Änderung des Geschlechtseintrags – FDP-Ständerat will «Mann» und «Frau» aus dem Gesetzbuch streichen

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Änderung des GeschlechtseintragsFDP-Ständerat will «Mann» und «Frau» aus dem Gesetzbuch streichen

«Das Geschlecht darf im Schweizer Recht keine Rolle spielen», sagt der FDP-Ständerat und Anwalt Andrea Caroni. Damit sei es aber nicht getan, sagt die Organisation humanrights.ch: Neben der rechtlichen brauche es vor allem auch eine gesellschaftliche Gleichstellung.

Ab dem 1. Januar 2022 können Personen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister für 75 Franken unkompliziert beim Zivilstandsamt ändern lassen. Einige Politiker befürchten Missbrauch, weil Frauen und Männer in der Rechtsordnung unterschiedlich behandelt werden.
Um dem entgegenzuwirken, will FDP-Ständerat Andrea Caroni mehr Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern: «Mit gleichem Rentenalter, gleichen Dienstpflichten und gleichen Rentenansprüchen verschwindet dieses Problem von selber.»
«Es muss dem Staat egal sein, welchem Geschlecht ich mich zugehörig fühle. Die Rechtsordnung soll geschlechtsneutral formuliert sein», sagt Caroni.
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Ab dem 1. Januar 2022 können Personen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister für 75 Franken unkompliziert beim Zivilstandsamt ändern lassen. Einige Politiker befürchten Missbrauch, weil Frauen und Männer in der Rechtsordnung unterschiedlich behandelt werden.

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Darum gehts

  • Ab dem 1. Januar kann das Geschlecht im Personenstandsregister viel leichter angepasst werden.

  • Während der Parlamentsdebatte kam es zu Diskussionen aufgrund Missbrauchsbefürchtungen. «So kann man relativ leicht den Militärdienst umgehen», sagt etwa SVP-Ständerat Werner Salzmann.

  • FDP-Ständerat Andrea Caroni fordert eine geschlechtsneutrale Formulierung der Rechtsordnung und für alle Schweizerinnen und Schweizer gleiche Rechte und Pflichten.

  • Mit dem Anpassen der Rechtsordnung allein sei es aber nicht getan, sagt Valentina Stefanovic, Juristin bei humanrights.ch.

Ab dem 1. Januar 2022 können Personen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister für 75 Franken unkompliziert beim Zivilstandsamt ändern lassen. Einige Politiker befürchten Missbrauch, weil Frauen und Männer in der Rechtsordnung unterschiedlich behandelt werden. Dies etwa beim Pensionsalter, der Witwenrente oder dem Militärdienst. «So kann man relativ einfach den Militärdienst umgehen», sagt etwa SVP-Ständerat Werner Salzmann.

Um dem entgegenzuwirken, will FDP-Ständerat Andrea Caroni mehr Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern: «Mit gleichem Rentenalter, gleichen Dienstpflichten und gleichen Rentenansprüchen verschwindet dieses Problem von selber», sagt Caroni und fordert: «Das Geschlecht darf im Schweizer Recht keine Rolle spielen.» Dem Staat müsse es egal sein, welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühle. Deshalb hält Caroni auch nichts von einem gesetzlich verankerten dritten Geschlecht.

Sobald alle Schweizerinnen und Schweizer unabhängig von ihrem Geschlecht in sämtlichen Bereichen dieselben Rechte und Pflichten hätten, bleibt laut Caroni nur noch der Vorteil des neuen Gesetzes: «Dass Personen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, den Eintrag beim Zivilstandsamt ohne grossen Aufwand ändern können.»

«Binäres Geschlechtersystem von ‹Mann› oder ‹Frau› entspricht nicht der Wirklichkeit»

Mit dem Anpassen der Rechtsordnung allein sei es aber nicht getan, sagt Valentina Stefanović, Juristin bei humanrights.ch. «Es existieren noch extrem viele Ungleichheiten, welchen so nicht beigekommen werden kann.» Etwa bei der Lohnungleichheit, der Betreuung von Kindern, der politischen Repräsentation und dem Schutz vor Gewalt. «Die Gleichberechtigung ist der eine Punkt, die effektive Gleichstellung der andere», sagt Stefanović. Ohne Differenzierung und gezielte Massnahmen bleibe benachteiligten Gruppen der Zugang zu ihren Rechten verwehrt.

«Zudem entspricht das binäre Geschlechtersystem von ‹Mann› oder ‹Frau› nicht der Wirklichkeit.» Es gebe zahlreiche Personen, deren Geschlechtsidentität nicht derjenigen entspreche, die ihnen bei der Geburt zugewiesen worden sei oder deren Geschlechtsidentität nicht oder nicht ausschliesslich weiblich oder männlich sei. «Dass das biologische Geschlecht und das soziale nicht immer übereinstimmen, muss in der Gesetzgebung Anerkennung finden», sagt Stefanović.

Die nationale Ethikkommission, die vor einem Jahr einen entsprechenden Bericht veröffentlicht hat, komme zum gleichen Schluss. Es wäre wünschenswert, wenn Menschen in Zukunft auf einen Geschlechtseintrag im Personenstands- und Geburtenregister verzichten könnten. Stefanović: «Doch davon sind wir in der Schweiz noch weit entfernt.»

«Gerichte zwangen trans Menschen zu Sterilisationen»

Der 20-Minuten-Artikel zu den von Politikern befürchteten Tricksereien mit dem Geschlechtseintrag hat viele Reaktionen ausgelöst. Für LGBTQI-Aktivistinnen und -Aktivisten ist klar: Die Angst vor dem Missbrauch der Gesetzeslücke ist ungerechtfertigt. Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland sagt, die Regelung zur vereinfachten Anpassung des Geschlechtseintrags sei längst überfällig gewesen: «Bis vor wenigen Jahren zwangen die Schweizer Gerichte trans Menschen zu operativen Sterilisationen und zu Hormonbehandlungen, die ebenfalls die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen – nur, um einen passenden Geschlechtseintrag zu erhalten und damit besser vor Diskriminierung und Zwangsoutings geschützt zu sein.»

Recher spricht von massiven Menschenrechtsverletzungen, die von Schweizer Gerichten systematisch und über Jahre hinweg praktiziert worden seien. «Die neue Regelung ist endlich eine menschenrechtskonforme Möglichkeit, auch als trans Person passende Dokumente zu erhalten – wie es für cis Menschen eine Selbstverständlichkeit ist.»

Wirst du oder wird jemand, den du kennst, aufgrund der Geschlechtsidentität diskriminiert?

Hier findest du Hilfe:

Gleichstellungsgesetz.ch, Datenbank der Fälle aus Deutschschweizer Kantonen

Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann

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