Darum sorgt Corona für so viel Streit

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Lockern oder einschränken?Darum sorgt Corona für so viel Streit

Hier die Warner und Massnahmen-Befürworter – da die Gelassenen, die für Freiheit und die Wirtschaft einstehen: Die Corona-Strategie spaltet Politik und Gesellschaft.

Im Mai kam es in Bern zu Protesten gegen den Lockdown. Auch jetzt spalten die Massnahmen die Bevölkerung.
Sollen wieder bis zu 20’000 Leute ins Stadion dürfen?  Diese Diskussion wird aktuell geführt.
Eine Petition verlangt, dass eine allfällige Corona-Impfung nicht für obligatorisch erklärt wird.
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Im Mai kam es in Bern zu Protesten gegen den Lockdown. Auch jetzt spalten die Massnahmen die Bevölkerung.

Foto: Keystone

Darum gehts

  • Die Corona-Strategie spaltet die Schweiz.
  • Regierungsrätin Jacqueline Fehr vermisst eine konstruktive Debatte über Sinn und Unsinn der Massnahmen.

Sollen wieder bis zu 20’000 Leute ins Stadion dürfen? Braucht es eine Maskenpflicht in Büros? Solche Fragen werden dieser Tage angesichts der steigenden Corona-Fallzahlen am Familientisch heiss diskutiert. Wie die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr in ihrem Blog feststellt, spaltet die Frage nach der Corona-Strategie die Gesellschaft in zwei Lager: auf der einen Seite die Wissenschaft und die Covid-Taskforce des Bundes, die Medien, die Twitter-Community, die die zweite Welle im Anrollen sähen. Auf der anderen Seite die «Sorglosen», die im Ausgang die Normalität zelebrierten.

Fehr sagt: «Mir kommt es manchmal vor wie beim Thema Religion: Es gibt die Gläubigen mit ihrer Mission und ihrem Sendungsbewusstsein. Und es gibt die Gleichgültigen.» Doch wo es nur Schwarz und Weiss, nur Angst und Sorglosigkeit gebe, könne keine differenzierte, konstruktive Auseinandersetzung entstehen. Sie plädiert dafür, eine Diskussion zuzulassen, ohne kritische Stimmen gleich zu diffamieren.

Petitionen für und wider Corona-Massnahmen

Beide Lager versuchen mit zahlreichen Petitionen, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Die jüngste Petition verlangt, die Zahl der Fälle in der Schweiz unter 50 zu halten – mit schärferen Massnahmen. Die Petitionäre, zu denen eine Corona-Überlebende gehört, verlangen unter anderem die Maskenpflicht bei grösseren Menschenansammlungen im Freien.

Andere Petitionen richten sich gegen das Notrecht, den «geplanten Impfzwang» oder die Maskenpflicht an Gymnasien.

«Der Entscheid ist extrem schwierig»

Über die Strategie bestimmen Bundesrat und Parlament. SP-Fraktionschef Roger Nordmann sieht die Politik in einem Dilemma: «Sie muss entscheiden zwischen dem Schutz der Gesundheit und der Einschränkung der Freiheit.» Hier könne man mehr oder weniger Risiken eingehen. «Der Entscheid ist extrem schwierig, weil wir Dinge einfach nicht wissen. Zum Beispiel, wo sich die Leute genau anstecken, bevor sie das Virus in die Familien tragen.»

Nordmann sagt, die steigenden Fallzahlen seien besorgniserregend. Er spricht sich dafür aus, die Massnahmen wieder etwas zu verschärfen: «Wir sollten auf die Wissenschaft hören, Ich bin für Vorsicht. Lockern wir zu viel, kommt es wieder zu einem halben Lockdown. Die jetzigen Massnahmen sind unangenehm, Müssen wir aber wieder die Schulen dichtmachen, ist das viel schlimmer.»

«Die Horrorszenarien der Politik haben sich nicht bewahrheitet»

Auf der anderen Seite des Spektrums steht die libertäre Kleinpartei up! «Die Horrorszenarien der Politik und anderer Krisenprofiteure haben sich nicht bewahrheitet. Hingegen erfüllten sich zunehmend unsere Befürchtungen, dass die ‹Medizin› der politischen Massnahmen schlimmer ist als die Krankheit», sagt Christoph Stampfli, der Geschäftsführer der Partei.

Der Maskenzwang in den Läden sei «die jüngste unsägliche Episode». Die Partei fordert ein sofortiges Ende der besonderen Lage. «Natürliche Freiheitsrechte der Menschen sind uneingeschränkt zu achten und staatlicher Paternalismus zum wohl der ‹Volksgesundheit› ist zu unterlassen.»

«Corona-Strategie spaltet die Parteien»

Politikprofessor Daniel Kübler findet es wichtig, dass die Debatte über die Corona-Massnahmen in der Schweiz geführt wird.

Daniel Kübler ist Professor für Demokratieforschung an der Uni Zürich.

Daniel Kübler ist Professor für Demokratieforschung an der Uni Zürich.

Foto: zvg

Herr Kübler, zahlreiche Petitionen wollen die Corona-Politik beeinflussen. Warum?

Die Petitionen sind Ausdruck davon, dass die Massnahmen die Leute im Alltag treffen und teils ihre Grundrechte einschränken. Sie wollen jetzt Einfluss nehmen. Nun muss die Gesellschaft diskutieren, wie viele Ansteckungen sie zulassen will. Ist die Grenze erst dann erreicht, wenn alle Intensivbetten belegt sind, oder schon vorher? Diese Debatte ist bislang zu kurz gekommen. Am Ende werden sich die vernünftigen Argumente durchsetzen.

Wie können Bürger Einfluss nehmen? Müsste man über den Lockdown abstimmen können?

In einer Notlage bleibt keine Zeit für Abstimmungen. Da muss die Regierung schnell handeln. Das hat der Bundesrat ja auch getan, wie im Epidemiengesetz vorgesehen. Aber wenn die ausserordentliche Lage vorbei ist, muss die Bevölkerung auf das weitere Vorgehen Einfluss nehmen können. Das geschieht in der Schweiz über das Parlament oder eben durch Volksabstimmungen.

Kritiker sehen wegen des Notrechts in der Corona-Pandemie die Demokratie in Gefahr. Zu Recht?

Dort, wo die Volksrechte schon unter Druck sind, wurde die Pandemie ausgenutzt, um dem Volk Mitspracherechte zu entziehen, zum Beispiel in Ungarn. In der Schweiz sehe ich die Demokratie nicht in Gefahr, weil der Bundesrat sehr umsichtig mit seiner Macht umgegangen ist. Ein Problem sehe ich aber bei den Landsgemeinden oder Gemeindeversammlungen. Sie wurden abgesagt oder die Bürger gehen aus Angst vor einer Ansteckung nicht hin.

Wie positionieren sich die Parteien in der Corona-Debatte?

Während des Lockdown verlief die Konfliktlinie zwischen staatsgläubigen Gesundheitsbefürwortern und liberalen Wirtschaftsvertretern. Inzwischen haben sich die Positionen angenähert: So gibt es auch Wirtschaftsvertreter, die nicht zu schnell lockern wollen, weil sie sich vor einem erneuten Lockdown fürchten. Die Corona-Strategie ist also keine Frage von rechts oder links, liberal oder konservativ. Sie spaltet die Parteien.

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