A. würde lügen, wenn er heute vor Gericht sagen würde, dass er nicht gewusst habe, dass sein Kind nicht heterosexuell gewesen sei.

Richter Zuber: «Stimmt es, dass Sie in Ihrer Jugend Probleme mit Alkohol und Betäubungsmittel hatten und auch Selbstmordversuche unternommen hatten?» Cataleya bestätigt dies. «Als ich einmal weinend nach Hause gekommen bin, weil ich draussen gehänselt worden war, meinte mein Vater nur, dass ich als Mann nicht zu weinen hätte. Danach habe ich zu einer Flasche Alkohol gegriffen. Ich hatte damals keine Freude mehr am Leben.»

Es habe immer wieder Konfliktsituationen mit Q. A. gegeben: «Bevor es um meine Sexualität ging, waren es andere Themen wie meinen Haschisch-Konsum oder einmal, weil ich etwas gestohlen hatte.» Zuber will wissen, ob Cataleya den Beschuldigten vor dem Vorfall gehasst hat. «Ich habe noch nie jemanden gehasst. Er hatte auch seine guten Seiten.»

«Wie geht es Ihnen heute beruflich?», fragt Richter Zuber. Cataleya: «Leider sehr schlecht. Ich musste meine Lehre abbrechen, weil man sich über mich und den Vorfall mit Q. A. lustig gemacht hat.» Derzeit sei sie wieder arbeitslos, aber wolle nächstes Jahr wieder einen Anlauf nehmen. «Tagsüber schiebe ich meistens Depressionen. Ich habe ein Trauma davongetragen. Es gibt Tage, da wage ich mich nicht aus dem Haus.»

Mit den Aussagen von Cataleya wurde das Beweisaufnahmeverfahren beendet. Weiter geht es mit den Plädoyers der Anwälte.

Pause

Die Gerichtsverhandlung wird über Mittag ausgesetzt. Weiter gehts um 12:30 Uhr.

Das sagt der Vater zur Tat

Als Nächstes muss Q. A. vor die Richter treten und Aussagen. Der Richter will wissen, wie es Q. A. heute geht. Nach einer langen Pause antwortet der 54-Jährige: «Es geht mir gut.» Im Gefängnis gehe es ihm aber schlecht: «Was gibt es schlimmeres, als das Wissen, dass die Kinder ohne Vater aufwachsen.»

A. wird gebeten, die Ereignisse vom 29. Mai 2019 noch einmal zu erzählen: «Ich bleibe bei meinen Aussagen von damals – egal ob ich dafür eine Todesstrafe oder einen Freispruch bekomme.» Es sei nicht nötig, nach so einer langen Zeit die Aussagen noch einmal zu wiederholen.

Mit leiser stimme rekapituliert A. die Vorfälle doch noch: «Eine Nachbarin hat mich gefragt, ob ich die Polizei verständigt hätte. Und sie sagte mir, dass mein Kind in Sicherheit sei.» Die Richter wollen wissen, wie das Verhältnis zwischen ihm und dem Kind war. «Auch diesbezüglich habe ich bereits alle Aussagen gemacht. Ich bleibe dabei», so Q.

«Laut der Nachbarin musste sie in der Vergangenheit zwischen Ihnen und Ihrem Kind Streit schlichten», sagt Richter Zuber. Q. Antwortet: «Man sollte die Aussagen der Nachbarn gut überprüfen. Sie haben kein Recht darauf.» Der Beschuldigte betont: «Ich habe keine Probleme, mit niemanden.»

Die Richter wollen wisse, ob Q. das Leben mit seinem Kind in den Wochen vor der Tat belastet hat. «Ich hatte keine Probleme. Wenn es vorher Belastungen gab, habe ich diese nicht mitbekommen.» Richter Zuber will wissen: «Wussten Sie von der sexuellen Ausrichtung ihres Kindes?» «Auch diesbezüglich habe ich nichts gehört im Vorfeld. Erst von der Polizei habe ich davon erfahren», antwortet A. Er habe diesbezüglich auch nichts geahnt: «Ich war zu beschäftigt, um mich auf solches zu achten.»

Im Heimatland von Q., dem Irak, sei Homosexualität nicht toleriert, so Richter Zuber. Dazu Q.: «Ich vertrete die Ansichten von anderen Menschen nicht. Wir leben hier in der Schweiz.» «Warum sagt ihr Kind aus, das Sie versucht hätten, es zu töten?», so der Richter. «Ich töte keines von meinen Kindern. Wenn ich das gemacht hätte, dann würde ich mein Kind heute nicht mehr ins Haus bitten. Das tue ich nicht.» Zu seinen Verwandten im Irak habe er keinen Kontakt mehr, seit er im Gefängnis sei. «Sie sind auf Unterstützung angewiesen. Wenn ich sie nicht unterstützen kann, habe ich auch kein Recht, mich bei ihnen zu melden», sagt Q.

