Pathologen-FazitDaran sterben Corona-Patienten wirklich
Woran sterben Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben? Diese Frage wird seit Monaten heiss diskutiert. Deutsche Pathologenverbände liefern die Antwort, die nicht jedem gefallen wird.
Darum gehts
- Menschen sterben nicht «mit» dem Coronavirus und nur aufgrund bestehender Vorerkrankungen.
- Das ist das Ergebnis einer Umfrage deutscher Pathologen.
- Demnach konnte bei 86 Prozent Covid-19 als alleinige Ursache ausgemacht werden.
- Zudem befällt das Virus nicht nur die Lunge, sondern kann auch zu Multiorganschäden führen.
- Die Verstorbenen waren im Schnitt 70 Jahre alt, womit ihre Lebenserwartung um 10 Jahre unterschritten wurde.
«Mit» oder «an» – diese beiden kurzen Wörter spalten die Massen. So argumentieren Kritiker der Corona-Massnahmen immer wieder, die Verstorbenen wären bloss mit dem Coronavirus verstorben. Von Sars-CoV-2 als Auslöser des Todes wollen sie partout nichts wissen und sehen die Ursache eher im Alter oder in einer Vorerkrankung.
Doch das ist falsch, wie bei der Pressekonferenz des Bundesverbands Deutscher Pathologen deutlich wurde: Bei der grossen Mehrheit (bei mehr als drei Viertel der insgesamt 154 Obduktionen) der Covid-19-Patienten ist die durch das Coronavirus ausgelöste Krankheit die Todesursache.
Konkret: Bei 86 Prozent konnte Covid-19 als alleinige oder wesentliche Todesursache ausgemacht werden. Das geht aus einer Umfrage des Bundesverbands Deutscher Pathologen, der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie hervor, für die die Pathologie-Erkenntnisse von 68 Instituten erfragt wurden.
«Sars-CoV-2 mitnichten ein normales Grippevirus»
«Durch die klinische Obduktion wurde – wie in einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen deutlich wird – nachgewiesen, dass Sars-CoV-2 nicht nur Schädigungen der Lungen verursacht, sondern auch andere Organsysteme betrifft», hält der Bundesverband Deutscher Pathologen in einem Statement fest. Das zeige, dass das Virus «mitnichten mit einem normalen Grippevirus gleichgesetzt werden kann».
Laut Till Acker vom Institut für Neuropathologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen gibt es Hinweise «auf Infektionen des Herzens und der Niere, aber auch auf eine Beteiligung des Nervensystems». Wenn das Virus die sogenannten Endothelien befällt, die wie eine Tapete sämtliche Blutgefässe auskleiden und sich damit überall im Körper befinden, kann es zu einer Multiorganinfektion kommen (siehe Box).
Dazu passt, dass es häufig «zu Blutgerinnungsstörungen und Schädigungen der Blutgefässe» kommt. Und, zählt Acker weiter auf: Bei etwa einem Drittel der Verstorbenen konnte das Virus auch im Gehirn nachgewiesen werden.
«Eines der am härtesten arbeitenden Organe im Körper»
Von der grossen Bedeutung der Endothelien bei Covid-19 berichteten im April 2020 erstmals Mediziner um Frank Ruschitzka vom Unispital Zürich (USZ), im Fachjournal «The Lancet». Das Team hatte nachgewiesen, dass das Virus nicht nur die ACE2-Zellrezeptoren in der Lunge nutzt, um sich in den Körper einzuschleusen, sondern auch die, die auf den Endothelien sitzen.
