Umstrittenes Gesetz - «Dänemark hat Flüchtlingen faktisch das Recht auf Asyl abgesprochen»

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Umstrittenes Gesetz«Dänemark hat Flüchtlingen faktisch das Recht auf Asyl abgesprochen»

Dänemark hat ein umstrittenes Gesetz verabschiedet: Asylsuchende sollen in Drittländern ausserhalb Europas unterkommen. Die Aufregung ist mancherorts gross – zu Recht?

Das Gesetz sieht vor, dass Asylbewerber nach ihrer persönlichen Registrierung an der dänischen Grenze in ein Aufnahmezentrum ausserhalb der Europäischen Union gebracht werden. Asyl in Dänemark selbst gibt es nur ausnahmsweise.
Migrationsexperte Martin Lemberg-Pedersen: «Das Gesetz ist zwar jetzt da, doch die wichtigsten und problematischsten Punkte darin sind ungeklärt.»
Etwa der doch wichtige Umstand, dass die in Frage kommenden Drittstaaten eine Beteiligung am dänischen «Asyl-Exportprojekt» ablehnen – ebenso wie die UN oder die EU (im Bild: Asylzentrum in Jutland).
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Das Gesetz sieht vor, dass Asylbewerber nach ihrer persönlichen Registrierung an der dänischen Grenze in ein Aufnahmezentrum ausserhalb der Europäischen Union gebracht werden. Asyl in Dänemark selbst gibt es nur ausnahmsweise.

REUTERS

Darum gehts

  • Dänemarks Parlament hat ein Gesetz zur Unterbringung von Asylsuchenden in Drittländern verabschiedet.

  • Die Aufnahme von Flüchtlingen in Dänemark selbst ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen.

  • Der dänische Migrationsexperte Martin Lemberg-Pedersen erklärt, wieso die Vorlage umstritten und in vielen Punkten paradox ist, und wieso andere europäische Länder daran eigentlich keine Freude haben sollten.

Dänemark verschärft seine restriktive Flüchtlingspolitik noch um einen Dreh. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz ermöglicht Asylzentren in anderen Ländern. Damit können die dänischen Behörden Asylbewerber in Drittländer fliegen, wo diese darauf warten müssen, dass ihr Antrag in Dänemark behandelt wird.

Die Aufnahme von Flüchtlingen in Dänemark selbst ist nur noch in Ausnahmefällen vorgesehen. Geplant ist, dass, wer Asyl bewilligt bekommt, in dem Drittland bleiben muss. Welches Land dafür in Frage kommen könnte, ist allerdings noch offen.

Werden die Dänen zum asylpolitischen Vorbild für andere europäische Länder? Wir haben Migrationsexperte Martin Lemberg-Pedersen von der Universität in Kopenhagen gefragt.

Wie beurteilen Sie das eben erlassene Gesetz?

Als die grösste Rekalibrierung der dänischen Asyl- und Flüchtlingspolitik seit den 50er Jahren. Bereits die beiden Vorgängerregierungen haben die Asyl- und Migrationspolitik schrittweise verschärft, aber nie so radikal.

Was ist daran so radikal?

Das Gesetz erlaubt es Dänemark, sein Asylsystem ausserhalb Europas zu exportieren. Und es hält fest: Selbst wenn Asylanträge künftig angenommen werden, sollen die Antragssteller nicht in Dänemark selbst leben dürfen, sondern sind auf den Schutz eines kooperierenden Gastlandes angewiesen. Das Recht auf «spontanes Asyl»– die Möglichkeit, im Land selbst oder an der Grenze einen Asylantrag zu stellen – ist damit faktisch abgeschafft, obgleich das ein Grundpfeiler der Genfer Flüchtlingskonvention ist, die auch Dänemark unterschrieben hat.

Wie legitimiert die Regierung diese Neuausrichtung? Es ist ja nicht mehr 2015, als über 20’000 Flüchtlinge und Migranten Asyl beantragten.

Das stimmt. Aber in dieser Zeit wurde die harte Gangart in der Asyl- und Migrationspolitik salonfähig, auch bei den Sozialdemokraten, die man damals für die Zustände verantwortlich machte. Sie haben seither politisch viel dazugelernt, überholen mit ihren Vorschlägen selbst die Rechtskonservativen, denen sie so Wähler abspenstig machen. Heute ist die Zahl der Asylanträge auf einem historischen Tief, und dennoch ist das umstrittene Gesetz angenommen worden. Das dürfte mit der prinzipiell nationalistischeren Ausrichtung der aktuellen Regierung zu tun haben. In ihren Augen ist es unmöglich und unerwünscht, Flüchtlinge in Dänemark zu integrieren. Entsprechend will man auch die Integration in ein anderes Land exportieren.

