Chiara: «Das Feuermal gehört zu mir»

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Narben: Betroffene erzählenChiara: «Das Feuermal gehört zu mir»

Menschen mit auffälligen Narben und Verbrennungen werden häufig ausgegrenzt. Betroffene erzählen, welche Schwierigkeiten sie haben – und woraus sie ihr Selbstbewusstsein schöpfen.

Christoph Bernet
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Christoph Bernet

Narben, Muttermale und Verbrennungen können für die Betroffenen nicht nur schmerzhaft sein: Sie fallen damit in der Öffentlichkeit auf. Eine Kampagne will die Gesellschaft für die Problematik sensibilisieren. Betroffene erzählen, wie sie mit ihrem auffälligen Aussehen umgehen.

Chiara Weideli, 11 Jahre

Chiara wurde mit einem Feuermal auf der linken Gesichtshälfte geboren. Bereits als Baby wurde die Auffälligkeit, die auf eine Fehlentwicklung der Blutgefässe während der Schwangerschaft zurückzuführen ist, mit Laser behandelt. «Wir sind von Anfang an sehr offen damit umgegangen», sagt Chiaras Mutter Linda. Bevor Verwandte die neugeborene Chiara zum ersten Mal sahen, habe man sie informiert, damit sie nicht erschraken.

Schwierig sei es geworden, als Chiara begann, im Kinderwagen aufrecht zu sitzen. «Immer wieder haben Erwachsene hineingestarrt, den Kopf nach ihr umgedreht und getuschelt.» Das sei sehr unangenehm gewesen. In Schule und Kindergarten hingegen seien die anderen Kinder zwar neugierig gewesen, hätten Chiaras Feuermal aber rasch akzeptiert und sie ganz normal behandelt.

Ihre Tochter sei nur zweimal von anderen Kindern gehänselt worden. Chiara habe einen sehr positiven Umgang mit ihrem Feuermal und akzeptiere es als Teil von sich. Sie erkläre geduldig, dass «das zu mir gehört». Einmal sei ihr im Kinderspital gezeigt worden, wie man das Feuermal überschminken könne: «Sie hat sich aber nicht wohl gefühlt und wollte sich rasch wieder abschminken.»

Während Erwachsene häufig sehr auffällig auf Chiara starren würden, seien die Reaktionen anderer Kinder natürlicher. Linda Weideli erinnert sich an ein positives Erlebnis. Beim Einkaufen, als Chiara drei Jahre alt war, habe ein zehnjähriges Mädchen gefragt, was sie im Gesicht habe. Nach der Erklärung habe das Mädchen festgestellt: «Das sieht sehr schön aus an ihr. Ein bisschen wie Erdbeer-Vanille-Glace.»

Lukas Inauen, 18 Jahre

Lukas Inauen erlitt im Alter von fünf Jahren eine Brandverletzung. Beim Geburtstagfest eines Bekannten im Wald verbrannten grosse Teile seiner Haut im Gesicht und am Oberkörper, als ein Anwesender Brennsprit in ein Feuer leerte, worauf Lukas von einer Stichflamme versengt wurde.

Er könne sich nur noch an einzelne Bilder des Unfalls erinnern: «Ich sehe immer noch vor mir, wie der Vater des Geburtstagskindes mich ins Wasser eines nahen Bächleins drückte. Dabei haben sich Hautfetzen abgelöst, die vor meinen Augen wegschwammen.»

Nach dem Unfall war Lukas knapp sechs Wochen im Spital. Neben Hautverpflanzungen musste auch ein kollabierter Lungenflügel behandelt werden. Im Laufe seines Lebens hatte er immer wieder Operationen zur Wiederherstellung der beschädigten Haut.

Besonders schwierig sei die erste Zeit nach dem Unfall gewesen, als er an Gesicht und Oberkörper einen Verband tragen musste: «Dadurch war ich anders und bekam das auch zu spüren. Kinder können in dieser Beziehung brutal sein.» Wenn er angestarrt oder mit dem Finger auf ihn gezeigt wurde, habe er das als verletzend und beleidigend erlebt.

