«Lebensprägend» wird neu definiertDas Bundesgericht revolutioniert die Alimentepflicht im Scheidungsfall
Weder gemeinsame Kinder, eine Ehe von zehn Jahren oder fortgeschrittenes Alter können Frauen im Falle einer Scheidung davor schützen, selbst für ihren Lebensaufenthalt aufzukommen. Das hat das Bundesgericht entschieden.
Darum gehts
Das Bundesgericht hat die Regelung bei Scheidungen neu definiert.
Für Alimentezahlende ist es eine Erleichterung, für Empfangende nicht.
Die Politik ist nun gefordert, für Geschiedene, die den Berufseinstieg wieder wagen müssen, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Das Parlament will mehr Gleichstellung in der Familie. Wie der «Tages-Anzeiger» schreibt, waren bisher im Falle einer Scheidung jeweils die Männer benachteiligt. Demnach haben Väter weniger Chancen das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zu bekommen und Frauen können Unterhalt bis zur Pensionierung beanspruchen.
Das Bundesgericht hat dies nun gekippt und den Begriff «lebensprägend» neu definiert. Als «lebensprägend» wurde bisher eine Ehe bezeichnet, wenn sie mindestens zehn Jahre gedauert hat oder wenn Kinder aus ihr resultierten. In solchen Fällen wurde der Alimentenzahler verpflichtet, seiner Partnerin den Unterhalt bis zur Pension zu finanzieren. Da das Bundesgericht dies nun als zu «starr» betrachtet, will es nun jeden Fall einzeln beurteilen. Auch bei einer «lebensprägenden» Ehe soll die Zahlung von Alimenten zeitlich und summarisch begrenzt werden.
Das zeigte auch ein Entscheid des Bundesgerichts, wie der «Tages-Anzeiger» weiter schreibt. Nachdem das Kantonsgericht in Graubünden beim Scheidungsurteil eine Ehe als «lebensprägend» bezeichnete, urteilte das Bundesgericht als zweite Instanz konträr. Die Alimentezahlungen in diesem Fall wurden gestoppt.
Geschiedene ab 45 sollen Berufseinstieg wieder finden
Der Wiedereinstieg ins Berufsleben wurde vom Bundesgericht ab einem Alter von 45 Jahren nicht mehr als zumutbar eingestuft. Auch hier will es nicht mehr pauschal vorgehen und von Fall zu Fall entscheiden. So soll eine Person, wenn sie gesund ist, Deutsch spricht, eine Ausbildung hat und nicht kurz vor der Pensionierung steht, den Einstieg ins Berufsleben wieder wagen.
Die 45er-Regel sei nicht auf ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers oder eines Gerichts eingeführt worden, sondern zufällig entstanden und mittlerweile überholt, so der Befund des Bundesgerichts. Auch Mütter seien demnach verpflichtet, «alle Anstrengungen» zur Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit zu unternehmen.
Politiker begrüssen neue Regelung
In der Politik wird die neue Regelung positiv aufgenommen. Die Forderung wird aber auch laut, dass die Politik nun auch die Rahmenbedingungen für effektive Teilhabe von Müttern und Vätern am Erwerbsleben schaffen müsse. «Das Urteil zwingt beide Partner einer Ehe dazu, sich frühzeitig Gedanken über die Arbeitsteilung zu machen. Das stärkt die Eigenständigkeit von beiden», sagt FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. Er findet, die Ehe als «Lebensversicherungsmodell» sei veraltet, wenn man beachte, dass jede zweite Ehe in der Schweiz geschieden wird.
Auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri sagte, sie begrüsse die «plötzlich auftretende offene Haltung» des Bundesgerichts. Und dass, die neue Linie des Bundesgerichts in der Praxis nur funktioniere, wenn die Politk auch tätsächlich die Voraussetzungen für den Wiedereinsteig ins Berufsleben für Mütter und geschiedene Frauen kreieren.
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