Chinesische Armee erschiesst Tibeter

Aktualisiert

Chinesische Armee erschiesst Tibeter

Die Proteste gegen die chinesische Besetzung Tibets sind in offenen Aufruhr und Gewalt umgeschlagen. Einwohner der Hauptstadt Lhasa und offizielle chinesische Quellen berichteten von Strassenschlachten und Brandstiftungen. Mindestens zwei Menschen wurden erschossen.

Nicht offizielle Quellen berichteten zudem, die chinesische Führung habe am Freitag gegen die seit Tagen anhaltenden Proteste mit Gewalt durchgegriffen. Gemäss Informationen des US-Senders Radio Free Asia (RFA) starben mindestens zwei Menschen durch Schüsse der Sicherheitskräfte.

«Die Polizei hat in die Menge geschossen», berichteten Augenzeugen am Freitag dem Sender. Die Sprecherin der städtischen Notfallzentrale Lhasas bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass es Tote gegeben habe.

«Wir haben sehr viel mit den Verletzten zu tun, es gibt viele Verletzte. Einige sind ganz sicher gestorben, aber ich weiss nicht wie viele», sagte sie. Die chinesische Staatsagentur Xinhua sprach dagegen nur von Verletzten.

Es sei eine Ausgangssperre verhängt worden, berichtete wiederum RFA. Ein grosses Aufgebot von Sicherheitskräften sei angerückt. Am Potala-Palast, der einstigen Winterresidenz des Dalai Lama, seien Panzer aufgefahren.

Wut richtet sich gegen Chinesen

Die Wut der Tibeter richte sich gegen die chinesischen Besatzer, meldete unter anderem die Agentur Reuters. Tibeter hätten chinesische Läden angegriffen, zerstört und in Brand gesetzt.

Auf dem Platz vor dem Jokhang-Tempel in der Altstadt seien Polizisten und Feuerwehrleute attackiert worden, ihre Fahrzeuge umgestürzt und angesteckt worden, meldete die deutsche Presse- Agentur dpa. Nach tibetischen Angaben sind 95 Prozent der Geschäfte Lhasas inzwischen in chinesischem Besitz.

Auch aus der Stadt Sangchu gab es Berichte von Protesten. Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie im nordindischen Dharamsala teilte mit, dort hätten sich tausende Menschen den Protesten buddhistischer Mönche angeschlossen.

Medienzensur

Die Lage war aber unübersichtlich, weil die chinesische Zensur alle Fernsehberichte über die Unruhen blockierte, die der US- Nachrichtensender CNN und die britische BBC über Satellit nach China ausstrahlten.

Die chinesischen Medien schwiegen zu den Vorgängen in Tibet. Xinhua bestätigte lediglich, dass die Polizei Warnschüsse und Tränengas einsetzte. Nach ihren Angaben wurden bei den Strassenschlachten zahlreiche Polizisten schwer verwundet.

Seit Anfang der Woche gab es Proteste gegen die Herrschaft Chinas in Tibet. Anlass ist der 49. Jahrestag eines Aufstandes der Tibeter gegen die chinesischen Besatzer in Lhasa.

Dalai Lama ruft zu Gewaltverzicht auf

Der Dalai Lama, die UNO und die EU appellierten an den diesjährigen Olympia-Gastgeber China, auf Gewalt zu verzichten. Das religiöse Oberhaupt der Tibeter zeigte sich «tief beunruhigt».

Die zunächst friedlichen Proteste seien «Ausdruck des tief verwurzelten Ärgers des tibetischen Volkes» unter der chinesischen Regierung. Seine Landsleute bitte er dringend darum, den Ausweg nicht in der Gewalt zu suchen.

UNO-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour forderte die chinesische Führung auf, «jeden überzogenen Einsatz von Gewalt» zu unterlassen. China müsse den Tibetern ihr Recht auf freie Meinungsäusserung und auf Demonstrationen gewähren, hiess es in einer Erklärung Arbours.

US-Präsident George W. Bush forderte China auf, die Kultur der Tibeter zu respektieren. Bush setze sich für einen Dialog zwischen der chinesischen Führung und dem Dalai Lama ein, sagte ein Regierungssprecher. (dapd)

Unterdrücktes Hochland

Kaum hatte die Kommunistische Partei 1949 in China die Macht übernommen, begann sie den aus der Kaiserzeit übernommenen chinesischen Anspruch auf Tibet geltend zu machen. Tibet hatte früher zeitweise unter chinesischem Einfluss gestanden, war aber seit 1913 ein vollkommen unabhängiger Staat.

In den folgenden Jahren stiess die Volksbefreiungsarmee zunächst in die peripheren Provinzen Tibets vor und rückte dann im September 1951 in der Hauptstadt Lhasa ein. Die Truppenstärke wurde danach stetig ausgebaut.

1951 unterzeichnete eine tibetische Delegation in Peking das so genannte «17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets», das zur Grundlage der formellen Annexion Tibets durch die Volksrepublik wurde. Die Chinesen schufen ein so genanntes «Autonomes Gebiet Tibet», das rund die Hälfte des tibetischen Kulturraums einnimmt.

Im Februar 1956 brach in Osttibet ein Aufstand aus, auf den die chinesischen Truppen mit brutalen Reppressalien antworteten: Tibetische Adlige, Mönche und Rebellen wurden gefoltert und hingerichtet. Die Spannungen nahmen darauf auch in Zentraltibet zu, bis sie sich im März 1959 in einem Volksaufstand entluden. Am 17. März floh der Dalai Lama — als Soldat verkleidet — aus Lhasa und begab sich über den Himalaya nach Indien ins Exil. Kurz darauf brachen die offenen Kämpfe aus. Die Volksbefreiungsarmee schlug den Widerstand brutal nieder, wobei gegen 90 000 Tibeter den Tod fanden. Klöster wurden — zum Teil endgültig — zerstört, Klosterschätze geraubt und wertvolle Schriften verbrannt. Später zerstörten die Roten Garden während der Kulturrevolution (1966-1976) Tausende von Klöstern.

Seither hat Peking seine Kontrolle durch eine massive Einwanderung von Han-Chinesen verstärkt, was die Tibeter heute immer mehr zu einer Minderheit im eigenen Land werden lässt.

Der Dalai Lama, der als Präsident der tibetischen Exilregierung seit 1959 im indischen Dharamsala weilt, erhielt 1989 den Friedensnobelpreis. Die tibetische Exilregierung wird von der internationalen Staatengemeinschaft jedoch nicht anerkannt.

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