«Das Kino ist für mich ein sozialer Ort»

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Locarno-Gewinner Jonas Ulrich«Das Kino ist für mich ein sozialer Ort»

Mit seinem Film «Menschen am Samstag» hat der Zürcher Jonas Ulrich in Locarno den Preis für den besten Schweizer Kurzfilm gewonnen. Wie er das Filmfestival unter Corona erlebte.

Jonas Ulrich zeigte seinen Film «Menschen am Samstag» am Locarno Film Festival und gewann damit den Preis für den besten Schweizer Kurzfilm. Pardi di domani war 2020 die einzige Kategorie, die im Wettbewerb lief.
Kurz bevor er von der Auszeichnung erfuhr, erzählte uns der 29-Jährige im Interview von seinem Erlebnis in Locarno und der Entstehung des Films. «Das Schöne an Kurzfilmen ist, dass man als Zuschauer einfach reingeworfen wird, ohne Vorwissen.»
Manche Szenen in «Menschen am Samstag» schaffen relativ schnell Assoziationen.
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Jonas Ulrich zeigte seinen Film «Menschen am Samstag» am Locarno Film Festival und gewann damit den Preis für den besten Schweizer Kurzfilm. Pardi di domani war 2020 die einzige Kategorie, die im Wettbewerb lief.

Locarno Film Festival

Darum gehts

  • Am Samstag, 14. August 2020, geht das 73. Locarno Film Festival zu Ende.
  • Im Corona-Jahr wurde das Festival als Hybrid-Edition durchgeführt: 83 Filme waren während des Festivals gratis online abrufbar, 103 Filme liefen in Kinos vor Ort.
  • Wettbewerb gab es heuer nur einen, den Pardi di domani für den besten Kurzfilm.
  • Der 29-jährige Zürcher Jonas Ulrich hat mit seinem Film «Menschen am Samstag» den Goldenen Leoparden für den besten Schweizer Kurzfilm gewonnen.
  • Hier gehts zum Interview.

Jonas, als Filmemacher bist du dir an Festivals Trubel gewohnt. Wie hast du Locarno 2020 erlebt?

Es hat eh jedes Festival seinen eigenen Charakter. In Locarno fehlte in diesem Jahr natürlich die Piazza Grande. Früher hätte ich vor Ort sicher auch spontan den einen oder anderen Film geschaut.

Dein Film wurde als einer von wenigen als Weltpremiere vor Live-Publikum im Kino gezeigt. Wie war die Stimmung?

Gut! Die Bedingungen waren natürlich speziell, der Saal war sehr gross, aber bei weitem nicht voll. Die Maskenpflicht wurde streng kontrolliert, auf dem Sitzplatz konnte man sie aber abnehmen. Das Screening an sich war sehr schön.

Wie reagierte das Publikum?

Sehr positiv! Ich bin gespannt, was von den Online-Screenings noch an Feedback kommt. Ich finde es sehr cool, dass sich das Festival virtuell geöffnet hat. So sehen vielleicht ein paar Leute den Film, die sonst überhaupt nie damit in Berührung gekommen wären.

Ein potenziell ganz neues Publikum?

Genau.

Besser als vor Corona war das Festival aber kaum, oder?

Natürlich hätte ich es schöner gefunden, eine normale Premiere in einem normalen Jahr zu haben, aber sich in dieser Situation als Filmemacher über zu wenig Leute zu beschweren, wäre dekadent.

Du sprichst von dir als Filmemacher, der eine eigene Produktionsfirma im Rücken hat, Werbung und Musikvideos produziert. Andere Teile der Branche leiden ja durchaus.

Absolut. Die Werbebranche kam relativ schnell aus dem Corona-Loch und bei Kurzfilmen ist das finanzielle Risiko nicht so gross. Für Kinos und Vertriebsfirmen ist die Situation schlimm. Für kleine wie grosse Produktionen, die viel Geld investiert haben, kann es tragisch sein.

Hast du dir mit der eigenen Firma bereits einen Traum erfüllt?

Es ist schon das Ziel, einmal einen Kinofilm zu drehen. Ich mag aber die Diversität. Ich mache gern Kurzfilme, auch Werbeprojekte können Spass machen, und ab und zu arbeite ich als Cutter. Diesen Ausgleich will ich beibehalten.

Viele fürchten das Ende der Kino-Ära. Was glaubst du?

Bezüglich Kino bin ich nicht sicher. Aber ich bin optimistisch, dass die Faszination für das Langfilm-Format bestehen bleiben wird.

Was macht das Medium Film so besonders?

Es spricht alle Sinne an. Du hast das Visuelle, die Musik, das Drama. Wenn ich einen guten Film sehe, bin ich zwei Stunden einfach weg.

Eskapismus?

Nicht nur. Die besten Filme sind für mich die, die eine fiktive Figur so real darstellen, dass man danach das Gefühl hat, man kenne die Person; Filme, die Nähe schaffen.

Funktioniert das am Screen zu Hause so gut wie im Kino?

Bei einem richtig guten Film geht das auch daheim, ja. Im dunklen Kinoraum mit Leinwand und Soundanlagen ist der Fokus stärker und der Effekt im Idealfall intensiver. Ich persönlich gehe aber auch gern ins Kino, weil da andere Menschen sind, mit denen man etwas gemeinsam erleben kann. Für mich hat das eine soziale Komponente.

Glaubst du, dass Streaming und Kino sich gegenseitig unterstützen können?

Branchenintern wird darüber gerade viel diskutiert, ich selber weiss zu wenig Bescheid. Ich hoffe aber, dass Online-Anbieter wie Netflix künftig auch in der Schweiz Kino-Releases fördern. Dass das Kino nicht vergessen geht und man miteinander statt gegeneinander arbeitet.

Der Film

«Menschen am Samstag»

Es sei eine Hommage an «Menschen am Sonntag», einen deutschen Stummfilm aus den 1930er-Jahren. «Es ist eine Momentaufnahme Berlins an einem Sonntagnachmittag», so Ulrich. «Der Film ist aber auch ein Zeitdokument, mit dem du Geschichte in gewisser Weise nacherleben kannst.» Er hoffe, dass man auch seinen Film in 100 Jahren noch schauen könne und sich ins Zürich von 2019 zurückversetzt fühle.

Jonas Ulrichs Gewinnerfilm ist noch bis Samstag auf der Festivalwebsite gratis im Stream verfügbar – genauso wie die gesamte Wettbewerbsreihe Pardi di domani, ein Katalog an Locarno-Klassikern und die Open-Doors-Beiträge aus den Gastländern Malaysia, Myanmar, Indonesien und den Philippinen.

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