«Todesengel von Auschwitz»Darum liess der Mossad Josef Mengele entwischen
Josef Mengele machte medizinische Experimente an KZ-Gefangenen oder schickte sie in die Gaskammer. Er starb als freier Mann. Auch wegen des israelischen Geheimdienstes.
Die Gerechtigkeit sollte den sadistischen KZ-Arzt Josef Mengele nie einholen. Der «Todesengel von Auschwitz» starb mit 67 Jahren als freier Mann in São Paulo.
Seinen Übernamen hatte Mengele erhalten, weil er als Arzt im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die neu ankommenden Häftlinge selektionierte: Gaskammer, Zwangsarbeit oder menschliches Versuchsobjekt für seine unaussprechlich grausamen medizinischen Experimente. 1945 floh er nach Lateinamerika – mit Hilfe unter anderem des Roten Kreuzes, das ihm falsche Papiere beschafft hatte.
In Buenos Aires lebte er erst unter falschem Namen. Später fühlte er sich so sicher, dass er die Annahme einer falschen Identität nicht mehr als nötig erachtete. «Dr. Josef Mengele» stand auf dem Türschild seiner Wohnung.
«Mengele war nicht zu Hause»
Dass Mengele nie gefasst und zur Verantwortung gezogen wurde, lag hauptsächlich daran, dass der noch junge, finanziell noch schlecht ausgestattete israelische Auslandsgeheimdienst Mossad nach dem Krieg andere Prioritäten setzte: Dazu gehörte zunächst die Jagd auf Adolf Eichmann, einen der Hauptorganisatoren des Holocaust. Er wurde 1960 in Buenos Aires gefasst, nach Jerusalem entführt, vor Gericht gestellt und hingerichtet. Dann begann das Verhältnis zwischen Israel und Ägypten sich dramatisch zu verschlechtern, so dass der damalige Mossad-Leiter den Fokus darauf setzte.
Mossad-Agenten waren in Argentinien zwar sehr wohl aktiv –
und nahe an Mengele dran: «Zur Zeit, als wir Eichmann festnahmen, lebte Mengele in Buenos Aires. Wir machten seine Wohnung ausfindig und observierten sie», erzählte der damalige Agent Rafi Eitan jetzt im israelischen Radio. «Mengele war nicht zu Hause, und die Nachbarn sagten, er werde in einer Woche zurück sein», so Eitan. «Wir warteten eine Woche, doch in der Zwischenzeit ging die Nachricht von seiner (Eichmanns, Anm. der Red.) Gefangennahme um die Welt, und Mengele kehrte nie in seine Wohnung in Buenos Aires zurück.»
«Hört auf, Geistern der Vergangenheit nachzujagen»
Mengele sollte dem Mossad noch einmal entwischen, als dieser ihn Ende 1962 auf einer Farm in der Nähe von São Paulo in Brasilien aufspürte. Agent Zvi Aharoni erzählt: «Wir waren in bester Stimmung. Ich war mir sicher, dass wir Mengele schon bald nach Israel bringen würden.» Am gleichen Tag aber erfuhr man in Israel von einem ägyptischen Raketenprogamm. Die nationale Sicherheit ging vor, oder wie der neue Mossad-Leiter damals sagte: «Hört auf, Geistern der Vergangenheit nachzujagen, und konzentriert alle eure Kräfte auf die Bedrohungen der Sicherheit unseres Staates.»
1968 erhielt der Mossad erneut die Bestätigung, dass Mengele noch immer auf der gleichen Farm lebte – beschützt und umsorgt von einer Gruppe Alt-Nazis. «Wir waren nie näher an Meltzer (so der Mossad-Codename für Mengele, Anm. der Red.) dran!», hiess es in einem Telegramm nach Israel.
Zehn Jahre Untätigkeit
Dennoch sollte der Mossad rund zehn Jahre lang nichts mehr unternehmen, um den «Todesengel von Auschwitz» zu fassen: Der israelisch-palästinensische Konflikt, der Yom-Kippur-Krieg 1973 und das Erstarken Syriens mit sowjetischer Hilfe waren die Prioritäten des Geheimdienstes.
Das änderte sich unter dem neuen Ministerpräsidenten Menachem Benin Ende der 70er-Jahre. Die Jagd auf Mengele wurde neu belebt.
Attraktive Agentin und Abhöraktionen – zu spät
Der Mossad wartete mit allen nur erdenklichen Tricks auf, um Mengele ausfindig zum machen: mit Einbrüchen in die Wohnung von Mengeles Sohn Rolf, der in Westberlin lebte, mit breitangelegten Abhör-Aktionen und selbst dem geplanten Einsatz einer attraktiven Agentin, der Rolf Mengele den Aufenthaltsort seines Vaters verraten sollte. All das scheiterte – und musste scheitern, denn Mengele war schon gestorben, in Brasilien ertrunken, nachdem ihn ein Herzinfarkt ereilt hatte.
Dass der Mossad mehrfach die Gelegenheit hatte, Mengele zu fassen, hat der israelische Journalist Ronen Bergman recherchiert und in einem demnächst erscheinenden Buch verarbeitet. Er hatte dafür Zugang zu Tausenden von Aktenseiten des Mossad.
Es wird erwartet, dass der israelische Nachrichtendienst am Freitag, 8. September, die Unterlagen über die Geheimdienstoperationen gegen den «Todesengel von Auschwitz» nach 50 Jahren freigeben wird.