«Als Fünfjähriger ist das schwierig zu verarbeiten», sagt Lukas. Er sei dadurch scheu und introvertiert geworden: «Ich fühlte mich klein.» Aufgehoben fühlte er sich von seinem Freundeskreis und seiner Familie. Sein bester Freund etwa habe alles mit ihm durchgestanden. Mit vielen seiner Freunde von vor dem Unfall sei er bis heute in Kontakt. Seither seien aber auch neue Freunde hinzugekommen – aus der Schule, aus dem Karatekurs und aus der Lehre.

Der Sport habe ihm geholfen, sein Selbstbewusstsein zurückzuerlangen. Er sei als kleiner Junge nach einem schlimmen Unfall mit dem weissen Gürtel zum ersten Mal ins Karate. Heute unterrichte er Kinder darin: «In meiner Kampfsportschule waren meine Verbrennungen nie ein Thema.»

Lukas hat gelernt, seinen Körper zu akzeptieren. Auch in der Pubertät habe er keine Probleme damit gehabt: «Ich stehe vor dem Spiegel und denke: Das bin ich und das ist gut so.»

Michèle Zingg, 21 Jahre

Michèle Zingg wurde mit einem kongenitalen Riesenzellnävus an Nacken und Rücken geboren. Diese muttermalähnliche Hautauffälligkeit wurde bereits 9 Monate nach der Geburt ein erstes Mal operativ behandelt. «In meinem Leben hatte ich bestimmt schon um die 20 Operationen», sagt Michèle, die heute eine Ausbildung zur Primarlehrerin macht.

Die vielen Spitalaufenthalte als Kind seien schwierig gewesen. Bei Kindern sei die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe sehr wichtig: «Wenn man beispielsweise im Kindergarten immer wieder für mehrere Wochen fehlt, ist man schnell weg vom Fenster.»

Auch für ihre Eltern sei ihre Kindheit nicht immer einfach gewesen: «Als ich auf die Welt kam, war da zuerst einmal ein riesiges Fragezeichen.» Bis die Ärzte herausgefunden hatten, woran sie genau leide, hätten sich ihre Eltern einer grossen Unsicherheit ausgesetzt gesehen. «Sie mussten über Operationen entscheiden für ein Kind, das noch ohne Stimme war.» Auch die Begleitung während der vielen Operationen sei nicht immer einfach gewesen: «Zum Glück konnte meine Mutter von zu Hause aus arbeiten.»

Persönlich sei sie zwar nie alleine aufgrund ihres Muttermals von anderen Kindern gemieden worden. «Aber es bietet halt eine Angriffsfläche für Beleidigungen.» Einmal sei sie von einem Jungen als «Mikado» bezeichnet worden: «Das hat mich verletzt.» Von ihrem Freundeskreis und in der Familie habe sie sich aber immer unterstützt gefühlt.

«In der Pubertät, wenn das Verhältnis zum eigenen Körper eh nicht ganz einfach ist, war es schwierig für mich», sagt Michèle. Heute komme sie zwar gut mit ihrer Auffälligkeit zurecht. Doch sie bringe immer noch Einschränkungen mit sich: Die Haut sei sehr empfindlich. «Ich kann nicht jedes Oberteil anziehen und muss mich gut vor der Sonne schützen.» Da sich ihre Narben hauptsächlich am Rücken befänden, stächen sie nicht jedem ins Auge. Im Schwimmbad aber könne sie keine zwei Meter zurücklegen, ohne angesprochen zu werden.

Michèle wünscht sich mehr Akzeptanz und Toleranz «für etwas, das nicht der Norm entspricht.» Die heutige Gesellschaft sei stark normiert und auf Schönheit und Perfektion ausgerichtet. Menschen, die diesem Ideal nicht entsprächen, würden darunter leiden: «Das ist einfach nicht richtig.»

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