Welche Länder sollen denn für Dänemark in die Bresche springen? Im Gespräch sollen etwa Libyen oder Ägypten sein – wo katastrophale Zustände gerade für Flüchtlinge herrschen.

Die sozialdemokratische Regierung nannte im Gesetzesvorschlag verschiedene Länder als potenzielle Partner. Doch es hat sich herausgestellt, dass sie keines dieser Länder angefragt hatte. Später lehnten all die sogenannten Partnerländer eine Beteiligung am dänischen «Asyl-Exportprojekt» ab – ebenso wie die UN oder die EU, die gemäss den Sozialdemokraten eigentlich ebenfalls an Bord sein sollten. So wurde das Gesetz eigentlich unter falschen Prämissen angenommen. Aber bei einem Teil der Wähler, etwa jenen der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, haben die Sozialdemokraten jetzt politisch punkten können, weil sie weiter gingen als alle anderen zuvor.

Mit einem Gesetz, das auf unrealistischen Annahmen gründet?

Ja, es ist paradox. Das Gesetz ist zwar jetzt da, doch die wichtigsten und problematischsten Punkte darin sind ungeklärt. Normalerweise bereinigt man diese und legt dann ein Gesetz vor. Jetzt liest sich das Ganze wie eine Serie hypothetischer Garantien, von denen niemand weiss, wie diese eingehalten werden sollen, da es ja gar kein Partnerland für den Deal gibt. Kurz: Der Vorlage fehlt jede Substanz.

Was passiert denn jetzt als Nächstes?

Nichts, wie ich annehme. Natürlich wird die Regierung versuchen, die Vorlage in der jetzigen Form durchzusetzen. Aber eben, es fehlen Partnerländer, internationale Unterstützung und der Wille zur Zusammenarbeit . Ich sehe also nicht, wie das Gesetz jemals angewendet werden soll. Es kann Jahre dauern, bis man Partner gefunden oder einen Deal erzielt hat – wenn überhaupt je.

Ist das dänische Gesetz denn kompatibel mit internationalem Recht?

Zu diesem Zeitpunkt ist das schwer zu beurteilen, eben weil das Gesetz so zahnlos daherkommt. Aber es ist nur schwer vorstellbar, dass es nicht internationales Recht bricht. Immerhin wird Flüchtlingen faktisch das Recht auf Asyl abgesprochen. Die Weltgemeinschaft lehnt die Vorlage jedenfalls durchs Band ab: Es sei unvereinbar mit den Prinzipien der internationalen Flüchtlingszusammenarbeit und unterwandere die internationale Solidarität. Heftige Kritik gab es auch von der UNO und der Flüchtlingshilfsorganisation der Vereinten Nationen UNHCR, die Dänemark mehr oder weniger Menschenhandel vorwerfen. Die EU-Kommission machte gegenüber Dänemark zudem sehr deutlich, dass es nicht möglich sei, seine Asylverantwortung einfach einem anderen Land abzutreten.

Als Migrationsexperte: Was ist Ihr grösster Kritikpunkt an dem neuen Gesetz?

Wenn die Regierung mit dem Gesetz quasi das Motto «Null Asylbewerber für Dänemark» ausgibt, schrammt das an der Realität vorbei. Statt Asyl zu beantragen, kommen die Menschen illegal ins Land, ignorieren das Asylsystem vollkommen und arbeiten illegal. Mit dieser Vorlage gibt die Regierung paradoxerweise die Kontrolle aus der Hand, wer wo ist. Zudem erhöht sich das Risiko, dass Flüchtlinge und Migranten in Nachbarländern wie Deutschland oder Schweden untertauchen.

Das kann kaum im Interesse europäischer Länder sein.

Tja. Auf diesen Punkt angesprochen, sagte ein dänischer sozialdemokratischer Parlamentarier sinngemäss: Das mag passieren, aber es gibt ja viele Länder zwischen uns und den Flüchtlingen. Man hofft also eindeutig darauf, dass die Menschen möglichst woanders unterkommen.

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