«Die Innenschicht der Gefässe ist eines der am härtesten arbeitenden Organe im Körper», sagte Ruschitzka damals zu 20 Minuten. «Es produziert Hormone und weitere Faktoren, die dafür sorgen, dass die Gefässe offen bleiben und das Blut fliessen kann.» So verhindert es etwa die Entstehung von Thrombosen. «Es ist praktisch unser Innenverteidiger und spielt bei der körpereigenen Abwehr eine entscheidende Rolle.» Doch genau diese wichtige Funktion setzt Sars-CoV-2 nach dem Eindringen in den Körper ausser Kraft, wie das USZ-Team herausgefunden hat: «Das Virus sorgt dafür, dass die Blutplättchen verklumpen, das Blut dicker wird und die Gefässe enger werden – es trifft uns dort, wo es uns am meisten wehtut, und zwar auf allen Ebenen.» Die Folge seien eine Durchblutungsstörung und vermehrte Thrombosenbildung in allen Organen.

Frank Ruschitzka ist Leiter des Universitären Herzzentrums am Universitätsspital Zürich.
USZDoppelt so viele Männer wie Frauen
Auch hinsichtlich der Risikofaktoren spielen die Endothelien eine grosse Rolle, wie Gustavo Baretton, Pathologe an der Technischen Universität Dresden, festhält: So würden Rauchen, Blutdruck, Fettleibigkeit (Adipositas), Diabetes mellitus sowie männliches Geschlecht mit einer Schädigung der Endothelien assoziiert. Tatsächlich befanden sich unter den 154 obduzierten Covid-19-Opfer doppelt so viele Männer (105) wie Frauen (49).
Die Verstorbenen waren im Schnitt 70 Jahre alt. Das mag ein gutes Alter sein, aber die Pathologen weisen darauf hin, dass dieser Todeszeitpunkt rund 10 Jahre unter dem Durchschnitt der Sterbefälle insgesamt in Deutschland liegt. Entsprechend hatte die Mehrzahl der Betroffenen eine höhere Lebenserwartung. Dies ist laut den Experten ein weiteres Zeichen dafür, dass sie nicht nur «mit», sondern tatsächlich «an» Corona gestorben seien.
Gleiches Bild in der Schweiz
Die Befunde der deutschen Pathologen decken sich mit Erkenntnissen aus der Schweiz: Die meisten Obduktionen von Covid-19-Opfern waren im April 2020 am Universitätsspital Basel vorgenommen worden. Dabei konnte das Team um Alexandar Tzankov zeigen, dass die Verstorbenen (2 Frauen und 10 Männer zwischen 56 und 96 Jahren) alle an arterieller Hypertonie gelitten hatten; 82 Prozent hatten dagegen Blutdrucksenker aus der Gruppe der Sartane oder ACE-Hemmer eingenommen. 82 Prozent waren sehr stark übergewichtig. 40 Prozent der Verstorbenen hatten geraucht. 35 Prozent waren an Diabetes erkrankt, 15 Prozent an Krebs. Zudem war die Blutgruppe A deutlich übervertreten. Vieles passt zu den Befunden epidemiologischer Studien.
«Bis auf eine Ausnahme sind alle Verstorbenen voll mit Viren gewesen», erklärte der Pathologe. Nur bei einer Frau sei der Erreger bereits vollständig eliminiert gewesen, als sie starb. «Das zeigt, dass Sars-CoV-2 eine Kaskade von Reaktionen des Körpers in Gang setzt, die schliesslich zum Tod führt und nicht so sehr ein direkter Virusschaden der Lungenzellen.»
Nun mit Schlussfolgerungen seiner deutschen Kollegen konfrontiert, sagt Tzankov: «Sie unterstützten meine Aussage von April, dass die Infektion mit Sars-CoV-2 bei fast allen Covid-19 Opfern einen, meistens, entscheidenden Beitrag in der (Patho-)Physiologie des Sterbens gespielt hat.» Faktum sei, dass ohne diese Infektion die Betroffenen Monate, Wochen, Jahre, manchmal Jahrzehnte länger gelebt hätten.

Alexandar Tzankov ist Fachbereichsleiter Histopathologie und Autopsie am Universitätsspital Basel.
Dominik PlüssWissen-Push
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