Das ist Erdogans finsterer Plan für die Kurden

Aktualisiert

Wie einst AssadDas ist Erdogans finsterer Plan für die Kurden

Die Waffenruhe für Nordsyrien könnte bald beendet sein. Erdogan droht, noch härter gegen die Kurden in Nordsyrien vorzugehen. 20 Minuten ist vor Ort.

von
Ann Guenter
Auch während der soeben beendeten Waffenruhe: In Tel Tamer, rund 40 Kilometer von der mittlerweile eroberten Stadt Serekaniye entfernt, brennen Reifen. Damit sollen türkische Drohnenangriffe erschwert werden.
Ein in Serekaniye verletzter YPG-Kämpfer wurde während der Waffenpause nach Qamishli gebracht. Laut den von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrian Democratic Forces (SDF) ...
... sind mittlerweile alle syrisch-kurdischen Kämpfer aus der Stadt geholt worden. Serekaniye ist mittlerweile gefallen und die kurdische Bevölkerung geflohen, während ...
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Auch während der soeben beendeten Waffenruhe: In Tel Tamer, rund 40 Kilometer von der mittlerweile eroberten Stadt Serekaniye entfernt, brennen Reifen. Damit sollen türkische Drohnenangriffe erschwert werden.

Ann Guenter/ 20 Minuten

Die Waffenruhe zwischen der Türkei und den nordsyrischen Kurden konnte am Dienstagabend nochmals um sechs Tage verlängert werden. Präsident Erdogan drohte zuvor: Sollten sich die Kurden-Milizen nicht bis Dienstagabend vollständig zurückgezogen haben, «werden wir unsere Offensive da, wo sie aufgehört hat, und diesmal mit einer noch grösseren Entschlossenheit fortsetzen.»

Von «Ruhe» konnte allerdings nicht die Rede sein, denn vielerorts war während dieser fünf Tage weitergekämpft worden. Dabei war die Freude der Kurden über die Pause riesig gewesen. In den Städten und Dörfern wurde geballert, was das Zeug hielt, mit Kalaschnikows und Duschkas schossen die Leute in die Luft, sogenannte Tracer wurden zu rot leuchtendem Feuerwerk umfunktioniert.

So feierten die Kurden die kurze Waffenruhe

Die Waffenruhe für Nordsyrien ist beendet. Sie war zuvor von den Kurden Nordsyriens begeistert gefeiert worden.
(Video: A. Guenter/Produktion: P. Stirnemann)

«Wir sind so glücklich», sagt Mahmud zu 20 Minuten in Qamishli. «Jetzt können unsere Verwandten, die in den Irak geflohen sind, wieder zurückkehren.» Auf die Frage, ob der Optimismus angesichts der kurzen Dauer des Deals nicht übertrieben sei, sagte der 15-jährige Kurde: «Die Lage wird sich nach der Feuerpause stabilisieren und für uns verbessern.»

Die Freude der Kurden Nordsyriens über die kurze Waffenruhe war gross. Die Ernüchterung aber folgte schnell.
(Video: A. Guenter/Produktion: P. Stirnemann)

Mahmud (15) gibt 20-Minuten-Reporterin Ann Guenter ein Interview zur Waffenruhe.

Mit Regenschirmen gegen Drohen

Doch die Zuversicht wich schnell der Ernüchterung. In den letzten Tagen attackierten von der Türkei unterstützte islamistische Milizen die Stadt Serekaniye (arab.: Ras al-Ain) und benachbarte Dörfer. Die türkischen Luftschläge wurden zwar eingestellt, Drohnen übernahmen diese Angriffe. Die Kämpfer der Syrian Democratic Forces (SDF) und auch Zivilisten benutzten deswegen Regenschirme mit Tarnfarben, um unentdeckt zu bleiben. Das funktioniert freilich nur, wenn die Person stehen bleibt, wenn eine Drohne über den Köpfen schwirrt.

Mittlerweile ist Serekaniye gefallen, die islamistischen Milizen der Türkei haben die Stadt eingenommen. Die von der Kurdenmiliz YPG angeführten SDF gaben an, alle ihre Kämpfer aus der Stadt geschafft zu haben. Konvois von Ambulanzen brachten Verletzte aus Serekaniye. Es ist unklar, wie viele Zivilisten sich jetzt noch dort aufhalten. Kurden aber sind dort keine mehr.

Es läuft nach Erdogans Plan

So läuft derzeit alles nach den Plänen Ankaras. Denn Serekaniye ist eine strategisch wichtige Stadt für die Kurden und ihr de facto autonomes Gebiet Rojava. Diese Grenzstadt zur Türkei liegt im Rojava-Kanton Cizire (arab.: Jazeera) und ist vital für die Verbindung dieser Kurdenhochburg mit dem Kanton Kobane. Dazwischen liegt die arabisch dominierte Stadt Gire Spi (arab.: Tell Abyat). Hier setzt Erdogan an: Er will die Kurdenregion Rojava durch die Kreierung einer «Safe Zone» verkleinern – und langfristig am liebsten zerstören.

Tragische Geschichte droht sich zu wiederholen

Dafür will er die Kantone Rojavas voneinander isolieren und über zwei Millionen syrisch-arabische Flüchtlinge aus der Türkei in das Gebiet umsiedeln. Doch wohin sollen dann die Millionen von Kurden, die während des Bürgerkriegs in diesen Kantonen Infrastruktur und Geschäfte aufgebaut haben? In das von Arabern dominierte Gebiet um Raqqa im Süden oder in das nordöstliche Wüstengebiet von Deir-Ezor? Die Türkei ist keine Option. Und auch in irakisch Kurdistan sind sie nicht wirklich willkommen – zu viele Flüchtlinge aus Syrien hausen dort bereits in Camps.

Die Kurden sprechen in diesem Zusammenhang von einer Arabisierungsmassnahme, die sie nur allzu gut kennen: Assad senior, Hafiz, errichtete in den 60er-Jahren einen «Arabischen Gürtel» entlang der türkischen Grenze von der irakischen Grenze im Osten bis nach Serekaniye im Westen. Die Kurden wurden vertrieben, erhielten keine Staatsbürgerschaft mehr. Alle Ortsnamen wurden arabisiert, die Sprache verboten, die Kurden in Geschichtsbüchern ausgemerzt. Jetzt droht sich dieses finstere Kapitel dank Erdogan zu wiederholen.

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