Hakenkreuz und «Heil Hitler» an SynagogeMehr offener Anti-Semitismus wegen Corona-Pandemie
Die Synagoge in Biel wurde mit Hakenkreuzen und «Heil Hitler»-Parolen geschändet. Einschlägige Vereine und Stiftungen sorgen sich um zunehmenden Antisemitismus in der Corona-Pandemie.
Darum gehts
In die Tür der Bieler Synagoge wurden antisemitische Symbole und Parolen eingeritzt.
Es ist hierzulande bereits der vierte antisemitische Akt in diesem Jahr – und der dritte auf eine Synagoge.
Laut dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) befeuert die Corona-Krise den Antisemitismus.
Jüdinnen und Juden in der Schweiz sind fassungslos: Unbekannte haben an der Tür der Synagoge in Biel ein Hakenkreuz sowie die Parolen «Sieg Heil» und «Juden Pack» eingeritzt. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) zeigt sich schockiert: Man müsse weit zurückdenken, um hierzulande einen solch gravierenden Vorfall zu finden, bei dem ein jüdisches Gotteshaus mit explizit antisemitischen Sprüchen und Aussagen geschändet worden sei.
Gerade zu Beginn dieses Jahres kam es allerdings schon zu mehreren antisemitischen Vorfällen. Am 30. Januar wurden vor der Synagoge in Lausanne ein ausgestopftes Schwein und eine Packung Speck deponiert. Am 3. Februar wollte eine Frau zunächst die Türen der Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde von Genf mit Schweinetranchen verschmieren, bevor sie diese in Richtung des Gebäudes warf. Und am 17. Januar kaperten Vermummte eine Online-Kulturveranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich und störten diese mit Hakenkreuzen und Hitlerbildern.
«Häufung schwerer Vorfälle ist beunruhigend»
«Diese Häufung schwerer Vorfälle ist tatsächlich aussergewöhnlich und beunruhigend», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Aktuell gebe es keine Hinweise auf einen Zusammenhang der Fälle, daher könne man auch nur mutmassen. Man beobachte aber, dass sich besonders im Netz «mit vor allem auch antisemitischen Verschwörungstheorien etwas zusammenbraut».
Dabei leiste die aktuelle Situation ihren Beitrag. «Wir müssen festhalten, dass die Corona-Pandemie sehr wohl antisemitische Haltungen fördert», sagt Kreutner. Bezeichnend seien die Verschwörungstheorien zu Corona, die immer wieder antisemitische Elemente enthalten würden. «Es ist vorstellbar, dass sich der Corona-Frust bei manchen durch antisemitische Handlungen entlädt.»
Dina Wyler, Geschäftsführerin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA), pflichtet Kreutner bei. Weltweit lasse sich beobachten, «dass uralte antisemitische Narrative durch die Pandemie neuen Auftrieb erhalten». Beispielsweise, dass die Juden für die Pandemie verantwortlich seien oder von dieser gezielt profitieren würden. «Solche Verschwörungstheorien werden vor allem in Messengerdiensten wie Telegram verbreitet», sagt Wyler. Auch in der Schweiz seien derartige Tendenzen zu beobachten.
Ein Schuldiger gegen die Ungewissheit
Dass die Juden als Sündenböcke für eine Krise herhalten müssen, ist nichts Neues. Bereits während der Pest hiess es, die Juden hätten die Brunnen vergiftet. «In einer komplexen Welt wie heute suchen die Leute nach einfach nachvollziehbaren Erklärungen für Tragödien von globalem Ausmass – und damit auch nach einem Schuldigen, um mit der Ungewissheit umzugehen», erklärt Wyler, die Internationale Beziehungen und Religion studierte. Leider würden dabei oftmals Minderheiten wie die Juden stigmatisiert.
Die Vergangenheit habe gezeigt, dass auf Worte Taten folgen können, mahnt Wyler. Deshalb sei die Gesellschaft als Ganzes gefordert. «Wenn antisemitische Verschwörungstheorien im eigenen Umfeld wiedergegeben werden, sollte man vehement widersprechen». Da den Leuten oftmals das Wissen oder der Mut dazu fehlt, hat die GRA im letzten Herbst die Website Stopantisemitismus.ch lanciert. Sie soll helfen, antisemitische Aussagen im Alltag zu erkennen und richtig auf diese zu reagieren.
SIG-Generalsekretär Kreutner fordert indes schweizweit weitergehende Lösungen, um die jüdischen Gemeinden besser zu schützen. «Hier braucht es einfach noch mehr Unterstützung, finanziell und mehr Polizeischutz.» Der Vorfall in Biel müsse als Weckruf verstanden werden. Es gebe Kantone, die sich mittlerweile engagiert an den baulichen Sicherheitsvorkehrungen beteiligen würden. Der Kanton Bern, kritisiert Kreutner, sei hier «leider noch zurückhaltend».
Schweizer Juden fühlen sich zunehmend bedroht
In einer letzten Juli veröffentlichten Studie untersuchte die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), wie Jüdinnen und Juden hierzulande Antisemitismus erfahren und wahrnehmen. Rund die Hälfte der Befragten gab an, in den letzten fünf Jahren real oder online antisemitisch belästigt worden zu sein. Fast drei Viertel gehen davon aus, dass Antisemitismus ein zunehmendes Problem darstellt. Die grösste Gefahr gehe von Antisemitismus im Internet aus, so die Meinung der Befragten. Von Körperverletzungen oder Tätlichkeiten wurde hingegen selten berichtet. Was die ZHAW-Studie auch zeigt: Die Situation jüdischer Menschen in der Schweiz ist im europäischen Vergleich weniger dramatisch.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Antisemitismus betroffen?
Hier findest du Hilfe:
GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143