Zum 70. GeburtstagDas Gegenteil von Happy Birthday – hat Wladimir Putin die Kontrolle verloren?
Im Ukraine-Krieg läufts nicht, im Land herrscht massive Rezession, die Elite ist in Aufruhr und die Nationalisten streiten. Seinen 70. Geburtstag hat sich Wladimir Putin bestimmt anders vorgestellt.
70 Jahre alt, und doch dürfte für den russischen Präsidenten Wladimir Putin an seinem runden Geburtstag keine echte Freude aufkommen. Die «Spezialmission» in der Ukraine läuft nicht nach Plan, stattdessen wird seine Armee vor aller Welt blossgestellt.
Kommt die ausgerufene und chaotisch verlaufende Teilmobilisierung hinzu, die Putins eigenen Gesellschaftsvertrag nichtig macht: Ihr mukt nicht gegen mich und mein Regime auf, dafür lassen wir euch in Ruhe. Der Lack der Anbetung seines Volkes, die sich Putin seit nunmehr 22 Jahren gewohnt ist, blättert.
Und selbst unter den Eliten stimmt vieles nicht mehr. Angesichts der militärischen Fehlschläge im Osten und Süden der Ukraine geben sich drei Fraktionen mittlerweile ganz öffentlich Saures – für die Bevölkerung ein Indiz, dass Putin seine Leute nicht mehr im Griff hat (siehe Box ).
Putin als Getriebener
Der Politologe Abbas Galljamow, der früher selbst im Kreml arbeitete, spricht bereits von einem «Kontrollverlust». Putin sei nicht mehr Herr der Lage, sondern ein Getriebener der Situation in der Ukraine. Im Volk habe er seinen Status als Garant für Stabilität verloren. «Putin ist heute der grösste destabilisierende Faktor, ein Destabilisator», meint Galljamow. Russlands Elite verliere jetzt ihren Halt, weil sie sich 22 Jahre auf Putin gestützt habe.
Bitter: Putin, der Russland nach den chaotischen 1990er Jahren voller Armut wieder auf die Beine brachte, muss nun zusehen, wie vieles in sich zusammenfällt: Die stolze Rohstoffmacht steckt wegen des Drucks der westlichen Sanktionen in einer massiven Rezession. Tausende Firmen haben das Land verlassen, Zehntausende haben keine Arbeit mehr. Die Rede ist von einer beispiellosen «Deindustrialisierung».
Feier im St. Petersburger Palast mit den Autokraten
Putin mache Russland zu einem Dritte-Welt-Land, sagt Politologe Galljamow. Mit Blick auf die westlichen Sanktionen sagt er aber auch, dass Putins Ressourcen weiterhin gewaltig seien – auch wegen der Ergebenheit des Sicherheitsapparats.
Zudem vertrauen viele Russen, vor allem die über 60-Jährigen, ihm weiter, weil sie keinen anderen starken Führer sehen. So wundert es nicht, dass Putin über seinen Sprecher verlauten liess, dass der Präsident mit dem Faible für gutes Essen seinen 70. Geburtstag «auch arbeitend» verbringen werde – allerdings in seiner Heimatstadt St. Petersburg.
Dort wird er im prunkvollen Konstantinpalast Staatsgäste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) empfangen – etwa die Staatschefs der autoritär regierten zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Belarus sowie Armenien und Aserbaidschan. Putin dürfte so demonstrieren wollen, dass er trotz seines Angriffskrieges gegen die Ukraine international nicht isoliert ist.