ETH-Professorin Tanja StadlerCovid-Taskforce ist Geschichte – Chefin will im Laden weiter Maske tragen
Tanja Stadler sagt, wie sie die Zeit als Taskforce-Präsidentin erlebt hat und wie sie mit der Kritik umging.
Darum gehts
Es war eine strenge Zeit. Jetzt freut sie sich auf die Rückkehr ins normale Leben, auf mehr Freizeit, Ausflüge mit den Kindern in den Basler Zoo, Wanderungen, Velofahrten mit der Familie. Tanja Stadler, 40, Biostatistik-Professorin, ist nach zwei Jahren Corona und einem Jahr Taskforce-Präsidentin heute ein Promi. Ihr Leben hat sich radikal verändert. Im Gespräch mit 20 Minuten verrät sie erstmals auch, wie es ihr persönlich erging, wie sie die Kritik wegsteckte und was sie jetzt von der Politik erwartet.
Das Gespräch findet per Zoom statt, die Zugangsbestimmungen bei der ETH Zürich in Basel seien kompliziert, sagt sie. Beim Online-Meeting gibt sich Tanja Stadler locker und gesprächig, die Haare trägt sie offen und wirkt damit weniger streng als die Wissenschaftlerin, die man aus der «Tagesschau» kennt.
Die Pandemie ging für sie früher los
Die Taskforce, die der Bundesrat 2020 ins Leben gerufen hatte und die ab Sommer 2021 von Tanja Stadler präsidiert wurde, wird per Ende März – also heute Donnerstag – aufgelöst. Nach 39 Medienauftritten und 96 Policy Briefs ist Schluss. Für Stadler fängt ein neuer Lebensabschnitt an. Sie freut sich auf mehr Familie und etwas weniger Arbeit. Doch es sei auch eine spannende Zeit gewesen, sagt die Wissenschaftlerin, die als 27-Jährige von Baden-Württemberg nach Zürich gekommen war für eine Postdoc-Anstellung an der ETH. Dort fing die Mathematikerin an, sich für Infektionskrankheiten zu interessieren. Zwölf Jahre später kam der grosse Stresstest.
Für sie und ihre Berufskolleginnen und -kollegen ging die Pandemie jedoch nicht erst im Frühling 2020 los, sondern im Januar. «Während der ersten Welle war ich schon an einem Punkt, wo mir bewusst wurde, dass ich Auszeiten nehmen muss, um die Pandemie gut durchzustehen.» Dabei sei sie in zwei Welten gewesen: Als Wissenschaftlerin war sie in ihrem Element. Nach Feierabend kamen auch bange Gedanken: «Hoffentlich kommt das gut.» Unwohl war es ihr etwa an Weihnachten 2020, als die Alpha-Variante in Sicht war und die Schweiz noch mitten in der zweiten Welle steckte. Das waren weniger besinnliche Festtage für die zweifache Mutter.
Ein Flair für Zahlen
Tanja Stadler ist in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, in einer Mathematiker-Familie, zusammen mit ihrem Bruder. Ob auch ihre Kinder diese Tradition fortsetzen, werde man sehen, sagt sie und lächelt. Es sei nicht so wichtig. Aber die Tochter könne jedenfalls bereits auf Spanisch bis zehn zählen. Das Flair für Zahlen sei also vorhanden.
Auf die Frage, ob sie die Einschränkungen während der Pandemie als schwierig erlebt habe, sagt sie: «Eigentlich nicht. Natürlich mussten wir unsere Kontakte reduzieren. Dafür waren wir viel draussen, in den Bergen, beim Radfahren, Picknicken. Es ist halt so, wie es ist. Es bringt nichts, sich über Dinge zu beklagen, die man nicht ändern kann.» So pragmatisch ging sie auch mit der Kritik um, die auf sie niederprasselte. Etwa, als sie im Januar vorrechnete, es könnte bis zu 2,5 Millionen Ansteckungen in einer Woche geben. «Viele haben nicht verstanden, dass damit die Obergrenze gemeint war. Wir lagen im berechneten Bereich.»
Kritik an der Sache habe sie gut wegstecken können, sagt sie. Wenn sie als Person angegriffen wurde, habe sie es der Rechtsabteilung weitergegeben. Jedenfalls scheint sie nicht darunter gelitten zu haben. Es sei faszinierend und erfüllend, an der Schnittstelle von Politik und Wissenschaft zu agieren, sie wird es weiterhin machen. Ein politisches Engagement hingegen sei «nicht geplant». Immerhin könne sie mittlerweile wählen und abstimmen – mitten in der ersten Welle wurde Tanja Stadler Schweizer Bürgerin. «Ich bin froh, dass ich mich jetzt bei den demokratischen Prozessen einbringen kann.»
«Masken sind wirkungsvoll»
Und wie schaut sie auf das Ende der Massnahmen und den Herbst? Tanja Stadler hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie vorsichtiger agieren würde als der Bundesrat. Und auch jetzt wieder. Sie will zwar die Entscheide nicht kritisieren, das sei Sache der Politik. Doch sie sagt auch: «Wir müssen uns gut vorbereiten, um angemessen zu reagieren, wenn eine weitere Welle kommt.» Und: «Wir wissen jetzt, dass Luftqualität in Innenräumen und Masken wirkungsvolle Instrumente sind.» Sie werde deshalb vorerst weiterhin eine Maske tragen, wenn sie in den Zug steige oder einen Laden betrete.