Meliandou, GuineaDas Dorf, aus dem die Ebola-Seuche kam
Tod und Trauer haben Meliandou in Guinea heimgesucht – von hier stammte der erste Ebola-Kranke. Die Dorfbewohner werden stigmatisiert und angefeindet.
Als der zwei Jahre alte Emile Ouamouno Fieber bekam, sich übergab, Blut im Stuhl hatte und zwei Tage später starb, wusste niemand genau, warum. Und es fragte auch niemand nach den Gründen. Das Leben in diesem Teil der Welt ist gnadenlos. Oft verlieren die Menschen Kinder an Cholera, Malaria, Masern, Typhus, Lassa-Fieber und eine Reihe anderer Krankheiten, die keinen Namen haben.
Heute gilt Emile als Patient Null, also als das erste Todesopfer der aktuellen Ebola-Epidemie in Westafrika. Sein Heimatdorf Meliandou, in dem er am 28. Dezember 2013 starb, ist ein kleiner Ort auf einem bewaldeten Hügel, zu dem eine furchige Piste aus roter Erde führt. In die Geschichte ging Meliandou ein als Ausgangsort der bislang tödlichsten Epidemie des Ebola-Virus.
Hunger, Wut, Misstrauen
Die Bewohner von Meliandou sind knapp ein Jahr nach dem Tod Emiles verschuldet und werden stigmatisiert. Sie leiden an Hunger und sind noch immer wütend und misstrauisch, wenn es um die Frage geht, wer die Krankheit zu ihnen gebracht hat, die ihr Leben zerstört hat.
Emiles Grossvater, der 85-jährige Kissy Dembadouno, ist verzweifelt. In dem Raum starben nach dem kleinen Jungen noch sieben weitere Menschen. Inzwischen ist er verschlossen. «Alles, was mir geblieben ist, ist, mich zu fragen, warum Gott mir noch mehr Tage auf dieser Welt gibt», sagt er.
Rund 400 Menschen leben heute in Meliandou, vor einem Jahr waren es noch 600. Viele seien geflohen, weil sie glaubten, das Dorf sei verflucht, sagt Häuptling Amadou Kamano. Einer der Ersten sei ausgerechnet der Dorfarzt gewesen. Die Krankenstation wurde zum Ort des Todes, nicht der Heilung. Inzwischen ist auch sie verschlossen.
Emiles Vater verlor auch seine Frau
Etienne Ouamouno, Emiles Vater, verschränkt die Arme vor der Brust, wenn er von den vielen Opfern in seiner Familie spricht. «Ich bin traumatisiert durch all die Toten», sagt er. Und wie die meisten anderen Dorfbewohner ist er dazu noch völlig pleite.
Als er Emile, seinen einzigen Sohn, zum Dorfarzt brachte, musste er 20'000 Guinea-Franc (umgerechnet 2,75 Schweizer Franken) für Medikamente ausgeben. Geholfen haben sie nichts. Weitere teuere und nutzlose Arztbesuche folgten, doch auch seine vierjährige Tochter starb, dann seine Frau, die im achten Monat schwanger war, eine Grossmutter, eine Tante sowie die Hebamme, die das totgeborene Baby seiner Frau entbunden hatte.
Ouamouno hatte kein Geld, um für die Beisetzung zu bezahlen und die vielen Trauernden zu verköstigen, die aus anderen Dörfern kamen, um an der rituellen Massenbeisetzung teilzunehmen. So lieh er sich eineinhalb Säcke Reis, dazu weitere 250'000 Francs (gut 35 Schweizer Franken) und schlachtete seine letzte Ziege. Allein die Schulden zu bezahlen, wird ihn etwa ein Jahr kosten, wie er sagt.
Seine spärliche Habe wurde verbrannt, um weitere Ansteckung zu verhindern. «Ich habe nicht einmal mehr eine Decke, um mich nachts zuzudecken», sagt er und legt seinen Arm um seine sechsjährige Tochter Marie, die ihm geblieben ist. Das Mädchen ist erkältet, der Rotz läuft ihr aus der Nase. «Das Einzige, was ich mit mir herumtrage, ist die Last der Sorgen», sagt Ouamouno.
Niemand will mehr nach Meliandou
Es ist eine tragische Ironie, dass die Beisetzungen, die viele Dorfbewohner in die Pleite trieben, zugleich dazu beitrugen, dass sich die Krankheit weiter ausbreitete. Wenn Menschen gestorben sind, werden ihre Leichname traditionell von den Angehörigen gewaschen. Viel zu spät wurde in der Region bekannt, dass genau das einer der Hauptübertragungswege für das Virus ist.
Meliandou bedeutet im lokalen Dialekt etwa «So weit werden wir gehen» – doch mittlerweile kommt kaum jemand mehr dorthin. Die Menschen aus den Nachbardörfern haben sich abgewendet. «Sie sind sehr, sehr wütend auf uns. Sie sagen, die Krankheit hat bei uns angefangen», sagt Häuptling Kamano. Mehrere Tage sei das Dorf sogar von der Aussenwelt abgeschnitten gewesen: Menschen aus Nachbarorten hatten die einzige Brücke in die nächste Stadt zerstört.
Zudem fehlt den Menschen in Meliandou inzwischen eine ihrer Hauptquellen für Protein. Nachdem Ende März das Virus offiziell in Guinea festgestellt worden war, wurde der Verzehr des sogenannten Bushmeats verboten, also des Fleisches von Flughunden, Rohrratten, Affen und anderen Tieren aus dem Busch. Es gilt als möglicher Träger und Überträger des Virus.
Momentan ist das Dorf frei von Ebola
Schon vor Ebola war Unterernährung in Guinea weit verbreitet und laut Unicef für bis zu 50 Prozent der Todesfälle bei Kindern verantwortlich. Ohne Protein aus dem Bushmeat sind noch mehr Menschen unterernährt – und damit auch anfälliger für Krankheiten.
Meliandou hat inzwischen einen teuer erkauften Sieg errungen: Es ist frei von Ebola, zumindest im Moment. Und das Dorf existiert noch. Der Dank von Häuptling Kamano geht vor allem an die Ärzte, die sich dorthin gewagt haben. «Sonst wäre das ganze Dorf tot», sagt er, «es wäre von der Landkarte verschwunden.»
Wie brach die Epidemie aus?
Woher der jüngste Ebola-Ausbruch tatsächlich kommt, darüber gibt es nicht nur in Meliandou Gerüchte und Mutmassungen. Einige sagen, die Weissen hätten die Krankheit verbreitet, um die Schwarzen auszurotten. Sie geben einer Masern-Impfkampagne die Schuld an der Ausbreitung. Andere sagen, das Virus sei aus einem Tierlabor entwichen. Wieder andere vermuten Politiker hinter der Epidemie, die damit die Menschen im Busch ausrotten wollten.
Fabian Leendertz, Tierarzt vom Robert-Koch-Institut in Berlin, ist Spezialist für Epidemiologie im Tierreich und war über zehn Tage hinweg mehrfach in Meliandou. Er hat mit Kollegen untersucht, ob die Krankheit indirekt über Menschenaffen oder direkt von Fledermäusen übertragen wird. Seine Ergebnisse sollen in Kürze veröffentlicht werden. «Meine persönliche Meinung ist, dass das Virus mal hier und mal dort ist und es nur ein Frage der ökologischen Umstände und des Pechs ist, ob sich jemand infiziert», sagt er.