Richter Zuber: «Je nach Schuldspruch kann Ihnen ein Landesverweis drohen. Wollen Sie sich dazu äussern?» Q. antwortet: «Was könnte ich dazu schon sagen?» Q. wird gefragt, was er dazu sage, dass sein Kind derzeit eine geschlechtsangleichende Operation plane. Dieser Antwortet: «Dazu kann ich nichts sagen»

Zum Schluss der Einvernahme bittet Q. den Richter, ob er seine Kinder, die der Gerichtsverhandlung als Gäste beiwohnen, umarmen darf. Zunächst will Richter Zuber dem Anliegen nachkommen, korrigiert sich danach jedoch: «Ich habe grosses Verständnis für Ihre Bitte. Aber wegen Corona, lässt dies das Gefängnis nicht zu.»

«Das Opfer hat stark geblutet»

Nun wird der erste Zeuge vorgeladen. Der Mann leistete Cataleya Erste Hilfe, als sie blutend im Treppenhaus stand und um Hilfe schrie. «Das Opfer hat stark geblutet, schien verwirrt war aber ansprechbar. Wir haben sie in unserer Wohnung versorgt, bis die Ambulanz, respektive die Rega, vor Ort war.» Weiter sagt der Nachbar aus: «Ich ging in die Wohnung der Familie, um nachzusehen, ob es weitere Verletzte hat. Dem war jedoch nicht so.»

Q. A. sei die ganze Zeit anwesend gewesen, habe aber nichts gesagt und sich passiv verhalten: «Ich habe der Polizei nur mitgeteilt, dass er der Vater ist und dass sie sich um ihn kümmern sollen.»

Der Prozess beginnt

Das Richtergremium besteht aus fünf Mitgliedern, den Vorsitz hat Roger Zuber. Als erstes wird ein medizinischer Sachverständiger vorgeladen. Gemäss dem forensischen Experten ist anzunehmen, dass die Schnittwunden am Hals des Opfers von einem Rechtshänder ausgeübt wurden. Weil die Narben auch 1,5 Jahre nach dem Vorfall noch immer gut zu sehen sind, geht er davon aus, dass diese nur mit einer plastischen Rekonstruktion weniger sichtbar sein werden. «Die Narben werden jedoch voraussichtlich noch etwas an Röte verlieren.»

Der Anwalt des mutmasslichen Täters Q. A.* will vom Gerichtsmediziner wissen, ob das Opfer Drogen intus hatte und sich die Schnittwunden selber zufügte. Dieser Antwortet: «Wir haben einige Spuren von THC gefunden, können jedoch nicht angeben, ob das Opfer unter Einfluss davon gestanden hätte.» Weiter fügt er an: «Man kann jedoch grundsätzlich sagen, dass diese Stoffe eher eine beruhigende Wirkung haben.»

Die Anklageschrift

Gemäss der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern fand die Tat am 29. Mai 2019 im Emmental statt. Q. A.* weckte seine Tochter, die damals noch als Mann lebte, mit einem Messer am Hals. Das Messer war laut den Unterlagen 27 Zentimeter lang. Damit fügte er dem Opfer laut der Untersuchung Verletzungen im Hals, Gesichts- und Brustbereich zu. Unter anderen wurden mehrere tiefe Schnittwunden am Hals durch die Experten nachgewiesen. Auch die Luftröhre wies einen Einschnitt auf, die Schilddrüse wurde durchtrennt, ist dem Schriftstück zu entnehmen.

«Das Opfer erlitt potentiell lebensgefährliche Verletzungen, verlor zirka 1 bis 1,5 Liter Blut und musste im Spital unter anderem intubiert werden», heisst es in der Anklageschrift. Die Rede ist auch von einer bleibenden Entstellung wegen der Narben, welche noch immer gut sichtbar sind.

*Name der Redaktion bekannt

Die Vorgeschichte

«Er schrie: ‹Du bist schwul?, du bist schwul?› und zog das Messer durch meinen Hals.» Mit diesen Worten schilderte Cataleya im Oktober 2019, wie ihr Vater sie zu töten versuchte. Cataleya war damals noch ein Mann und gerade einmal 17 Jahre alt. Wegen der schweren Verletzungen, musste Cataleya, die sich damals bei 20 Minuten Seran nannte, in ein künstliches Koma verlegt werden. Mit viel Lebenswillen und Glück überlebte sie die die Messerattacke des Vaters – grosse Narben zeugen vom Zwischenfall.

Der irakischstämmige Vater muss sich ab heute vor den Richtern im Regionalgericht Burgdorf verantworten. Die Anklage lautet auf versuchter Mord, versuchte vorsätzliche Tötung oder schwere Körperverletzung. 20 Minuten berichtet live aus dem Gerichtssaal.